Die Ehen, die man auf den Schulen schließt, gehören, nach dem angenommenen Verstande un- sers Sprüchworts, ganz unstreitig unter die Ehen, die im Himmel geschlossen werden; denn der Ver- stand hat selten einigen Antheil daran. Und den- noch glaube ich, daß sie sich nach der heutigen Art zu lieben, und zu heirathen, wohl entschuldigen lassen. Man weis das deutsche Sprüchwort: Jung gefreyt, hat niemanden gereut. Das Sprüchwort hat Recht. Die Jugend ist zu aus- schweifend, zu schwer zu bändigen, man lasse sie heirathen! Ein Jahr im Ehestande leben, macht weit zahmer, als zehn moralische Folianten lesen. Kann es wohl iemals einen jungen Menschen ge- reuen, daß er bey Zeiten vernünftig geworden ist? Die meisten jungen Leute, wenigstens diejenigen, die aus vornehmen Häusern sind, wachsen nur um deßwillen groß, damit sie eine Frau nehmen können: So gebe man ihnen doch eine Frau, so- bald sie groß genug sind, Vater zu werden. Mit einem Worte: man thut Unrecht, wenn man wi- der dergleichen Universitätsromane zu altväterisch eifert. Es ist wahr; solche verehlichte Kinder werden selten, vielleicht niemals, eine glückliche und vergnügte Ehe haben: Aber heirathet man denn heut zu Tage nur um deßwillen, daß man glücklich und vergnügt leben will? Jch wundre mich sehr, daß man noch itzt solche Einwürfe ma- chen kann, die sich kaum bey unsern einfältigen Vorältern entschuldigen ließen.
Alles
Q 2
Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
Die Ehen, die man auf den Schulen ſchließt, gehoͤren, nach dem angenommenen Verſtande un- ſers Spruͤchworts, ganz unſtreitig unter die Ehen, die im Himmel geſchloſſen werden; denn der Ver- ſtand hat ſelten einigen Antheil daran. Und den- noch glaube ich, daß ſie ſich nach der heutigen Art zu lieben, und zu heirathen, wohl entſchuldigen laſſen. Man weis das deutſche Spruͤchwort: Jung gefreyt, hat niemanden gereut. Das Spruͤchwort hat Recht. Die Jugend iſt zu aus- ſchweifend, zu ſchwer zu baͤndigen, man laſſe ſie heirathen! Ein Jahr im Eheſtande leben, macht weit zahmer, als zehn moraliſche Folianten leſen. Kann es wohl iemals einen jungen Menſchen ge- reuen, daß er bey Zeiten vernuͤnftig geworden iſt? Die meiſten jungen Leute, wenigſtens diejenigen, die aus vornehmen Haͤuſern ſind, wachſen nur um deßwillen groß, damit ſie eine Frau nehmen koͤnnen: So gebe man ihnen doch eine Frau, ſo- bald ſie groß genug ſind, Vater zu werden. Mit einem Worte: man thut Unrecht, wenn man wi- der dergleichen Univerſitaͤtsromane zu altvaͤteriſch eifert. Es iſt wahr; ſolche verehlichte Kinder werden ſelten, vielleicht niemals, eine gluͤckliche und vergnuͤgte Ehe haben: Aber heirathet man denn heut zu Tage nur um deßwillen, daß man gluͤcklich und vergnuͤgt leben will? Jch wundre mich ſehr, daß man noch itzt ſolche Einwuͤrfe ma- chen kann, die ſich kaum bey unſern einfaͤltigen Voraͤltern entſchuldigen ließen.
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Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
Die Ehen, die man auf den Schulen ſchließt,
gehoͤren, nach dem angenommenen Verſtande un-
ſers Spruͤchworts, ganz unſtreitig unter die Ehen,
die im Himmel geſchloſſen werden; denn der Ver-
ſtand hat ſelten einigen Antheil daran. Und den-
noch glaube ich, daß ſie ſich nach der heutigen Art
zu lieben, und zu heirathen, wohl entſchuldigen
laſſen. Man weis das deutſche Spruͤchwort:
Jung gefreyt, hat niemanden gereut. Das
Spruͤchwort hat Recht. Die Jugend iſt zu aus-
ſchweifend, zu ſchwer zu baͤndigen, man laſſe ſie
heirathen! Ein Jahr im Eheſtande leben, macht
weit zahmer, als zehn moraliſche Folianten leſen.
Kann es wohl iemals einen jungen Menſchen ge-
reuen, daß er bey Zeiten vernuͤnftig geworden iſt?
Die meiſten jungen Leute, wenigſtens diejenigen,
die aus vornehmen Haͤuſern ſind, wachſen nur
um deßwillen groß, damit ſie eine Frau nehmen
koͤnnen: So gebe man ihnen doch eine Frau, ſo-
bald ſie groß genug ſind, Vater zu werden. Mit
einem Worte: man thut Unrecht, wenn man wi-
der dergleichen Univerſitaͤtsromane zu altvaͤteriſch
eifert. Es iſt wahr; ſolche verehlichte Kinder
werden ſelten, vielleicht niemals, eine gluͤckliche
und vergnuͤgte Ehe haben: Aber heirathet man
denn heut zu Tage nur um deßwillen, daß man
gluͤcklich und vergnuͤgt leben will? Jch wundre
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/265>, abgerufen am 22.11.2024.
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