Gedanke von der Treue ihrer Haushälterinn, oder wie sie etwan heißen mag, faßt so viel stolze Eigen- liebe in sich, daß sie für die Freyheit, so zu denken, nicht genug geben können. Wie viel Reizungen, wie viel männliche Vollkommenheiten müssen sie von sich selbst träumen, wenn sie glauben, daß ihre Gebieterinnen, (denn Gebieterinnen sind sie im- mer,) nur ihnen nicht, sonst allen widerstehen, nur ihnen nicht untreu seyn können, da sie es vorher zehen andern gewesen, und, daß sie gegen alle Welt die unerbittliche Strenge vestalischer Jungfrauen gebrauchen werden, da doch sie vermögend waren, die zweydeutige Tugend derselben durch Ueberlas- sung mittelmäßiger Vortheile wankend zu machen! Kann wohl etwas lächerlicher seyn? Mit einem Worte: Sie sollen geben - - - - 5 fl. -, und dafür sollen sie das Recht haben, zu glauben, was kein Mensch glaubt.
Alte Junggesellen, welche an ihre Jugendsün- den so wenig zurück denken, daß sie das Herz ha- ben, noch im funfzigsten Jahre ein Mädchen von zwanzig Jahren zu heirathen, sollen jährlich 11/2 fl. erlegen, und dafür die Freyheit erkaufen, nicht zu glauben, daß sie was thörichtes gethan haben.
Alte Junggesellen, die alte reiche Wittwen heirathen, um in den nächsten fünf Jahren reich zu sterben, sollen nichts geben, und doch die Er- laubniß haben, zu denken, daß ihre Wahl sehr vernünftig sey. Die Freude ist ohnedem von
kur-
S 2
Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
Gedanke von der Treue ihrer Haushaͤlterinn, oder wie ſie etwan heißen mag, faßt ſo viel ſtolze Eigen- liebe in ſich, daß ſie fuͤr die Freyheit, ſo zu denken, nicht genug geben koͤnnen. Wie viel Reizungen, wie viel maͤnnliche Vollkommenheiten muͤſſen ſie von ſich ſelbſt traͤumen, wenn ſie glauben, daß ihre Gebieterinnen, (denn Gebieterinnen ſind ſie im- mer,) nur ihnen nicht, ſonſt allen widerſtehen, nur ihnen nicht untreu ſeyn koͤnnen, da ſie es vorher zehen andern geweſen, und, daß ſie gegen alle Welt die unerbittliche Strenge veſtaliſcher Jungfrauen gebrauchen werden, da doch ſie vermoͤgend waren, die zweydeutige Tugend derſelben durch Ueberlaſ- ſung mittelmaͤßiger Vortheile wankend zu machen! Kann wohl etwas laͤcherlicher ſeyn? Mit einem Worte: Sie ſollen geben ‒ ‒ ‒ ‒ 5 fl. ‒, und dafuͤr ſollen ſie das Recht haben, zu glauben, was kein Menſch glaubt.
Alte Junggeſellen, welche an ihre Jugendſuͤn- den ſo wenig zuruͤck denken, daß ſie das Herz ha- ben, noch im funfzigſten Jahre ein Maͤdchen von zwanzig Jahren zu heirathen, ſollen jaͤhrlich 1½ fl. erlegen, und dafuͤr die Freyheit erkaufen, nicht zu glauben, daß ſie was thoͤrichtes gethan haben.
Alte Junggeſellen, die alte reiche Wittwen heirathen, um in den naͤchſten fuͤnf Jahren reich zu ſterben, ſollen nichts geben, und doch die Er- laubniß haben, zu denken, daß ihre Wahl ſehr vernuͤnftig ſey. Die Freude iſt ohnedem von
kur-
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Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
Gedanke von der Treue ihrer Haushaͤlterinn, oder
wie ſie etwan heißen mag, faßt ſo viel ſtolze Eigen-
liebe in ſich, daß ſie fuͤr die Freyheit, ſo zu denken,
nicht genug geben koͤnnen. Wie viel Reizungen,
wie viel maͤnnliche Vollkommenheiten muͤſſen ſie
von ſich ſelbſt traͤumen, wenn ſie glauben, daß ihre
Gebieterinnen, (denn Gebieterinnen ſind ſie im-
mer,) nur ihnen nicht, ſonſt allen widerſtehen, nur
ihnen nicht untreu ſeyn koͤnnen, da ſie es vorher
zehen andern geweſen, und, daß ſie gegen alle Welt
die unerbittliche Strenge veſtaliſcher Jungfrauen
gebrauchen werden, da doch ſie vermoͤgend waren,
die zweydeutige Tugend derſelben durch Ueberlaſ-
ſung mittelmaͤßiger Vortheile wankend zu machen!
Kann wohl etwas laͤcherlicher ſeyn? Mit einem
Worte: Sie ſollen geben ‒ ‒ ‒ ‒ 5 fl. ‒,
und dafuͤr ſollen ſie das Recht haben, zu glauben,
was kein Menſch glaubt.
Alte Junggeſellen, welche an ihre Jugendſuͤn-
den ſo wenig zuruͤck denken, daß ſie das Herz ha-
ben, noch im funfzigſten Jahre ein Maͤdchen von
zwanzig Jahren zu heirathen, ſollen jaͤhrlich 1½ fl.
erlegen, und dafuͤr die Freyheit erkaufen, nicht zu
glauben, daß ſie was thoͤrichtes gethan haben.
Alte Junggeſellen, die alte reiche Wittwen
heirathen, um in den naͤchſten fuͤnf Jahren reich
zu ſterben, ſollen nichts geben, und doch die Er-
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/297>, abgerufen am 22.11.2024.
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