Es folgt also hieraus, daß die Natur alles thut, daß die Erziehung ganz überflüßig, wenig- stens in dem Falle nicht nöthig ist, wo man nur die vornehme Absicht hat, angesehen, groß und reich zu werden; mit einem Worte, wo die Ge- burt uns in die glücklichen Umstände setzet, daß wir Verstand und Tugend entbehren können.
Jch kann den ungeschickten Einwurf noch immer nicht verschmerzen, den man mir oben von der nöthigen Abrichtung unvernünftiger Thie- re gemacht hat. Gesetzt nun auch, es wäre nö- thig, die Jugend eben so mühsam zu unterrich- ten; folgte denn hieraus, daß man davon eben den Nutzen, wie bey den Thieren, haben könnte, und daß es der Kosten und Mühe wohl werth sey, die man darauf wenden muß?
Sagen sie mir einmal, gnädiger Junker, was ist ihnen lieber, ihr Pferd, oder ihre Gemahlinn, ihr Hünerhund, oder ihr Sohn? Wahrhaftig, ich müßte sie nicht kennen, ich müßte nicht eine Stunde lang bey ihnen gewesen seyn, wenn ich nicht wüßte, daß ihnen Pferd und Hund lieber sey, als Frau und Kind. Wie edel denken Jhro Gna- den; wie unendlich ist ihre Einsicht über die nie- drigen Vorurtheile des unadlichen Pöbels erha- ben! Jch erinnere mich mit unterthäniger Ehr- furcht derjenigen Messe noch sehr wohl, da sie ih- ren Apfelschimmel kauften. Sie boten den guten Rath aller ihrer Freunde auf, sie brauchten drey Tage Zeit, ehe sie sich zu diesem Kaufe entschlies-
sen
J 5
Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
Es folgt alſo hieraus, daß die Natur alles thut, daß die Erziehung ganz uͤberfluͤßig, wenig- ſtens in dem Falle nicht noͤthig iſt, wo man nur die vornehme Abſicht hat, angeſehen, groß und reich zu werden; mit einem Worte, wo die Ge- burt uns in die gluͤcklichen Umſtaͤnde ſetzet, daß wir Verſtand und Tugend entbehren koͤnnen.
Jch kann den ungeſchickten Einwurf noch immer nicht verſchmerzen, den man mir oben von der noͤthigen Abrichtung unvernuͤnftiger Thie- re gemacht hat. Geſetzt nun auch, es waͤre noͤ- thig, die Jugend eben ſo muͤhſam zu unterrich- ten; folgte denn hieraus, daß man davon eben den Nutzen, wie bey den Thieren, haben koͤnnte, und daß es der Koſten und Muͤhe wohl werth ſey, die man darauf wenden muß?
Sagen ſie mir einmal, gnaͤdiger Junker, was iſt ihnen lieber, ihr Pferd, oder ihre Gemahlinn, ihr Huͤnerhund, oder ihr Sohn? Wahrhaftig, ich muͤßte ſie nicht kennen, ich muͤßte nicht eine Stunde lang bey ihnen geweſen ſeyn, wenn ich nicht wuͤßte, daß ihnen Pferd und Hund lieber ſey, als Frau und Kind. Wie edel denken Jhro Gna- den; wie unendlich iſt ihre Einſicht uͤber die nie- drigen Vorurtheile des unadlichen Poͤbels erha- ben! Jch erinnere mich mit unterthaͤniger Ehr- furcht derjenigen Meſſe noch ſehr wohl, da ſie ih- ren Apfelſchimmel kauften. Sie boten den guten Rath aller ihrer Freunde auf, ſie brauchten drey Tage Zeit, ehe ſie ſich zu dieſem Kaufe entſchlieſ-
ſen
J 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0159"n="137"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.</hi></fw><lb/><p>Es folgt alſo hieraus, daß die Natur alles<lb/>
thut, daß die Erziehung ganz uͤberfluͤßig, wenig-<lb/>ſtens in dem Falle nicht noͤthig iſt, wo man nur<lb/>
