aus Nichts hervor springen, so, wie das erste Roß an dem Ufer muthig hervor sprang, als Neptun mit seinem gewaltigen Dreyzack in den Sand stach.
Vor etlichen Wochen gieng ich zu ihm, und fand ihn in einem Chaos von Sammet und rei- chen Stoffen, aus welchen er erlauchte Männer und Gnaden schuf. Er schnitt eben einen Dom- herrn zu, und war sehr unzufrieden, daß der Sam- met nicht zureichen wollte, den hochwürdigen Bauch auszubilden. Ueber dem Stuhle hiengen zwo Excellenzen ohne Aermel. Einer seiner Ge- sellen arbeitete an einem gestrengen Junker, wel- cher sich von seinem Pachter zwey Quartale hatte vorschiessen lassen, um seine hochadlichen Ver- dienste in der bevorstehenden Messe kenntlich zu machen. Auf der Bank lagen noch eine ganze Menge junge Stutzer, liebenswürdige junge Herr- chen, und seufzende Liebhaber, welche mit Unge- duld auf ihre Bildung, und die Entwickelung ih- res Wesens zu warten schienen. Unter der Bank stack ein großes Packt schlechter Tücher und Zeuge für Gelehrte, Kaufleute, Künstler, und andre niedere Geschöpfe. Zwey Jungen, welche noch nicht geschickt genug waren, saßen an der Thüre, und übten sich an dem Kleide eines Poeten. Jch stund bey dem Meister, hielt den Hut unterm Ar- me, und blieb länger, als eine Stunde, in eben der ehrfurchtsvollen Stellung, welche ich anneh- me, wenn ich in Gesellschaft vornehmer und gros- ser Männer bin. Mein Schneider ist in derglei-
chen
D 4
Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
aus Nichts hervor ſpringen, ſo, wie das erſte Roß an dem Ufer muthig hervor ſprang, als Neptun mit ſeinem gewaltigen Dreyzack in den Sand ſtach.
Vor etlichen Wochen gieng ich zu ihm, und fand ihn in einem Chaos von Sammet und rei- chen Stoffen, aus welchen er erlauchte Maͤnner und Gnaden ſchuf. Er ſchnitt eben einen Dom- herrn zu, und war ſehr unzufrieden, daß der Sam- met nicht zureichen wollte, den hochwuͤrdigen Bauch auszubilden. Ueber dem Stuhle hiengen zwo Excellenzen ohne Aermel. Einer ſeiner Ge- ſellen arbeitete an einem geſtrengen Junker, wel- cher ſich von ſeinem Pachter zwey Quartale hatte vorſchieſſen laſſen, um ſeine hochadlichen Ver- dienſte in der bevorſtehenden Meſſe kenntlich zu machen. Auf der Bank lagen noch eine ganze Menge junge Stutzer, liebenswuͤrdige junge Herr- chen, und ſeufzende Liebhaber, welche mit Unge- duld auf ihre Bildung, und die Entwickelung ih- res Weſens zu warten ſchienen. Unter der Bank ſtack ein großes Packt ſchlechter Tuͤcher und Zeuge fuͤr Gelehrte, Kaufleute, Kuͤnſtler, und andre niedere Geſchoͤpfe. Zwey Jungen, welche noch nicht geſchickt genug waren, ſaßen an der Thuͤre, und uͤbten ſich an dem Kleide eines Poeten. Jch ſtund bey dem Meiſter, hielt den Hut unterm Ar- me, und blieb laͤnger, als eine Stunde, in eben der ehrfurchtsvollen Stellung, welche ich anneh- me, wenn ich in Geſellſchaft vornehmer und groſ- ſer Maͤnner bin. Mein Schneider iſt in derglei-
chen
D 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0077"n="55"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.</hi></fw><lb/>
aus Nichts hervor ſpringen, ſo, wie das erſte Roß<lb/>
an dem Ufer muthig hervor ſprang, als Neptun<lb/>
