Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweytes Buch.
genbeweisartikel, die noch morgen übergeben wer-
den müssen. Hier kömmt ein Philosoph! (60)
ein Erzautor! Der wird sich gewiß darüber freuen;
denn er wird auf die moralische Absicht, und nicht
auf die Einkleidung sehen. Was soll das seyn?
wird er sprechen. Ein Märchen! Sieben mal sie-
ben! Wie spielt man mit der Moral! Der Autor
ist gewiß noch ein Kind, oder er sieht seine Leser
für Kinder an. Ganz hinten im Buchladen hat
sich ein finsterer Mensch (61) an den Tisch gelehnt,
und liest ihre Schrift, und liest sie ganz durch, und
schmeißt sie unter den Tisch, und geht verdrießlich
hinaus, ohne ein Wort zu sagen. Wer muß die-
ser Mensch seyn? Aber hier kömmt ein freundli-
cher schwarzer Mann, (62) welcher dem Verleger
ein ganz neuvermehrtes und durch und durch ver-
bessertes Gesangbuch anbietet. Er blättert in der
Auslage; er findet ihr Märchen, er liest es flüch-
tig durch, und legt es seufzend wieder weg. Dar-
innen steckt viel Gift! Der Verfasser scheint ein
Spinosist zu seyn. Jch will nicht richten; aber
wenigstens ein Feind der Geistlichen muß er seyn.
Sehen sie, spricht er zum Buchhändler, sehen sie ein-
mal die beiden Stellen hier im Märchen. Es sind die
letzten Zeiten, gewiß mein Herr, die letzten Zeiten!

Mada-
(60) Man darf nur die Qvartanten lesen, die seit zehen
Jahren herausgekommen sind, so wird man auf den mei-
sten Titeln finden: Autore O - - P - - E - -.
(61) Eigentlich heißt er R - - S - -: aber der finstre Mensch
sieht es nicht gern, daß man seinen Namen nennt.
(62) Jhro Wohl Ehrwürden Herr J - -, Pastor zu U - -
M m 3

Zweytes Buch.
genbeweisartikel, die noch morgen uͤbergeben wer-
den muͤſſen. Hier koͤmmt ein Philoſoph! (60)
ein Erzautor! Der wird ſich gewiß daruͤber freuen;
denn er wird auf die moraliſche Abſicht, und nicht
auf die Einkleidung ſehen. Was ſoll das ſeyn?
wird er ſprechen. Ein Maͤrchen! Sieben mal ſie-
ben! Wie ſpielt man mit der Moral! Der Autor
iſt gewiß noch ein Kind, oder er ſieht ſeine Leſer
fuͤr Kinder an. Ganz hinten im Buchladen hat
ſich ein finſterer Menſch (61) an den Tiſch gelehnt,
und lieſt ihre Schrift, und lieſt ſie ganz durch, und
ſchmeißt ſie unter den Tiſch, und geht verdrießlich
hinaus, ohne ein Wort zu ſagen. Wer muß die-
ſer Menſch ſeyn? Aber hier koͤmmt ein freundli-
cher ſchwarzer Mann, (62) welcher dem Verleger
ein ganz neuvermehrtes und durch und durch ver-
beſſertes Geſangbuch anbietet. Er blaͤttert in der
Auslage; er findet ihr Maͤrchen, er lieſt es fluͤch-
tig durch, und legt es ſeufzend wieder weg. Dar-
innen ſteckt viel Gift! Der Verfaſſer ſcheint ein
Spinoſiſt zu ſeyn. Jch will nicht richten; aber
wenigſtens ein Feind der Geiſtlichen muß er ſeyn.
Sehen ſie, ſpricht er zum Buchhaͤndler, ſehen ſie ein-
mal die beiden Stellen hier im Maͤrchen. Es ſind die
letzten Zeiten, gewiß mein Herr, die letzten Zeiten!

