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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787.

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Der Vaticanische Pallast.
wahren Vortheil zu bringen: Nein! Sein Herz
scheint dauernder Wärme, ruhiger Fülle fähig gewesen
zu seyn, und seine Einbildungskraft, die einmahl er-
wärmt ihre Bilder lange behielt, in dem richtigsten
Verhältnisse mit Scharfsichtigkeit und gesunder Be-
urtheilung gestanden zu haben.

Dieses seltenen Verbandes von Genie und Ge-
schmack ungeachtet würde Raphael, ohne jene Ge-
schicklichkeit, die Bilder, die in seiner Seele aufstie-
gen, mit dem größten Theile der Wahrheit und Treue
andern vor Augen zu stellen, womit sie vor den seini-
gen schwebten, doch nur ein sehr mittelmäßiger Mah-
ler geblieben seyn. Jene Richtigkeit des Auges, jene
geschmeidige Festigkeit der Hand, die in den bildenden
Künsten den schwerern Theil, und die nothwendige
Grundlage der künftigen Größe des Künstlers aus-
machen; zur Hälfte von natürlicher Anlage, größe-
stentheils aber von langjähriger Uebung abhangen;
diesen mechanischen Vorzug verdankte Raphael dem
sorgfältigen Unterrichte seines Vaters, und seines ersten
Lehrmeisters Pietro Perugino. Dieser letzte hatte das
Verdienst, die Natur getreu, einfach und mit ge-
nauer Beobachtung des Ebenmaaßes in einzelnen Thei-
len -- denn im Ganzen sind seine Verhältnisse oft
unrichtig, -- nachzuahmen. Simplicität, Treue
und Ebenmaaß sind Grundlagen der Schönheit.
Sollten sie auch Anfangs sich mit trockener Härte zei-
gen; sie ist für den Lehrling besser als das Ausschwei-
fen in ungewisse Formen der Schönheit, und unge-
treuen Reitz!

Raphael hielt sich eine Zeitlang an die Manier
seines Lehrers. Doch zeigt sich schon dazumahl der

Zusatz
H 4

Der Vaticaniſche Pallaſt.
wahren Vortheil zu bringen: Nein! Sein Herz
ſcheint dauernder Waͤrme, ruhiger Fuͤlle faͤhig geweſen
zu ſeyn, und ſeine Einbildungskraft, die einmahl er-
waͤrmt ihre Bilder lange behielt, in dem richtigſten
Verhaͤltniſſe mit Scharfſichtigkeit und geſunder Be-
urtheilung geſtanden zu haben.

Dieſes ſeltenen Verbandes von Genie und Ge-
ſchmack ungeachtet wuͤrde Raphael, ohne jene Ge-
ſchicklichkeit, die Bilder, die in ſeiner Seele aufſtie-
gen, mit dem groͤßten Theile der Wahrheit und Treue
andern vor Augen zu ſtellen, womit ſie vor den ſeini-
gen ſchwebten, doch nur ein ſehr mittelmaͤßiger Mah-
ler geblieben ſeyn. Jene Richtigkeit des Auges, jene
geſchmeidige Feſtigkeit der Hand, die in den bildenden
Kuͤnſten den ſchwerern Theil, und die nothwendige
Grundlage der kuͤnftigen Groͤße des Kuͤnſtlers aus-
machen; zur Haͤlfte von natuͤrlicher Anlage, groͤße-
ſtentheils aber von langjaͤhriger Uebung abhangen;
dieſen mechaniſchen Vorzug verdankte Raphael dem
ſorgfaͤltigen Unterrichte ſeines Vaters, und ſeines erſten
Lehrmeiſters Pietro Perugino. Dieſer letzte hatte das
Verdienſt, die Natur getreu, einfach und mit ge-
nauer Beobachtung des Ebenmaaßes in einzelnen Thei-
len — denn im Ganzen ſind ſeine Verhaͤltniſſe oft
unrichtig, — nachzuahmen. Simplicitaͤt, Treue
und Ebenmaaß ſind Grundlagen der Schoͤnheit.
Sollten ſie auch Anfangs ſich mit trockener Haͤrte zei-
gen; ſie iſt fuͤr den Lehrling beſſer als das Ausſchwei-
fen in ungewiſſe Formen der Schoͤnheit, und unge-
treuen Reitz!

Raphael hielt ſich eine Zeitlang an die Manier
ſeines Lehrers. Doch zeigt ſich ſchon dazumahl der

Zuſatz
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[119/0141] Der Vaticaniſche Pallaſt. wahren Vortheil zu bringen: Nein! Sein Herz ſcheint dauernder Waͤrme, ruhiger Fuͤlle faͤhig geweſen zu ſeyn, und ſeine Einbildungskraft, die einmahl er- waͤrmt ihre Bilder lange behielt, in dem richtigſten Verhaͤltniſſe mit Scharfſichtigkeit und geſunder Be- urtheilung geſtanden zu haben. Dieſes ſeltenen Verbandes von Genie und Ge- ſchmack ungeachtet wuͤrde Raphael, ohne jene Ge- ſchicklichkeit, die Bilder, die in ſeiner Seele aufſtie- gen, mit dem groͤßten Theile der Wahrheit und Treue andern vor Augen zu ſtellen, womit ſie vor den ſeini- gen ſchwebten, doch nur ein ſehr mittelmaͤßiger Mah- ler geblieben ſeyn. Jene Richtigkeit des Auges, jene geſchmeidige Feſtigkeit der Hand, die in den bildenden Kuͤnſten den ſchwerern Theil, und die nothwendige Grundlage der kuͤnftigen Groͤße des Kuͤnſtlers aus- machen; zur Haͤlfte von natuͤrlicher Anlage, groͤße- ſtentheils aber von langjaͤhriger Uebung abhangen; dieſen mechaniſchen Vorzug verdankte Raphael dem ſorgfaͤltigen Unterrichte ſeines Vaters, und ſeines erſten Lehrmeiſters Pietro Perugino. Dieſer letzte hatte das Verdienſt, die Natur getreu, einfach und mit ge- nauer Beobachtung des Ebenmaaßes in einzelnen Thei- len — denn im Ganzen ſind ſeine Verhaͤltniſſe oft unrichtig, — nachzuahmen. Simplicitaͤt, Treue und Ebenmaaß ſind Grundlagen der Schoͤnheit. Sollten ſie auch Anfangs ſich mit trockener Haͤrte zei- gen; ſie iſt fuͤr den Lehrling beſſer als das Ausſchwei- fen in ungewiſſe Formen der Schoͤnheit, und unge- treuen Reitz! Raphael hielt ſich eine Zeitlang an die Manier ſeines Lehrers. Doch zeigt ſich ſchon dazumahl der Zuſatz H 4

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/141>, abgerufen am 23.11.2024.