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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abbitte
mer von sich. Er wagt Ehre und Glück daran,
um ein Märtyrer der großen Wahrheit zu wer-
den, daß heut zu Tage das ganze Verdienst der
Menschen im Gelde bestehe. Denn ehe er noch erbte,
war er unbekannt, und verachtet; itzt zieht er die
Augen der ganzen Stadt auf sich, und alle, die
schmeicheln und verdauen können, sind seine Freun-
de: Aber in Kurzem wird er arm, und also wieder
eben so unbekannt, und verachtet seyn, wie vor-
her. Alle seine Handlungen, die uns so rasend
scheinen, sind unumstößliche Beweise, daß er denkt,
wie ein Philosoph. Er kennt die Flüchtigkeit des
Lebens; er weis, daß alles Vergnügen ungewiß
und vergänglich ist, daß derjenige sein Alter am
höchsten gebracht hat, welcher nicht eine Minute
ungenützt, und ohne Vergnügen verstreichen läßt;
er weis, daß allemal das Andenken der vergange-
nen Wollust stärker und empfindlicher ist, als das
Vergnügen des gegenwärtigen Genusses: Das
alles weis unser Philosoph, und eben das ist die
Ursache, warum er heute so lebt, als ob er mor-
gen todt seyn würde. Wie viel ungerechte Ur-
theile würde ich vermieden haben, wenn ich alles
dieses so überlegt hätte, wie ich es itzt überlege!
Meine Uebereilung gieng so weit, daß ich diesen
Verschwender in das Hospital bringen wollte, nach
welchem er doch selbst mit starken Schritten zueilt!
Damit er sehen soll, daß diese Abbitte und Ehren-
erklärung mir ein Ernst sey, so will ich ihn mit
meiner Aufmerksamkeit, bis an die Thüre des
Hospitals begleiten, und alsdenn will ich der

ein-

Abbitte
mer von ſich. Er wagt Ehre und Gluͤck daran,
um ein Maͤrtyrer der großen Wahrheit zu wer-
den, daß heut zu Tage das ganze Verdienſt der
Menſchen im Gelde beſtehe. Denn ehe er noch erbte,
war er unbekannt, und verachtet; itzt zieht er die
Augen der ganzen Stadt auf ſich, und alle, die
ſchmeicheln und verdauen koͤnnen, ſind ſeine Freun-
de: Aber in Kurzem wird er arm, und alſo wieder
eben ſo unbekannt, und verachtet ſeyn, wie vor-
her. Alle ſeine Handlungen, die uns ſo raſend
ſcheinen, ſind unumſtoͤßliche Beweiſe, daß er denkt,
wie ein Philoſoph. Er kennt die Fluͤchtigkeit des
Lebens; er weis, daß alles Vergnuͤgen ungewiß
und vergaͤnglich iſt, daß derjenige ſein Alter am
hoͤchſten gebracht hat, welcher nicht eine Minute
ungenuͤtzt, und ohne Vergnuͤgen verſtreichen laͤßt;
er weis, daß allemal das Andenken der vergange-
nen Wolluſt ſtaͤrker und empfindlicher iſt, als das
Vergnuͤgen des gegenwaͤrtigen Genuſſes: Das
alles weis unſer Philoſoph, und eben das iſt die
Urſache, warum er heute ſo lebt, als ob er mor-
gen todt ſeyn wuͤrde. Wie viel ungerechte Ur-
theile wuͤrde ich vermieden haben, wenn ich alles
dieſes ſo uͤberlegt haͤtte, wie ich es itzt uͤberlege!
Meine Uebereilung gieng ſo weit, daß ich dieſen
Verſchwender in das Hoſpital bringen wollte, nach
welchem er doch ſelbſt mit ſtarken Schritten zueilt!
Damit er ſehen ſoll, daß dieſe Abbitte und Ehren-
erklaͤrung mir ein Ernſt ſey, ſo will ich ihn mit
meiner Aufmerkſamkeit, bis an die Thuͤre des
Hoſpitals begleiten, und alsdenn will ich der

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[574[572]/0596] Abbitte mer von ſich. Er wagt Ehre und Gluͤck daran, um ein Maͤrtyrer der großen Wahrheit zu wer- den, daß heut zu Tage das ganze Verdienſt der Menſchen im Gelde beſtehe. Denn ehe er noch erbte, war er unbekannt, und verachtet; itzt zieht er die Augen der ganzen Stadt auf ſich, und alle, die ſchmeicheln und verdauen koͤnnen, ſind ſeine Freun- de: Aber in Kurzem wird er arm, und alſo wieder eben ſo unbekannt, und verachtet ſeyn, wie vor- her. Alle ſeine Handlungen, die uns ſo raſend ſcheinen, ſind unumſtoͤßliche Beweiſe, daß er denkt, wie ein Philoſoph. Er kennt die Fluͤchtigkeit des Lebens; er weis, daß alles Vergnuͤgen ungewiß und vergaͤnglich iſt, daß derjenige ſein Alter am hoͤchſten gebracht hat, welcher nicht eine Minute ungenuͤtzt, und ohne Vergnuͤgen verſtreichen laͤßt; er weis, daß allemal das Andenken der vergange- nen Wolluſt ſtaͤrker und empfindlicher iſt, als das Vergnuͤgen des gegenwaͤrtigen Genuſſes: Das alles weis unſer Philoſoph, und eben das iſt die Urſache, warum er heute ſo lebt, als ob er mor- gen todt ſeyn wuͤrde. Wie viel ungerechte Ur- theile wuͤrde ich vermieden haben, wenn ich alles dieſes ſo uͤberlegt haͤtte, wie ich es itzt uͤberlege! Meine Uebereilung gieng ſo weit, daß ich dieſen Verſchwender in das Hoſpital bringen wollte, nach welchem er doch ſelbſt mit ſtarken Schritten zueilt! Damit er ſehen ſoll, daß dieſe Abbitte und Ehren- erklaͤrung mir ein Ernſt ſey, ſo will ich ihn mit meiner Aufmerkſamkeit, bis an die Thuͤre des Hoſpitals begleiten, und alsdenn will ich der ein-

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 574[572]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/596>, abgerufen am 22.11.2024.