Zusatz von Ausdruck, den er in seine Figuren legte; Zu jeder Zeit der unterscheidende Vorzug unsers Künstlers! Uebrigens entging er durch gar zu große Bestimmtheit, und durch den Fleiß, den er an Ne- bensachen verschwendete, weder der Trockenheit noch der Härte und der kleinen Manier seiner Schule.
Der Anblick der Werke des Leonardo da Vinci, des Michael Angelo, des Fra Bartholomeo und der Umgang mit einigen schönen Genies seiner Zeit, er- höheten seine Begriffe von der wahren Bestimmung seiner Kunst. Er lernte das Ueberflüssige von dem Nothwendigen absondern, sein Stil wurde größer. Die Fertigkeit seiner Hand machte es ihm leicht, nach demjenigen, was er in den Werken seiner Vorgänger als gut erkannte, die seinigen umzuschaffen.
Mit diesen Vorzügen ausgerüstet, bot sich ihm die glückliche Gelegenheit dar, die Säle des Vati- cans mit seinen Arbeiten zu zieren. Nichts erhebt ein Genie, angefüllt mit großen Ideen, so sehr, als ein Feld sich zu zeigen, und die Gelegenheit, die Frucht seiner Meditationen in Anwendung zu bringen. Des Vertrauens seiner Zeitgenossen gewiß, streitet es dann nur mit sich selbst und mit der Vergänglichkeit eines gegenwärtigen Rufs.
Inzwischen die Ausbildung macht keinen Sprung. Leichtigkeit und Zuverläßigkeit, welche allein Grazie zeugen, lassen sich nur durch lange Uebung erhalten. Man sieht den ersten Werken Raphaels im Vatican die ängstliche Sorgsamkeit an, die über neu zu erlan- gende Vorzüge, alte mindere, aber bewährte, auf- zuopfern fürchtet. So entstand seine zweite Ma-
nier
Der Vaticaniſche Pallaſt.
Zuſatz von Ausdruck, den er in ſeine Figuren legte; Zu jeder Zeit der unterſcheidende Vorzug unſers Kuͤnſtlers! Uebrigens entging er durch gar zu große Beſtimmtheit, und durch den Fleiß, den er an Ne- benſachen verſchwendete, weder der Trockenheit noch der Haͤrte und der kleinen Manier ſeiner Schule.
Der Anblick der Werke des Leonardo da Vinci, des Michael Angelo, des Fra Bartholomeo und der Umgang mit einigen ſchoͤnen Genies ſeiner Zeit, er- hoͤheten ſeine Begriffe von der wahren Beſtimmung ſeiner Kunſt. Er lernte das Ueberfluͤſſige von dem Nothwendigen abſondern, ſein Stil wurde groͤßer. Die Fertigkeit ſeiner Hand machte es ihm leicht, nach demjenigen, was er in den Werken ſeiner Vorgaͤnger als gut erkannte, die ſeinigen umzuſchaffen.
Mit dieſen Vorzuͤgen ausgeruͤſtet, bot ſich ihm die gluͤckliche Gelegenheit dar, die Saͤle des Vati- cans mit ſeinen Arbeiten zu zieren. Nichts erhebt ein Genie, angefuͤllt mit großen Ideen, ſo ſehr, als ein Feld ſich zu zeigen, und die Gelegenheit, die Frucht ſeiner Meditationen in Anwendung zu bringen. Des Vertrauens ſeiner Zeitgenoſſen gewiß, ſtreitet es dann nur mit ſich ſelbſt und mit der Vergaͤnglichkeit eines gegenwaͤrtigen Rufs.
