[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.Vorbericht. Bisher hat die Kritik mir meine Fehler über-sehen; vielleicht in der Hoffnung, ich würde mich bessern: Und habe ich mich nicht gebessert, wer wird mich wider diese strenge Richterinn vertheidigen, welche die Nachwelt auf ihrer Seite hat? Geschäffte und Jahre machen einen Sa- tirenschreiber ernsthafter, und eben dadurch bit- terer, als es vielleicht der größte Theil seiner Leser wünschet: Jst nicht schon das Ursache ge- nug, einen Beyfall zu verlieren, der mir so unendlich schätzbar ist? Jch lebe hier ganz ver- waist von meinen kritischen Freunden, ohne deren Rath und Gutachten ich sonst nicht eine Zeile wagte. Sie sind zerstreut, sie sind weit von mir weg zerstreut; diese Freunde, deren ehrli- ches Herz, und deren reifer Witz mir unver- geßlich seyn werden. Nur einer noch von mei- nen redlichen Aristarchen ist in Leipzig; und auch dieser Eine ist schon zu weit von mir ent- fernt. Und wie soll ich mir die freundschaftli- chen Lehren derer zu Nutze machen, die itzt in Kopenhagen, in Hamburg, in Zerbst, in Braun- schweig, in Qvedlinburg, seit einigen Jahren von mir, und vielleicht auf ewig von mir ge- trennt sind? die in Zürch und Bern entfernt leben? - - - - - - Und was sage ich von unserm Vater Hagedorn, der mich so oft geleitet hat, und dessen Andenken auch diese Thräne noch heilig sey! - - - - - - - Wäre nicht dieser Mangel meiner Freunde und meiner Führer Ursache genug, ein Vorhaben zu unterlassen, welches mir schon damals schwer genug * 3
Vorbericht. Bisher hat die Kritik mir meine Fehler uͤber-ſehen; vielleicht in der Hoffnung, ich wuͤrde mich beſſern: Und habe ich mich nicht gebeſſert, wer wird mich wider dieſe ſtrenge Richterinn vertheidigen, welche die Nachwelt auf ihrer Seite hat? Geſchaͤffte und Jahre machen einen Sa- tirenſchreiber ernſthafter, und eben dadurch bit- terer, als es vielleicht der groͤßte Theil ſeiner Leſer wuͤnſchet: Jſt nicht ſchon das Urſache ge- nug, einen Beyfall zu verlieren, der mir ſo unendlich ſchaͤtzbar iſt? Jch lebe hier ganz ver- waiſt von meinen kritiſchen Freunden, ohne deren Rath und Gutachten ich ſonſt nicht eine Zeile wagte. Sie ſind zerſtreut, ſie ſind weit von mir weg zerſtreut; dieſe Freunde, deren ehrli- ches Herz, und deren reifer Witz mir unver- geßlich ſeyn werden. Nur einer noch von mei- nen redlichen Ariſtarchen iſt in Leipzig; und auch dieſer Eine iſt ſchon zu weit von mir ent- fernt. Und wie ſoll ich mir die freundſchaftli- chen Lehren derer zu Nutze machen, die itzt in Kopenhagen, in Hamburg, in Zerbſt, in Braun- ſchweig, in Qvedlinburg, ſeit einigen Jahren von mir, und vielleicht auf ewig von mir ge- trennt ſind? die in Zuͤrch und Bern entfernt leben? ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Und was ſage ich von unſerm Vater Hagedorn, der mich ſo oft geleitet hat, und deſſen Andenken auch dieſe Thraͤne noch heilig ſey! ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Waͤre nicht dieſer Mangel meiner Freunde und meiner Fuͤhrer Urſache genug, ein Vorhaben zu unterlaſſen, welches mir ſchon damals ſchwer genug * 3
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Vorbericht.
Bisher hat die Kritik mir meine Fehler uͤber-
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mich beſſern: Und habe ich mich nicht gebeſſert,
wer wird mich wider dieſe ſtrenge Richterinn
vertheidigen, welche die Nachwelt auf ihrer Seite
hat? Geſchaͤffte und Jahre machen einen Sa-
tirenſchreiber ernſthafter, und eben dadurch bit-
terer, als es vielleicht der groͤßte Theil ſeiner
Leſer wuͤnſchet: Jſt nicht ſchon das Urſache ge-
nug, einen Beyfall zu verlieren, der mir ſo
unendlich ſchaͤtzbar iſt? Jch lebe hier ganz ver-
waiſt von meinen kritiſchen Freunden, ohne
deren Rath und Gutachten ich ſonſt nicht eine
Zeile wagte. Sie ſind zerſtreut, ſie ſind weit
von mir weg zerſtreut; dieſe Freunde, deren ehrli-
ches Herz, und deren reifer Witz mir unver-
geßlich ſeyn werden. Nur einer noch von mei-
nen redlichen Ariſtarchen iſt in Leipzig; und
auch dieſer Eine iſt ſchon zu weit von mir ent-
fernt. Und wie ſoll ich mir die freundſchaftli-
chen Lehren derer zu Nutze machen, die itzt in
Kopenhagen, in Hamburg, in Zerbſt, in Braun-
ſchweig, in Qvedlinburg, ſeit einigen Jahren
von mir, und vielleicht auf ewig von mir ge-
trennt ſind? die in Zuͤrch und Bern entfernt
leben? ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Und was ſage ich
von unſerm Vater Hagedorn, der mich ſo oft
geleitet hat, und deſſen Andenken auch dieſe
Thraͤne noch heilig ſey! ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
Waͤre nicht dieſer Mangel meiner Freunde und
meiner Fuͤhrer Urſache genug, ein Vorhaben
zu unterlaſſen, welches mir ſchon damals ſchwer
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