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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
der unglückliche Herkommann aber schlich beschämt
nach Hause, und klagte seinem Meister den trau-
rigen Ausgang seines ersten Angriffs. Dieser
erfahrne Mann munterte ihn auf. Er gestund
ihm, daß es sehr schwer sey, vor den Augen eines
unpartheyischen Richters, und eines erfahrnen
Gegners eine ungerechte Sache gelassen zu ver-
theidigen: Zugleich aber versicherte er ihm, es sey
ein sehr seltnes Phänomenon, einen solchen
Richter, und einen solchen Gegner beysammen zu
finden. Muth müsse er fassen, dem Richter be-
ständig widersprechen, seinen Gegner durch persön-
liche Vorwürfe und Grobheiten erhitzen; mit ei-
nem Worte, wenn er sie nicht mit der Bindigkeit
der Beweise überführen könne, so müsse er sie
durch die Stärke seiner Lunge überschreyen. Oft
lernt ein junger Feldherr durch den Verlust einer
Schlacht mehr Kriegskunst, als durch den vor-
theilhaftesten Sieg: Unserm Herkommann wie-
derfuhr eben dieses. Durch sein Unglück ward er
groß. Bisher hatte er sich vornehmlich nur die-
ses angelegen seyn lassen, wie er die unbequemen
Regungen eines ersterbenden Gewissens nieder-
drücke, und sein Gesicht gewöhne, niemals zu er-
röthen: Nun arbeitete er auch an seiner Lunge,
und arbeitete mit einem so glücklichen Erfolge, daß
er mit der Dreistigkeit eines alten legalen Betrü-
gers in kurzer Zeit den Richter betäubte, und den
Gegentheil überschrye. Nunmehr ward er allen
Richterstuben schrecklich, und in der ganzen Ge-
gend als ein großer Advocat berühmt. Wittwen

und
L 3

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
der ungluͤckliche Herkommann aber ſchlich beſchaͤmt
nach Hauſe, und klagte ſeinem Meiſter den trau-
rigen Ausgang ſeines erſten Angriffs. Dieſer
erfahrne Mann munterte ihn auf. Er geſtund
ihm, daß es ſehr ſchwer ſey, vor den Augen eines
unpartheyiſchen Richters, und eines erfahrnen
Gegners eine ungerechte Sache gelaſſen zu ver-
theidigen: Zugleich aber verſicherte er ihm, es ſey
ein ſehr ſeltnes Phaͤnomenon, einen ſolchen
Richter, und einen ſolchen Gegner beyſammen zu
finden. Muth muͤſſe er faſſen, dem Richter be-
ſtaͤndig widerſprechen, ſeinen Gegner durch perſoͤn-
liche Vorwuͤrfe und Grobheiten erhitzen; mit ei-
nem Worte, wenn er ſie nicht mit der Bindigkeit
der Beweiſe uͤberfuͤhren koͤnne, ſo muͤſſe er ſie
durch die Staͤrke ſeiner Lunge uͤberſchreyen. Oft
lernt ein junger Feldherr durch den Verluſt einer
Schlacht mehr Kriegskunſt, als durch den vor-
theilhafteſten Sieg: Unſerm Herkommann wie-
derfuhr eben dieſes. Durch ſein Ungluͤck ward er
groß. Bisher hatte er ſich vornehmlich nur die-
ſes angelegen ſeyn laſſen, wie er die unbequemen
Regungen eines erſterbenden Gewiſſens nieder-
druͤcke, und ſein Geſicht gewoͤhne, niemals zu er-
roͤthen: Nun arbeitete er auch an ſeiner Lunge,
und arbeitete mit einem ſo gluͤcklichen Erfolge, daß
er mit der Dreiſtigkeit eines alten legalen Betruͤ-
gers in kurzer Zeit den Richter betaͤubte, und den
Gegentheil uͤberſchrye. Nunmehr ward er allen
Richterſtuben ſchrecklich, und in der ganzen Ge-
gend als ein großer Advocat beruͤhmt. Wittwen

und
L 3
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[165/0187] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. der ungluͤckliche Herkommann aber ſchlich beſchaͤmt nach Hauſe, und klagte ſeinem Meiſter den trau- rigen Ausgang ſeines erſten Angriffs. Dieſer erfahrne Mann munterte ihn auf. Er geſtund ihm, daß es ſehr ſchwer ſey, vor den Augen eines unpartheyiſchen Richters, und eines erfahrnen Gegners eine ungerechte Sache gelaſſen zu ver- theidigen: Zugleich aber verſicherte er ihm, es ſey ein ſehr ſeltnes Phaͤnomenon, einen ſolchen Richter, und einen ſolchen Gegner beyſammen zu finden. Muth muͤſſe er faſſen, dem Richter be- ſtaͤndig widerſprechen, ſeinen Gegner durch perſoͤn- liche Vorwuͤrfe und Grobheiten erhitzen; mit ei- nem Worte, wenn er ſie nicht mit der Bindigkeit der Beweiſe uͤberfuͤhren koͤnne, ſo muͤſſe er ſie durch die Staͤrke ſeiner Lunge uͤberſchreyen. Oft lernt ein junger Feldherr durch den Verluſt einer Schlacht mehr Kriegskunſt, als durch den vor- theilhafteſten Sieg: Unſerm Herkommann wie- derfuhr eben dieſes. Durch ſein Ungluͤck ward er groß. Bisher hatte er ſich vornehmlich nur die- ſes angelegen ſeyn laſſen, wie er die unbequemen Regungen eines erſterbenden Gewiſſens nieder- druͤcke, und ſein Geſicht gewoͤhne, niemals zu er- roͤthen: Nun arbeitete er auch an ſeiner Lunge, und arbeitete mit einem ſo gluͤcklichen Erfolge, daß er mit der Dreiſtigkeit eines alten legalen Betruͤ- gers in kurzer Zeit den Richter betaͤubte, und den Gegentheil uͤberſchrye. Nunmehr ward er allen Richterſtuben ſchrecklich, und in der ganzen Ge- gend als ein großer Advocat beruͤhmt. Wittwen und L 3

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/187>, abgerufen am 23.11.2024.