Inzwiſchen die Ausbildung macht keinen Sprung. Leichtigkeit und Zuverlaͤßigkeit, welche allein Grazie zeugen, laſſen ſich nur durch lange Uebung erhalten. Man ſieht den erſten Werken Raphaels im Vatican die aͤngſtliche Sorgſamkeit an, die uͤber neu zu erlan- gende Vorzuͤge, alte mindere, aber bewaͤhrte, auf- zuopfern fuͤrchtet. So entſtand ſeine zweite Ma-
nier
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0142"n="120"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Der Vaticaniſche Pallaſt.</hi></fw><lb/>
Zuſatz von Ausdruck, den er in ſeine Figuren legte;<lb/>
Zu jeder Zeit der unterſcheidende Vorzug unſers<lb/>
Kuͤnſtlers! Uebrigens entging er durch gar zu große<lb/>
Beſtimmtheit, und durch den Fleiß, den er an Ne-<lb/>
benſachen verſchwendete, weder der Trockenheit noch<lb/>
der Haͤrte und der kleinen Manier ſeiner Schule.</p><lb/><p>Der Anblick der Werke des Leonardo da Vinci,<lb/>
des Michael Angelo, des Fra Bartholomeo und der<lb/>
Umgang mit einigen ſchoͤnen Genies ſeiner Zeit, er-<lb/>
hoͤheten ſeine Begriffe von der wahren Beſtimmung<lb/>ſeiner Kunſt. Er lernte das Ueberfluͤſſige von dem<lb/>
Nothwendigen abſondern, ſein Stil wurde groͤßer.<lb/>
Die Fertigkeit ſeiner Hand machte es ihm leicht, nach<lb/>
demjenigen, was er in den Werken ſeiner Vorgaͤnger<lb/>
als gut erkannte, die ſeinigen umzuſchaffen.</p><lb/><p>Mit dieſen Vorzuͤgen ausgeruͤſtet, bot ſich ihm<lb/>
die gluͤckliche Gelegenheit dar, die Saͤle des Vati-<lb/>
cans mit ſeinen Arbeiten zu zieren. Nichts erhebt<lb/>
ein Genie, angefuͤllt mit großen Ideen, ſo ſehr, als<lb/>
ein Feld ſich zu zeigen, und die Gelegenheit, die<lb/>
Frucht ſeiner Meditationen in Anwendung zu bringen.<lb/>
Des Vertrauens ſeiner Zeitgenoſſen gewiß, ſtreitet es<lb/>
dann nur mit ſich ſelbſt und mit der Vergaͤnglichkeit<lb/>
eines gegenwaͤrtigen Rufs.</p><lb/><p>Inzwiſchen die Ausbildung macht keinen Sprung.<lb/>
Leichtigkeit und Zuverlaͤßigkeit, welche allein Grazie<lb/>
zeugen, laſſen ſich nur durch lange Uebung erhalten.<lb/>
Man ſieht den erſten Werken Raphaels im Vatican<lb/>
die aͤngſtliche Sorgſamkeit an, die uͤber neu zu erlan-<lb/>
gende Vorzuͤge, alte mindere, aber bewaͤhrte, auf-<lb/>
zuopfern fuͤrchtet. So entſtand ſeine zweite Ma-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">nier</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[120/0142]
Der Vaticaniſche Pallaſt.
Zuſatz von Ausdruck, den er in ſeine Figuren legte;
Zu jeder Zeit der unterſcheidende Vorzug unſers
Kuͤnſtlers! Uebrigens entging er durch gar zu große
Beſtimmtheit, und durch den Fleiß, den er an Ne-
benſachen verſchwendete, weder der Trockenheit noch
der Haͤrte und der kleinen Manier ſeiner Schule.
Der Anblick der Werke des Leonardo da Vinci,
des Michael Angelo, des Fra Bartholomeo und der
Umgang mit einigen ſchoͤnen Genies ſeiner Zeit, er-
hoͤheten ſeine Begriffe von der wahren Beſtimmung
ſeiner Kunſt. Er lernte das Ueberfluͤſſige von dem
Nothwendigen abſondern, ſein Stil wurde groͤßer.
Die Fertigkeit ſeiner Hand machte es ihm leicht, nach
demjenigen, was er in den Werken ſeiner Vorgaͤnger
als gut erkannte, die ſeinigen umzuſchaffen.
Mit dieſen Vorzuͤgen ausgeruͤſtet, bot ſich ihm
die gluͤckliche Gelegenheit dar, die Saͤle des Vati-
cans mit ſeinen Arbeiten zu zieren. Nichts erhebt
ein Genie, angefuͤllt mit großen Ideen, ſo ſehr, als
ein Feld ſich zu zeigen, und die Gelegenheit, die
Frucht ſeiner Meditationen in Anwendung zu bringen.
Des Vertrauens ſeiner Zeitgenoſſen gewiß, ſtreitet es
dann nur mit ſich ſelbſt und mit der Vergaͤnglichkeit
eines gegenwaͤrtigen Rufs.
Inzwiſchen die Ausbildung macht keinen Sprung.
Leichtigkeit und Zuverlaͤßigkeit, welche allein Grazie
zeugen, laſſen ſich nur durch lange Uebung erhalten.
Man ſieht den erſten Werken Raphaels im Vatican
die aͤngſtliche Sorgſamkeit an, die uͤber neu zu erlan-
gende Vorzuͤge, alte mindere, aber bewaͤhrte, auf-
zuopfern fuͤrchtet. So entſtand ſeine zweite Ma-
nier
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/142>, abgerufen am 21.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.