Der Pöbel am Hofe, und der Pöbel in der Stadt, fand nichts als Untugenden und lächerliche Feh- ler an ihr; denn sie war sehr häßlich.
Diese allgemeine Verachtung war ihr sehr empfindlich. Sie wußte die Ursachen derselben, sie wußte, daß diese Ursachen aufhören würden, so bald ihre Bezauberung aufhörte. Sie wünschte aus Liebe zu ihrem Gemahle, zu ihrem Volke, und zu sich selbst, daß sie ihre vorige Gestalt wieder be- kommen möchte: Aber mitten in diesem Wunsche hielt sie inne, und zitterte, wenn es ihr einfiel, daß dieser Wunsch nicht anders, als durch den Tod ihres Großvaters, den sie so sehr liebte, erfüllt werden könnte. Sie wünschte, daß er noch lange leben möchte: und damit dieses desto gewisser ge- schähe; so verlangte sie, häßlich und ungestalt zu bleiben. *
Jhr gemeinschaftlicher Feind, der unversöhn- liche Ciongock, wußte wohl, daß diese Zauberey durch den Tod des alten Königes aufhören werde; er wußte auch, daß dieser Tod in wenigen Mon- den erfolgen müsse. Er konnte urtheilen, wie sehr T' Siamma und seine Gemahlinn sich als- denn lieben würden, da nicht einmal ihre Häßlich- keit diese Liebe hatte hindern können. Ein solches
Glück
* Hier muß ein Fehler im Originale seyn; denn kein Frauen- zimmer, wenigstens in Europa keines, wird einen so wi- dernatürlichen Wunsch für das Leben ihres Mannes, ge- schweige ihres Großvaters, thun.
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Erſtes Buch.
Der Poͤbel am Hofe, und der Poͤbel in der Stadt, fand nichts als Untugenden und laͤcherliche Feh- ler an ihr; denn ſie war ſehr haͤßlich.
Dieſe allgemeine Verachtung war ihr ſehr empfindlich. Sie wußte die Urſachen derſelben, ſie wußte, daß dieſe Urſachen aufhoͤren wuͤrden, ſo bald ihre Bezauberung aufhoͤrte. Sie wuͤnſchte aus Liebe zu ihrem Gemahle, zu ihrem Volke, und zu ſich ſelbſt, daß ſie ihre vorige Geſtalt wieder be- kommen moͤchte: Aber mitten in dieſem Wunſche hielt ſie inne, und zitterte, wenn es ihr einfiel, daß dieſer Wunſch nicht anders, als durch den Tod ihres Großvaters, den ſie ſo ſehr liebte, erfuͤllt werden koͤnnte. Sie wuͤnſchte, daß er noch lange leben moͤchte: und damit dieſes deſto gewiſſer ge- ſchaͤhe; ſo verlangte ſie, haͤßlich und ungeſtalt zu bleiben. *
Jhr gemeinſchaftlicher Feind, der unverſoͤhn- liche Ciongock, wußte wohl, daß dieſe Zauberey durch den Tod des alten Koͤniges aufhoͤren werde; er wußte auch, daß dieſer Tod in wenigen Mon- den erfolgen muͤſſe. Er konnte urtheilen, wie ſehr T’ Siamma und ſeine Gemahlinn ſich als- denn lieben wuͤrden, da nicht einmal ihre Haͤßlich- keit dieſe Liebe hatte hindern koͤnnen. Ein ſolches
Gluͤck
* Hier muß ein Fehler im Originale ſeyn; denn kein Frauen- zimmer, wenigſtens in Europa keines, wird einen ſo wi- dernatuͤrlichen Wunſch fuͤr das Leben ihres Mannes, ge- ſchweige ihres Großvaters, thun.
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[481[479]/0503]
Erſtes Buch.
Der Poͤbel am Hofe, und der Poͤbel in der Stadt,
fand nichts als Untugenden und laͤcherliche Feh-
ler an ihr; denn ſie war ſehr haͤßlich.
Dieſe allgemeine Verachtung war ihr ſehr
empfindlich. Sie wußte die Urſachen derſelben,
ſie wußte, daß dieſe Urſachen aufhoͤren wuͤrden,
ſo bald ihre Bezauberung aufhoͤrte. Sie wuͤnſchte
aus Liebe zu ihrem Gemahle, zu ihrem Volke, und
zu ſich ſelbſt, daß ſie ihre vorige Geſtalt wieder be-
kommen moͤchte: Aber mitten in dieſem Wunſche
hielt ſie inne, und zitterte, wenn es ihr einfiel,
daß dieſer Wunſch nicht anders, als durch den
Tod ihres Großvaters, den ſie ſo ſehr liebte, erfuͤllt
werden koͤnnte. Sie wuͤnſchte, daß er noch lange
leben moͤchte: und damit dieſes deſto gewiſſer ge-
ſchaͤhe; ſo verlangte ſie, haͤßlich und ungeſtalt zu
bleiben. *
Jhr gemeinſchaftlicher Feind, der unverſoͤhn-
liche Ciongock, wußte wohl, daß dieſe Zauberey
durch den Tod des alten Koͤniges aufhoͤren werde;
er wußte auch, daß dieſer Tod in wenigen Mon-
den erfolgen muͤſſe. Er konnte urtheilen, wie
ſehr T’ Siamma und ſeine Gemahlinn ſich als-
denn lieben wuͤrden, da nicht einmal ihre Haͤßlich-
keit dieſe Liebe hatte hindern koͤnnen. Ein ſolches
Gluͤck
* Hier muß ein Fehler im Originale ſeyn; denn kein Frauen-
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ſchweige ihres Großvaters, thun.
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 481[479]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/503>, abgerufen am 22.11.2024.
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