Bey Messalinen, die wir in voriger Woche begraben haben, konnte man viel leichter entdek- ken, daß sie in ihrem Alter noch eben diejenige war, die sie in ihrer Jugend gewesen. Sie war das seltene Beyspiel einer standhaften Jungfer, welche sich niemals hat entschließen können, eine Mannsperson ganz und gar zu heirathen. Dieses hinderte sie nicht, von ihrem vierzehnten Jahre an bis ins vierzigste in einem beständig abwechseln- den Ehestande zu leben. Der Reiz verschwand mit ihrer Jugend; der Zeit zum Trotz malte sie den entflohenen Reiz auf ihre Wangen. Noch auf ihrem Todbette, da ihr Beichtvater zu ihr kom- men, und ihr den letzten Dienst leisten wollte, den Sterbende verlangen; noch alsdenn ließ sie sich den Spiegel vors Bette setzen, schlug den sparsamen Rest ihrer grauen Haare in Locken, drückte zwo kleine verrätherische Muschen zwischen die Runzeln an den Augen, lächelte sich im Spiegel beyfällig an, und schob das Halstuch nachläßig zurück. Durch diese Zubereitung zu ihrem Ende erkältete sie sich, und starb, noch ehe der Beichtvater kam, der beym ersten Eintritt über den unvermutheten Anblick dieser geschmückten Mumie allerdings sehr erschrak.
Da ich noch in Leyden war, starb die Frau mei- nes Stiefbruders. Sie war in der That ein from- mes ehrliches Weib, das ihren Mann aufrichtig liebte, aller Welt mit Vergnügen diente, keinen Menschen beleidigte. Den einzigen Fehler hatte
sie
K 5
Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
Bey Meſſalinen, die wir in voriger Woche begraben haben, konnte man viel leichter entdek- ken, daß ſie in ihrem Alter noch eben diejenige war, die ſie in ihrer Jugend geweſen. Sie war das ſeltene Beyſpiel einer ſtandhaften Jungfer, welche ſich niemals hat entſchließen koͤnnen, eine Mannsperſon ganz und gar zu heirathen. Dieſes hinderte ſie nicht, von ihrem vierzehnten Jahre an bis ins vierzigſte in einem beſtaͤndig abwechſeln- den Eheſtande zu leben. Der Reiz verſchwand mit ihrer Jugend; der Zeit zum Trotz malte ſie den entflohenen Reiz auf ihre Wangen. Noch auf ihrem Todbette, da ihr Beichtvater zu ihr kom- men, und ihr den letzten Dienſt leiſten wollte, den Sterbende verlangen; noch alsdenn ließ ſie ſich den Spiegel vors Bette ſetzen, ſchlug den ſparſamen Reſt ihrer grauen Haare in Locken, druͤckte zwo kleine verraͤtheriſche Muſchen zwiſchen die Runzeln an den Augen, laͤchelte ſich im Spiegel beyfaͤllig an, und ſchob das Halstuch nachlaͤßig zuruͤck. Durch dieſe Zubereitung zu ihrem Ende erkaͤltete ſie ſich, und ſtarb, noch ehe der Beichtvater kam, der beym erſten Eintritt uͤber den unvermutheten Anblick dieſer geſchmuͤckten Mumie allerdings ſehr erſchrak.
