gend, die unter unsern Schülern nicht allgemein ist! Jch kenne Deutsche, welche an Deiner Weis- heit und Gelehrsamkeit zweifeln werden, da man nicht ein Blatt, geschweige einen Folianten, von Deinen Schriften aufzuweisen hat. Desto schlimmer für uns! Der Schade ist unsrer Nach- welt unersetzlich. Mit wie viel Vergnügen und Erbauung würden wir Deine Schriften lesen, und ihre Schriften aus den Händen werfen! Es war ein Fehler Deiner Zeit, wo man noch wenig schrieb, und desto mehr dachte. Bey unsern Zeiten ist dieses der Fehler, daß viele ohne Ueber- legung schreiben, was Du, weiser Esel, nur zu denken, Dich würdest geschämt haben. Hätte Dir die Natur die Vorzüge gegönnt, ein Autor wer- den zu können, wie hoch würde Dein Ruhm ge- stiegen seyn! Und dennoch bist Du schon unsterb- lich, da Myriaden von Schriftstellern seit Deiner Zeit in die ewige Nacht der Vergessenheit gestürzt worden sind.
Die Mäßigkeit ist eine Tugend, welche unsern meisten Sittenpredigern nicht allemal eigen ist. Wenigstens habe ich in meiner Jugend zu Leyden einen Mann gekannt, der ein Meister der Weis- heit hieß, der sein Brodt durch das Lehren der Moral verdiente, und der alles, was er verdiente, durch die niederträchtigsten Ausschweifungen ver- that. Unendlich tief hätte er, ungeachtet seines Lorbers, unter Dir, gesittetem Esel, stehen sollen. Die ganze Geschichte des Heldes von Mancha zeigt uns nicht eine einzige Spur, daß Du iemals
in
Zueignungsſchrift.
gend, die unter unſern Schuͤlern nicht allgemein iſt! Jch kenne Deutſche, welche an Deiner Weis- heit und Gelehrſamkeit zweifeln werden, da man nicht ein Blatt, geſchweige einen Folianten, von Deinen Schriften aufzuweiſen hat. Deſto ſchlimmer fuͤr uns! Der Schade iſt unſrer Nach- welt unerſetzlich. Mit wie viel Vergnuͤgen und Erbauung wuͤrden wir Deine Schriften leſen, und ihre Schriften aus den Haͤnden werfen! Es war ein Fehler Deiner Zeit, wo man noch wenig ſchrieb, und deſto mehr dachte. Bey unſern Zeiten iſt dieſes der Fehler, daß viele ohne Ueber- legung ſchreiben, was Du, weiſer Eſel, nur zu denken, Dich wuͤrdeſt geſchaͤmt haben. Haͤtte Dir die Natur die Vorzuͤge gegoͤnnt, ein Autor wer- den zu koͤnnen, wie hoch wuͤrde Dein Ruhm ge- ſtiegen ſeyn! Und dennoch biſt Du ſchon unſterb- lich, da Myriaden von Schriftſtellern ſeit Deiner Zeit in die ewige Nacht der Vergeſſenheit geſtuͤrzt worden ſind.
Die Maͤßigkeit iſt eine Tugend, welche unſern meiſten Sittenpredigern nicht allemal eigen iſt. Wenigſtens habe ich in meiner Jugend zu Leyden einen Mann gekannt, der ein Meiſter der Weis- heit hieß, der ſein Brodt durch das Lehren der Moral verdiente, und der alles, was er verdiente, durch die niedertraͤchtigſten Ausſchweifungen ver- that. Unendlich tief haͤtte er, ungeachtet ſeines Lorbers, unter Dir, geſittetem Eſel, ſtehen ſollen. Die ganze Geſchichte des Heldes von Mancha zeigt uns nicht eine einzige Spur, daß Du iemals
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Zueignungsſchrift.
gend, die unter unſern Schuͤlern nicht allgemein
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heit und Gelehrſamkeit zweifeln werden, da man
nicht ein Blatt, geſchweige einen Folianten, von
Deinen Schriften aufzuweiſen hat. Deſto
ſchlimmer fuͤr uns! Der Schade iſt unſrer Nach-
welt unerſetzlich. Mit wie viel Vergnuͤgen und
Erbauung wuͤrden wir Deine Schriften leſen, und
ihre Schriften aus den Haͤnden werfen! Es war
ein Fehler Deiner Zeit, wo man noch wenig
ſchrieb, und deſto mehr dachte. Bey unſern
Zeiten iſt dieſes der Fehler, daß viele ohne Ueber-
legung ſchreiben, was Du, weiſer Eſel, nur zu
denken, Dich wuͤrdeſt geſchaͤmt haben. Haͤtte Dir
die Natur die Vorzuͤge gegoͤnnt, ein Autor wer-
den zu koͤnnen, wie hoch wuͤrde Dein Ruhm ge-
ſtiegen ſeyn! Und dennoch biſt Du ſchon unſterb-
lich, da Myriaden von Schriftſtellern ſeit Deiner
Zeit in die ewige Nacht der Vergeſſenheit geſtuͤrzt
worden ſind.
Die Maͤßigkeit iſt eine Tugend, welche unſern
meiſten Sittenpredigern nicht allemal eigen iſt.
Wenigſtens habe ich in meiner Jugend zu Leyden
einen Mann gekannt, der ein Meiſter der Weis-
heit hieß, der ſein Brodt durch das Lehren der
Moral verdiente, und der alles, was er verdiente,
durch die niedertraͤchtigſten Ausſchweifungen ver-
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/34>, abgerufen am 03.12.2024.
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