[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.Abhandlung von Sprüchwörtern. unsre Beqvemlichkeit, und bringt uns mit den ent-ferntesten Gegenden der Welt in die genaueste Verbindung, ohne daß wir es merken, und ohne daß wir nöthig haben, etwas weiter zu thun, als ihm einen geringen Vortheil für seine Mühe zu gönnen. Wie viel Sachen würden wir entbeh- ren müssen, welche die Gewohnheit, die Bequem- lichkeit, und, wenn ich es sagen darf, unsre Wol- lust unentbehrlich gemacht haben? Ohne die Handlung würden wir genöthigt seyn, uns mit der Armuth unsers Vaterlandes kümmerlich zu behelfen, an statt daß wir uns nunmehr den Ue- berfluß der entferntesten Himmelsgegenden eigen machen. Der Gelehrte sieht dieses; er läßt sich den Vortheil gefallen, und verachtet in seinem Her- zen den Mann, der sein Leben und seine Beqvem- lichkeit daran wagt, uns so viele Beqvemlichkeit des Lebens zu verschaffen. - - - Aber dieser Mann weis doch nichts von dem unendlich Theilbaren, nichts von Mitteln und Zwecken, nichts von dem Satze des Widerspruchs, nichts von der Circu- lirung des Geblüts, von seinen eignen Muskeln nichts. Er ißt, und weis nicht, wie er verdaut; er trinkt, und weis nicht, wie dieser Trank sich in so verschiedne Säfte verwandelt. Er wird nach Jtalien reisen, ohne den Vesuv zu besehen, und ohne in Rom nach der Gegend zu fragen, in wel- cher das Haus des Cicero gestanden hat. Er wird sich die Schätze von Florenz zeigen lassen; aber nicht den Codex. Er kennt Surinam und die Levante, und weis nicht, wo Troja gelegen hat. Xan-
Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. unſre Beqvemlichkeit, und bringt uns mit den ent-fernteſten Gegenden der Welt in die genaueſte Verbindung, ohne daß wir es merken, und ohne daß wir noͤthig haben, etwas weiter zu thun, als ihm einen geringen Vortheil fuͤr ſeine Muͤhe zu goͤnnen. Wie viel Sachen wuͤrden wir entbeh- ren muͤſſen, welche die Gewohnheit, die Bequem- lichkeit, und, wenn ich es ſagen darf, unſre Wol- luſt unentbehrlich gemacht haben? Ohne die Handlung wuͤrden wir genoͤthigt ſeyn, uns mit der Armuth unſers Vaterlandes kuͤmmerlich zu behelfen, an ſtatt daß wir uns nunmehr den Ue- berfluß der entfernteſten Himmelsgegenden eigen machen. Der Gelehrte ſieht dieſes; er laͤßt ſich den Vortheil gefallen, und verachtet in ſeinem Her- zen den Mann, der ſein Leben und ſeine Beqvem- lichkeit daran wagt, uns ſo viele Beqvemlichkeit des Lebens zu verſchaffen. ‒ ‒ ‒ Aber dieſer Mann weis doch nichts von dem unendlich Theilbaren, nichts von Mitteln und Zwecken, nichts von dem Satze des Widerſpruchs, nichts von der Circu- lirung des Gebluͤts, von ſeinen eignen Muskeln nichts. Er ißt, und weis nicht, wie er verdaut; er trinkt, und weis nicht, wie dieſer Trank ſich in ſo verſchiedne Saͤfte verwandelt. Er wird nach Jtalien reiſen, ohne den Veſuv zu beſehen, und ohne in Rom nach der Gegend zu fragen, in wel- cher das Haus des Cicero geſtanden hat. Er wird ſich die Schaͤtze von Florenz zeigen laſſen; aber nicht den Codex. Er kennt Surinam und die Levante, und weis nicht, wo Troja gelegen hat. Xan-
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Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
unſre Beqvemlichkeit, und bringt uns mit den ent-
fernteſten Gegenden der Welt in die genaueſte
Verbindung, ohne daß wir es merken, und ohne
daß wir noͤthig haben, etwas weiter zu thun, als
ihm einen geringen Vortheil fuͤr ſeine Muͤhe zu
goͤnnen. Wie viel Sachen wuͤrden wir entbeh-
ren muͤſſen, welche die Gewohnheit, die Bequem-
lichkeit, und, wenn ich es ſagen darf, unſre Wol-
luſt unentbehrlich gemacht haben? Ohne die
Handlung wuͤrden wir genoͤthigt ſeyn, uns mit
der Armuth unſers Vaterlandes kuͤmmerlich zu
behelfen, an ſtatt daß wir uns nunmehr den Ue-
berfluß der entfernteſten Himmelsgegenden eigen
machen. Der Gelehrte ſieht dieſes; er laͤßt ſich
den Vortheil gefallen, und verachtet in ſeinem Her-
zen den Mann, der ſein Leben und ſeine Beqvem-
lichkeit daran wagt, uns ſo viele Beqvemlichkeit
des Lebens zu verſchaffen. ‒ ‒ ‒ Aber dieſer Mann
weis doch nichts von dem unendlich Theilbaren,
nichts von Mitteln und Zwecken, nichts von dem
Satze des Widerſpruchs, nichts von der Circu-
lirung des Gebluͤts, von ſeinen eignen Muskeln
nichts. Er ißt, und weis nicht, wie er verdaut;
er trinkt, und weis nicht, wie dieſer Trank ſich in
ſo verſchiedne Saͤfte verwandelt. Er wird nach
Jtalien reiſen, ohne den Veſuv zu beſehen, und
ohne in Rom nach der Gegend zu fragen, in wel-
cher das Haus des Cicero geſtanden hat. Er
wird ſich die Schaͤtze von Florenz zeigen laſſen; aber
nicht den Codex. Er kennt Surinam und die
Levante, und weis nicht, wo Troja gelegen hat.
Xan-
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