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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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und Ehrenerklärung.
sie, Madame, die Gütigkeit zu haben, und ihre
Freundinnen dahin zu vermögen, daß mir eine
jede von ihnen ein ausführliches Verzeichniß ihrer
Tugenden und Vollkommenheiten einsende, weil
ich vielleicht selbst nicht scharfsichtig genug seyn
möchte, solche bey allen wahrzunehmen, und weil
ich weis, daß viele von ihren eignen Vorzügen
weit mehr überzeugt sind, als sich ein Fremder da-
von überzeugen kann. Madame, ich küsse ihnen
die Hände!



Daß in meinen Augen die Heuchler so ab-
scheuliche Creaturen waren, daran ist niemand
Schuld, als meine fromme Mutter, welche mir
immer vorsagte, daß in einem Heuchler der Stoff
zu einer jeden Art von Schelmen liege. Jch dan-
ke es dem Umgange mit der großen Welt, daß ich
itzt billiger von den Heuchlern urtheile. Und war-
um soll ich nicht billiger urtheilen, da ein Heuch-
ler nichts thut, als was alle diejenigen zu ihrem
guten Nutzen, und mit großem Beyfalle thun, die
zu leben wissen? Sie verstellen sich, sie halten ei-
ne Maske vor das Gesicht, um nicht erkannt zu
werden, sie wollen die Welt bereden, daß sie ge-
wisse Vollkommenheiten besitzen, die ihnen wirk-
lich fehlen; das thun die Heuchler, es ist wahr:
Aber sind sie um deßwillen so verabscheuungswür-
dig? Dort vor dem Zimmer des Prinzen umar-
men sich zween vornehme Freunde. Sie verspre-

chen

und Ehrenerklaͤrung.
ſie, Madame, die Guͤtigkeit zu haben, und ihre
Freundinnen dahin zu vermoͤgen, daß mir eine
jede von ihnen ein ausfuͤhrliches Verzeichniß ihrer
Tugenden und Vollkommenheiten einſende, weil
ich vielleicht ſelbſt nicht ſcharfſichtig genug ſeyn
moͤchte, ſolche bey allen wahrzunehmen, und weil
ich weis, daß viele von ihren eignen Vorzuͤgen
weit mehr uͤberzeugt ſind, als ſich ein Fremder da-
von uͤberzeugen kann. Madame, ich kuͤſſe ihnen
die Haͤnde!



Daß in meinen Augen die Heuchler ſo ab-
ſcheuliche Creaturen waren, daran iſt niemand
Schuld, als meine fromme Mutter, welche mir
immer vorſagte, daß in einem Heuchler der Stoff
zu einer jeden Art von Schelmen liege. Jch dan-
ke es dem Umgange mit der großen Welt, daß ich
itzt billiger von den Heuchlern urtheile. Und war-
um ſoll ich nicht billiger urtheilen, da ein Heuch-
ler nichts thut, als was alle diejenigen zu ihrem
guten Nutzen, und mit großem Beyfalle thun, die
zu leben wiſſen? Sie verſtellen ſich, ſie halten ei-
ne Maske vor das Geſicht, um nicht erkannt zu
werden, ſie wollen die Welt bereden, daß ſie ge-
wiſſe Vollkommenheiten beſitzen, die ihnen wirk-
lich fehlen; das thun die Heuchler, es iſt wahr:
Aber ſind ſie um deßwillen ſo verabſcheuungswuͤr-
dig? Dort vor dem Zimmer des Prinzen umar-
men ſich zween vornehme Freunde. Sie verſpre-

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[603[601]/0625] und Ehrenerklaͤrung. ſie, Madame, die Guͤtigkeit zu haben, und ihre Freundinnen dahin zu vermoͤgen, daß mir eine jede von ihnen ein ausfuͤhrliches Verzeichniß ihrer Tugenden und Vollkommenheiten einſende, weil ich vielleicht ſelbſt nicht ſcharfſichtig genug ſeyn moͤchte, ſolche bey allen wahrzunehmen, und weil ich weis, daß viele von ihren eignen Vorzuͤgen weit mehr uͤberzeugt ſind, als ſich ein Fremder da- von uͤberzeugen kann. Madame, ich kuͤſſe ihnen die Haͤnde! Daß in meinen Augen die Heuchler ſo ab- ſcheuliche Creaturen waren, daran iſt niemand Schuld, als meine fromme Mutter, welche mir immer vorſagte, daß in einem Heuchler der Stoff zu einer jeden Art von Schelmen liege. Jch dan- ke es dem Umgange mit der großen Welt, daß ich itzt billiger von den Heuchlern urtheile. Und war- um ſoll ich nicht billiger urtheilen, da ein Heuch- ler nichts thut, als was alle diejenigen zu ihrem guten Nutzen, und mit großem Beyfalle thun, die zu leben wiſſen? Sie verſtellen ſich, ſie halten ei- ne Maske vor das Geſicht, um nicht erkannt zu werden, ſie wollen die Welt bereden, daß ſie ge- wiſſe Vollkommenheiten beſitzen, die ihnen wirk- lich fehlen; das thun die Heuchler, es iſt wahr: Aber ſind ſie um deßwillen ſo verabſcheuungswuͤr- dig? Dort vor dem Zimmer des Prinzen umar- men ſich zween vornehme Freunde. Sie verſpre- chen

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 603[601]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/625>, abgerufen am 18.05.2024.