Mada-
(60) Man darf nur die Qvartanten leſen, die ſeit zehen
Jahren herausgekommen ſind, ſo wird man auf den mei-
ſten Titeln finden: Autore O ‒ ‒ P ‒ ‒ E ‒ ‒.
(61) Eigentlich heißt er R ‒ ‒ S ‒ ‒: aber der finſtre Menſch
ſieht es nicht gern, daß man ſeinen Namen nennt.
(62) Jhro Wohl Ehrwuͤrden Herr J ‒ ‒, Paſtor zu U ‒ ‒
M m 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0571" n="549[547]"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Zweytes Buch.</hi></fw><lb/>
genbeweisartikel, die noch morgen u&#x0364;bergeben wer-<lb/>
den mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Hier ko&#x0364;mmt ein Philo&#x017F;oph! <note place="foot" n="(60)">Man darf nur die Qvartanten le&#x017F;en, die &#x017F;eit zehen<lb/>
Jahren herausgekommen &#x017F;ind, &#x017F;o wird man auf den mei-<lb/>
&#x017F;ten Titeln finden: <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Autore O &#x2012; &#x2012; P &#x2012; &#x2012; E</hi></hi> &#x2012; &#x2012;.</note><lb/>
ein Erzautor! Der wird &#x017F;ich gewiß daru&#x0364;ber freuen;<lb/>
denn er wird auf die morali&#x017F;che Ab&#x017F;icht, und nicht<lb/>
auf die Einkleidung &#x017F;ehen. Was &#x017F;oll das &#x017F;eyn?<lb/>
wird er &#x017F;prechen. Ein Ma&#x0364;rchen! Sieben mal &#x017F;ie-<lb/>
ben! Wie &#x017F;pielt man mit der Moral! Der Autor<lb/>
i&#x017F;t gewiß noch ein Kind, oder er &#x017F;ieht &#x017F;eine Le&#x017F;er<lb/>
fu&#x0364;r Kinder an. Ganz hinten im Buchladen hat<lb/>
&#x017F;ich ein fin&#x017F;terer Men&#x017F;ch <note place="foot" n="(61)">Eigentlich heißt er <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">R &#x2012; &#x2012; S</hi></hi> &#x2012; &#x2012;: aber der fin&#x017F;tre Men&#x017F;ch<lb/>
&#x017F;ieht es nicht gern, daß man &#x017F;einen Namen nennt.</note> an den Ti&#x017F;ch gelehnt,<lb/>
und lie&#x017F;t ihre Schrift, und lie&#x017F;t &#x017F;ie ganz durch, und<lb/>
&#x017F;chmeißt &#x017F;ie unter den Ti&#x017F;ch, und geht verdrießlich<lb/>
hinaus, ohne ein Wort zu &#x017F;agen. Wer muß die-<lb/>
&#x017F;er Men&#x017F;ch &#x017F;eyn? Aber hier ko&#x0364;mmt ein freundli-<lb/>
cher &#x017F;chwarzer Mann, <note place="foot" n="(62)">Jhro Wohl Ehrwu&#x0364;rden Herr <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">J &#x2012; &#x2012;, Pa&#x017F;tor</hi></hi> zu <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">U</hi></hi> &#x2012; &#x2012;</note> welcher dem Verleger<lb/>
ein ganz neuvermehrtes und durch und durch ver-<lb/>
be&#x017F;&#x017F;ertes Ge&#x017F;angbuch anbietet. Er bla&#x0364;ttert in der<lb/>
Auslage; er findet ihr Ma&#x0364;rchen, er lie&#x017F;t es flu&#x0364;ch-<lb/>
tig durch, und legt es &#x017F;eufzend wieder weg. Dar-<lb/>
innen &#x017F;teckt viel Gift! Der Verfa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;cheint ein<lb/>
Spino&#x017F;i&#x017F;t zu &#x017F;eyn. Jch will nicht richten; aber<lb/>
wenig&#x017F;tens ein Feind der Gei&#x017F;tlichen muß er &#x017F;eyn.<lb/>
Sehen &#x017F;ie, &#x017F;pricht er zum Buchha&#x0364;ndler, &#x017F;ehen &#x017F;ie ein-<lb/>
mal die beiden Stellen hier im Ma&#x0364;rchen. Es &#x017F;ind die<lb/>
letzten Zeiten, gewiß mein Herr, die letzten Zeiten!<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">M m 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Mada-</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[549[547]/0571] Zweytes Buch. genbeweisartikel, die noch morgen uͤbergeben wer- den muͤſſen. Hier koͤmmt ein Philoſoph! (60) ein Erzautor! Der wird ſich gewiß daruͤber freuen; denn er wird auf die moraliſche Abſicht, und nicht auf die Einkleidung ſehen. Was ſoll das ſeyn? wird er ſprechen. Ein Maͤrchen! Sieben mal ſie- ben! Wie ſpielt man mit der Moral! Der Autor iſt gewiß noch ein Kind, oder er ſieht ſeine Leſer fuͤr Kinder an. Ganz hinten im Buchladen hat ſich ein finſterer Menſch (61) an den Tiſch gelehnt, und lieſt ihre Schrift, und lieſt ſie ganz durch, und ſchmeißt ſie unter den Tiſch, und geht verdrießlich hinaus, ohne ein Wort zu ſagen. Wer muß die- ſer Menſch ſeyn? Aber hier koͤmmt ein freundli- cher ſchwarzer Mann, (62) welcher dem Verleger ein ganz neuvermehrtes und durch und durch ver- beſſertes Geſangbuch anbietet. Er blaͤttert in der Auslage; er findet ihr Maͤrchen, er lieſt es fluͤch- tig durch, und legt es ſeufzend wieder weg. Dar- innen ſteckt viel Gift! Der Verfaſſer ſcheint ein Spinoſiſt zu ſeyn. Jch will nicht richten; aber wenigſtens ein Feind der Geiſtlichen muß er ſeyn. Sehen ſie, ſpricht er zum Buchhaͤndler, ſehen ſie ein- mal die beiden Stellen hier im Maͤrchen. Es ſind die letzten Zeiten, gewiß mein Herr, die letzten Zeiten! Mada- (60) Man darf nur die Qvartanten leſen, die ſeit zehen Jahren herausgekommen ſind, ſo wird man auf den mei- ſten Titeln finden: Autore O ‒ ‒ P ‒ ‒ E ‒ ‒. (61) Eigentlich heißt er R ‒ ‒ S ‒ ‒: aber der finſtre Menſch ſieht es nicht gern, daß man ſeinen Namen nennt. (62) Jhro Wohl Ehrwuͤrden Herr J ‒ ‒, Paſtor zu U ‒ ‒ M m 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/571
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 549[547]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/571>, abgerufen am 22.11.2024.