Da ich noch in Leyden war, ſtarb die Frau mei- nes Stiefbruders. Sie war in der That ein from- mes ehrliches Weib, das ihren Mann aufrichtig liebte, aller Welt mit Vergnuͤgen diente, keinen Menſchen beleidigte. Den einzigen Fehler hatte
ſie
K 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0175"n="153"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.</hi></fw><lb/><p>Bey <hirendition="#fr">Meſſalinen,</hi> die wir in voriger Woche<lb/>
begraben haben, konnte man viel leichter entdek-<lb/>
ken, daß ſie in ihrem Alter noch eben diejenige<lb/>
war, die ſie in ihrer Jugend geweſen. Sie war<lb/>
das ſeltene Beyſpiel einer ſtandhaften Jungfer,<lb/>
welche ſich niemals hat entſchließen koͤnnen, eine<lb/>
Mannsperſon ganz und gar zu heirathen. Dieſes<lb/>
hinderte ſie nicht, von ihrem vierzehnten Jahre<lb/>
an bis ins vierzigſte in einem beſtaͤndig abwechſeln-<lb/>
den Eheſtande zu leben. Der Reiz verſchwand<lb/>
mit ihrer Jugend; der Zeit zum Trotz malte ſie<lb/>
den entflohenen Reiz auf ihre Wangen. Noch<lb/>
auf ihrem Todbette, da ihr Beichtvater zu ihr kom-<lb/>
men, und ihr den letzten Dienſt leiſten wollte, den<lb/>
Sterbende verlangen; noch alsdenn ließ ſie ſich den<lb/>
Spiegel vors Bette ſetzen, ſchlug den ſparſamen<lb/>
Reſt ihrer grauen Haare in Locken, druͤckte zwo<lb/>
kleine verraͤtheriſche Muſchen zwiſchen die Runzeln<lb/>
an den Augen, laͤchelte ſich im Spiegel beyfaͤllig<lb/>
an, und ſchob das Halstuch nachlaͤßig zuruͤck.<lb/>
Durch dieſe Zubereitung zu ihrem Ende erkaͤltete<lb/>ſie ſich, und ſtarb, noch ehe der Beichtvater kam,<lb/>
der beym erſten Eintritt uͤber den unvermutheten<lb/>
Anblick dieſer geſchmuͤckten Mumie allerdings ſehr<lb/>
erſchrak.</p><lb/><p>Da ich noch in Leyden war, ſtarb die Frau mei-<lb/>
nes Stiefbruders. Sie war in der That ein from-<lb/>
mes ehrliches Weib, das ihren Mann aufrichtig<lb/>
liebte, aller Welt mit Vergnuͤgen diente, keinen<lb/>
Menſchen beleidigte. Den einzigen Fehler hatte<lb/><fwplace="bottom"type="sig">K 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">ſie</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[153/0175]
Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
Bey Meſſalinen, die wir in voriger Woche
begraben haben, konnte man viel leichter entdek-
ken, daß ſie in ihrem Alter noch eben diejenige
war, die ſie in ihrer Jugend geweſen. Sie war
das ſeltene Beyſpiel einer ſtandhaften Jungfer,
welche ſich niemals hat entſchließen koͤnnen, eine
Mannsperſon ganz und gar zu heirathen. Dieſes
hinderte ſie nicht, von ihrem vierzehnten Jahre
an bis ins vierzigſte in einem beſtaͤndig abwechſeln-
den Eheſtande zu leben. Der Reiz verſchwand
mit ihrer Jugend; der Zeit zum Trotz malte ſie
den entflohenen Reiz auf ihre Wangen. Noch
auf ihrem Todbette, da ihr Beichtvater zu ihr kom-
men, und ihr den letzten Dienſt leiſten wollte, den
Sterbende verlangen; noch alsdenn ließ ſie ſich den
Spiegel vors Bette ſetzen, ſchlug den ſparſamen
Reſt ihrer grauen Haare in Locken, druͤckte zwo
kleine verraͤtheriſche Muſchen zwiſchen die Runzeln
an den Augen, laͤchelte ſich im Spiegel beyfaͤllig
an, und ſchob das Halstuch nachlaͤßig zuruͤck.
Durch dieſe Zubereitung zu ihrem Ende erkaͤltete
ſie ſich, und ſtarb, noch ehe der Beichtvater kam,
der beym erſten Eintritt uͤber den unvermutheten
Anblick dieſer geſchmuͤckten Mumie allerdings ſehr
erſchrak.
Da ich noch in Leyden war, ſtarb die Frau mei-
nes Stiefbruders. Sie war in der That ein from-
mes ehrliches Weib, das ihren Mann aufrichtig
liebte, aller Welt mit Vergnuͤgen diente, keinen
Menſchen beleidigte. Den einzigen Fehler hatte
ſie
K 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/175>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.