mit ſeinem gewaltigen Dreyzack in den Sand ſtach.</p><lb/><p>Vor etlichen Wochen gieng ich zu ihm, und<lb/>
fand ihn in einem Chaos von Sammet und rei-<lb/>
chen Stoffen, aus welchen er erlauchte Maͤnner<lb/>
und Gnaden ſchuf. Er ſchnitt eben einen Dom-<lb/>
herrn zu, und war ſehr unzufrieden, daß der Sam-<lb/>
met nicht zureichen wollte, den hochwuͤrdigen<lb/>
Bauch auszubilden. Ueber dem Stuhle hiengen<lb/>
zwo Excellenzen ohne Aermel. Einer ſeiner Ge-<lb/>ſellen arbeitete an einem geſtrengen Junker, wel-<lb/>
cher ſich von ſeinem Pachter zwey Quartale hatte<lb/>
vorſchieſſen laſſen, um ſeine hochadlichen Ver-<lb/>
dienſte in der bevorſtehenden Meſſe kenntlich zu<lb/>
machen. Auf der Bank lagen noch eine ganze<lb/>
Menge junge Stutzer, liebenswuͤrdige junge Herr-<lb/>
chen, und ſeufzende Liebhaber, welche mit Unge-<lb/>
duld auf ihre Bildung, und die Entwickelung ih-<lb/>
res Weſens zu warten ſchienen. Unter der Bank<lb/>ſtack ein großes Packt ſchlechter Tuͤcher und Zeuge<lb/>
fuͤr Gelehrte, Kaufleute, Kuͤnſtler, und andre<lb/>
niedere Geſchoͤpfe. Zwey Jungen, welche noch<lb/>
nicht geſchickt genug waren, ſaßen an der Thuͤre,<lb/>
und uͤbten ſich an dem Kleide eines Poeten. Jch<lb/>ſtund bey dem Meiſter, hielt den Hut unterm Ar-<lb/>
me, und blieb laͤnger, als eine Stunde, in eben<lb/>
der ehrfurchtsvollen Stellung, welche ich anneh-<lb/>
me, wenn ich in Geſellſchaft vornehmer und groſ-<lb/>ſer Maͤnner bin. Mein Schneider iſt in derglei-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">D 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">chen</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[55/0077]
Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
aus Nichts hervor ſpringen, ſo, wie das erſte Roß
an dem Ufer muthig hervor ſprang, als Neptun
mit ſeinem gewaltigen Dreyzack in den Sand ſtach.
Vor etlichen Wochen gieng ich zu ihm, und
fand ihn in einem Chaos von Sammet und rei-
chen Stoffen, aus welchen er erlauchte Maͤnner
und Gnaden ſchuf. Er ſchnitt eben einen Dom-
herrn zu, und war ſehr unzufrieden, daß der Sam-
met nicht zureichen wollte, den hochwuͤrdigen
Bauch auszubilden. Ueber dem Stuhle hiengen
zwo Excellenzen ohne Aermel. Einer ſeiner Ge-
ſellen arbeitete an einem geſtrengen Junker, wel-
cher ſich von ſeinem Pachter zwey Quartale hatte
vorſchieſſen laſſen, um ſeine hochadlichen Ver-
dienſte in der bevorſtehenden Meſſe kenntlich zu
machen. Auf der Bank lagen noch eine ganze
Menge junge Stutzer, liebenswuͤrdige junge Herr-
chen, und ſeufzende Liebhaber, welche mit Unge-
duld auf ihre Bildung, und die Entwickelung ih-
res Weſens zu warten ſchienen. Unter der Bank
ſtack ein großes Packt ſchlechter Tuͤcher und Zeuge
fuͤr Gelehrte, Kaufleute, Kuͤnſtler, und andre
niedere Geſchoͤpfe. Zwey Jungen, welche noch
nicht geſchickt genug waren, ſaßen an der Thuͤre,
und uͤbten ſich an dem Kleide eines Poeten. Jch
ſtund bey dem Meiſter, hielt den Hut unterm Ar-
me, und blieb laͤnger, als eine Stunde, in eben
der ehrfurchtsvollen Stellung, welche ich anneh-
me, wenn ich in Geſellſchaft vornehmer und groſ-
ſer Maͤnner bin. Mein Schneider iſt in derglei-
chen
D 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/77>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.