die vornehme Abſicht hat, angeſehen, groß und<lb/>
reich zu werden; mit einem Worte, wo die Ge-<lb/>
burt uns in die gluͤcklichen Umſtaͤnde ſetzet, daß<lb/>
wir Verſtand und Tugend entbehren koͤnnen.</p><lb/><p>Jch kann den ungeſchickten Einwurf noch<lb/>
immer nicht verſchmerzen, den man mir oben<lb/>
von der noͤthigen Abrichtung unvernuͤnftiger Thie-<lb/>
re gemacht hat. Geſetzt nun auch, es waͤre noͤ-<lb/>
thig, die Jugend eben ſo muͤhſam zu unterrich-<lb/>
ten; folgte denn hieraus, daß man davon eben<lb/>
den Nutzen, wie bey den Thieren, haben koͤnnte,<lb/>
und daß es der Koſten und Muͤhe wohl werth ſey,<lb/>
die man darauf wenden muß?</p><lb/><p>Sagen ſie mir einmal, gnaͤdiger Junker, was<lb/>
iſt ihnen lieber, ihr Pferd, oder ihre Gemahlinn,<lb/>
ihr Huͤnerhund, oder ihr Sohn? Wahrhaftig,<lb/>
ich muͤßte ſie nicht kennen, ich muͤßte nicht eine<lb/>
Stunde lang bey ihnen geweſen ſeyn, wenn ich<lb/>
nicht wuͤßte, daß ihnen Pferd und Hund lieber ſey,<lb/>
als Frau und Kind. Wie edel denken Jhro Gna-<lb/>
den; wie unendlich iſt ihre Einſicht uͤber die nie-<lb/>
drigen Vorurtheile des unadlichen Poͤbels erha-<lb/>
ben! Jch erinnere mich mit unterthaͤniger Ehr-<lb/>
furcht derjenigen Meſſe noch ſehr wohl, da ſie ih-<lb/>
ren Apfelſchimmel kauften. Sie boten den guten<lb/>
Rath aller ihrer Freunde auf, ſie brauchten drey<lb/>
Tage Zeit, ehe ſie ſich zu dieſem Kaufe entſchlieſ-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">J 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">ſen</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[137/0159]
Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
Es folgt alſo hieraus, daß die Natur alles
thut, daß die Erziehung ganz uͤberfluͤßig, wenig-
ſtens in dem Falle nicht noͤthig iſt, wo man nur
die vornehme Abſicht hat, angeſehen, groß und
reich zu werden; mit einem Worte, wo die Ge-
burt uns in die gluͤcklichen Umſtaͤnde ſetzet, daß
wir Verſtand und Tugend entbehren koͤnnen.
Jch kann den ungeſchickten Einwurf noch
immer nicht verſchmerzen, den man mir oben
von der noͤthigen Abrichtung unvernuͤnftiger Thie-
re gemacht hat. Geſetzt nun auch, es waͤre noͤ-
thig, die Jugend eben ſo muͤhſam zu unterrich-
ten; folgte denn hieraus, daß man davon eben
den Nutzen, wie bey den Thieren, haben koͤnnte,
und daß es der Koſten und Muͤhe wohl werth ſey,
die man darauf wenden muß?
Sagen ſie mir einmal, gnaͤdiger Junker, was
iſt ihnen lieber, ihr Pferd, oder ihre Gemahlinn,
ihr Huͤnerhund, oder ihr Sohn? Wahrhaftig,
ich muͤßte ſie nicht kennen, ich muͤßte nicht eine
Stunde lang bey ihnen geweſen ſeyn, wenn ich
nicht wuͤßte, daß ihnen Pferd und Hund lieber ſey,
als Frau und Kind. Wie edel denken Jhro Gna-
den; wie unendlich iſt ihre Einſicht uͤber die nie-
drigen Vorurtheile des unadlichen Poͤbels erha-
ben! Jch erinnere mich mit unterthaͤniger Ehr-
furcht derjenigen Meſſe noch ſehr wohl, da ſie ih-
ren Apfelſchimmel kauften. Sie boten den guten
Rath aller ihrer Freunde auf, ſie brauchten drey
Tage Zeit, ehe ſie ſich zu dieſem Kaufe entſchlieſ-
ſen
J 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/159>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.