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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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und Ehrenerklärung.
sich in seinem Kasten liegen. Er könnte sie ge-
nießen; er lächelt auch in der That schon, welches
er seit der letzten Messe nicht gethan hat. Sehe
ich recht? Er bindet wirklich schon einen kleinen
Sack auf, und nun wird der reiche Harpax an-
fangen, großmüthig, mildthätig, vernünftig zu
seyn; nun wird er doch endlich einmal sein Geld
mit Verstande genießen! - - O, nein! Er nimmt
nur einen halben Gulden heraus, um sich die Schuhe
besolen zu lassen. Er sieht seinen halben Gulden
freundschaftlich an, nimmt mit traurigen Blicken
auf ewig von ihm Abschied, schließt den Kasten
sorgfältig zu, und bittet den Himmel, daß er ihm
sein Bißchen Armuth behüten, und nicht zulassen
wolle, daß er noch in seinem hohen Alter Noth
leiden müsse. Wie viel glückliche Vorzüge hat
dieser Geizige, welche diejenigen nicht wissen, oder
nicht wissen wollen, die ihn für einen Thoren
halten!



Die Ordnung, meine Abbitte und Ehrener-
klärung zu thun, trifft nun den Erben des Geizi-
gen, den Verschwender. Da ich ihn itzt recht
betrachte, so finde ich so viel Gutes an ihm, als
ich an vielen kaum finde, die man doch für Ver-
nünftige hält. Nur aus Hochachtung für seinen
Geizigen, rechtfertigt er dessen Thorheiten durch
weit größre Thorheiten. Durch unsinnige Ver-
schwendung verbüßt er den sündlichen Wucher sei-
nes Erblassers, und stößt die erpreßten Reichthü-

mer

und Ehrenerklaͤrung.
ſich in ſeinem Kaſten liegen. Er koͤnnte ſie ge-
nießen; er laͤchelt auch in der That ſchon, welches
er ſeit der letzten Meſſe nicht gethan hat. Sehe
ich recht? Er bindet wirklich ſchon einen kleinen
Sack auf, und nun wird der reiche Harpax an-
fangen, großmuͤthig, mildthaͤtig, vernuͤnftig zu
ſeyn; nun wird er doch endlich einmal ſein Geld
mit Verſtande genießen! ‒ ‒ O, nein! Er nimmt
nur einen halben Gulden heraus, um ſich die Schuhe
beſolen zu laſſen. Er ſieht ſeinen halben Gulden
freundſchaftlich an, nimmt mit traurigen Blicken
auf ewig von ihm Abſchied, ſchließt den Kaſten
ſorgfaͤltig zu, und bittet den Himmel, daß er ihm
ſein Bißchen Armuth behuͤten, und nicht zulaſſen
wolle, daß er noch in ſeinem hohen Alter Noth
leiden muͤſſe. Wie viel gluͤckliche Vorzuͤge hat
dieſer Geizige, welche diejenigen nicht wiſſen, oder
nicht wiſſen wollen, die ihn fuͤr einen Thoren
halten!



Die Ordnung, meine Abbitte und Ehrener-
klaͤrung zu thun, trifft nun den Erben des Geizi-
gen, den Verſchwender. Da ich ihn itzt recht
betrachte, ſo finde ich ſo viel Gutes an ihm, als
ich an vielen kaum finde, die man doch fuͤr Ver-
nuͤnftige haͤlt. Nur aus Hochachtung fuͤr ſeinen
Geizigen, rechtfertigt er deſſen Thorheiten durch
weit groͤßre Thorheiten. Durch unſinnige Ver-
ſchwendung verbuͤßt er den ſuͤndlichen Wucher ſei-
nes Erblaſſers, und ſtoͤßt die erpreßten Reichthuͤ-

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[573[571]/0595] und Ehrenerklaͤrung. ſich in ſeinem Kaſten liegen. Er koͤnnte ſie ge- nießen; er laͤchelt auch in der That ſchon, welches er ſeit der letzten Meſſe nicht gethan hat. Sehe ich recht? Er bindet wirklich ſchon einen kleinen Sack auf, und nun wird der reiche Harpax an- fangen, großmuͤthig, mildthaͤtig, vernuͤnftig zu ſeyn; nun wird er doch endlich einmal ſein Geld mit Verſtande genießen! ‒ ‒ O, nein! Er nimmt nur einen halben Gulden heraus, um ſich die Schuhe beſolen zu laſſen. Er ſieht ſeinen halben Gulden freundſchaftlich an, nimmt mit traurigen Blicken auf ewig von ihm Abſchied, ſchließt den Kaſten ſorgfaͤltig zu, und bittet den Himmel, daß er ihm ſein Bißchen Armuth behuͤten, und nicht zulaſſen wolle, daß er noch in ſeinem hohen Alter Noth leiden muͤſſe. Wie viel gluͤckliche Vorzuͤge hat dieſer Geizige, welche diejenigen nicht wiſſen, oder nicht wiſſen wollen, die ihn fuͤr einen Thoren halten! Die Ordnung, meine Abbitte und Ehrener- klaͤrung zu thun, trifft nun den Erben des Geizi- gen, den Verſchwender. Da ich ihn itzt recht betrachte, ſo finde ich ſo viel Gutes an ihm, als ich an vielen kaum finde, die man doch fuͤr Ver- nuͤnftige haͤlt. Nur aus Hochachtung fuͤr ſeinen Geizigen, rechtfertigt er deſſen Thorheiten durch weit groͤßre Thorheiten. Durch unſinnige Ver- ſchwendung verbuͤßt er den ſuͤndlichen Wucher ſei- nes Erblaſſers, und ſtoͤßt die erpreßten Reichthuͤ- mer

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 573[571]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/595>, abgerufen am 16.06.2024.