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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787.

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Der Vaticanische Pallast.

Aus der Geschichte der Schöpfung des Wei-
bes
hat Raphael nicht den glücklichsten Zeitpunkt her-
ausgehoben. Er hat den Augenblick gewählt, in
dem Adam sagt: Das ist Fleisch von meinem Fleische.
Wer Miltons Darstellung von dem ersten Zusam-
mentreffen des ersten Mannes, des ersten Weibes
kennt, der wird sich eine interessantere Situation
denken, die den Mahler hätte beschäfftigen können.
Obgleich Richardson 42) behauptet, daß die Figur
der Eva von Raphael selbst gemahlt sey, und daß
die Zierlichkeit ihrer Umrisse der Antike nichts nach-
gebe; so füllt sie doch keinesweges die Idee von Schön-
heit aus, die Miltons Beschreibung in unserer Seele
zurückgelassen hat.

Um so zufriedener bin ich mit folgenden Compo-
sitionen:

+ Die ersten Eltern nach dem Falle. Eva
wird in ihrer Arbeit durch den Streit ihrer Kinder
gestört, die sie zur Schiedsrichterin über einen Apfel
zu machen scheinen, den der eine dem andern geraubt
hat. Diese Idee zeigt hinreichend den Fall aus je-
nem goldnen Zeitalter an, in dem Unschuld und
Ueberfluß kein streitiges Eigenthum und keine Schieds-
richter zuließ; das Unangenehme des Gedankens,
daß nunmehro eigennützige Leidenschaften den Men-
schen beherrschen, wird zwar auf der einen Seite
durch ihre Aeußerung in dem zarten Alter der Kind-
heit erhöhet; aber auch auf der andern Seite durch

die
42) Traite de la peinture et de la sculpture ou
Description des statues, tableaux et desseins en
Italie T. III. p. 473. edit. d'Amsterdam
1728.
Der Vaticaniſche Pallaſt.

Aus der Geſchichte der Schoͤpfung des Wei-
bes
hat Raphael nicht den gluͤcklichſten Zeitpunkt her-
ausgehoben. Er hat den Augenblick gewaͤhlt, in
dem Adam ſagt: Das iſt Fleiſch von meinem Fleiſche.
Wer Miltons Darſtellung von dem erſten Zuſam-
mentreffen des erſten Mannes, des erſten Weibes
kennt, der wird ſich eine intereſſantere Situation
denken, die den Mahler haͤtte beſchaͤfftigen koͤnnen.
Obgleich Richardſon 42) behauptet, daß die Figur
der Eva von Raphael ſelbſt gemahlt ſey, und daß
die Zierlichkeit ihrer Umriſſe der Antike nichts nach-
gebe; ſo fuͤllt ſie doch keinesweges die Idee von Schoͤn-
heit aus, die Miltons Beſchreibung in unſerer Seele
zuruͤckgelaſſen hat.

Um ſo zufriedener bin ich mit folgenden Compo-
ſitionen:

Die erſten Eltern nach dem Falle. Eva
wird in ihrer Arbeit durch den Streit ihrer Kinder
geſtoͤrt, die ſie zur Schiedsrichterin uͤber einen Apfel
zu machen ſcheinen, den der eine dem andern geraubt
hat. Dieſe Idee zeigt hinreichend den Fall aus je-
nem goldnen Zeitalter an, in dem Unſchuld und
Ueberfluß kein ſtreitiges Eigenthum und keine Schieds-
richter zuließ; das Unangenehme des Gedankens,
daß nunmehro eigennuͤtzige Leidenſchaften den Men-
ſchen beherrſchen, wird zwar auf der einen Seite
durch ihre Aeußerung in dem zarten Alter der Kind-
heit erhoͤhet; aber auch auf der andern Seite durch

die
42) Traité de la peinture et de la ſculpture ou
Deſcription des ſtatues, tableaux et deſſeins en
Italie T. III. p. 473. edit. d’Amſterdam
1728.
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[138/0160] Der Vaticaniſche Pallaſt. Aus der Geſchichte der Schoͤpfung des Wei- bes hat Raphael nicht den gluͤcklichſten Zeitpunkt her- ausgehoben. Er hat den Augenblick gewaͤhlt, in dem Adam ſagt: Das iſt Fleiſch von meinem Fleiſche. Wer Miltons Darſtellung von dem erſten Zuſam- mentreffen des erſten Mannes, des erſten Weibes kennt, der wird ſich eine intereſſantere Situation denken, die den Mahler haͤtte beſchaͤfftigen koͤnnen. Obgleich Richardſon 42) behauptet, daß die Figur der Eva von Raphael ſelbſt gemahlt ſey, und daß die Zierlichkeit ihrer Umriſſe der Antike nichts nach- gebe; ſo fuͤllt ſie doch keinesweges die Idee von Schoͤn- heit aus, die Miltons Beſchreibung in unſerer Seele zuruͤckgelaſſen hat. Um ſo zufriedener bin ich mit folgenden Compo- ſitionen: † Die erſten Eltern nach dem Falle. Eva wird in ihrer Arbeit durch den Streit ihrer Kinder geſtoͤrt, die ſie zur Schiedsrichterin uͤber einen Apfel zu machen ſcheinen, den der eine dem andern geraubt hat. Dieſe Idee zeigt hinreichend den Fall aus je- nem goldnen Zeitalter an, in dem Unſchuld und Ueberfluß kein ſtreitiges Eigenthum und keine Schieds- richter zuließ; das Unangenehme des Gedankens, daß nunmehro eigennuͤtzige Leidenſchaften den Men- ſchen beherrſchen, wird zwar auf der einen Seite durch ihre Aeußerung in dem zarten Alter der Kind- heit erhoͤhet; aber auch auf der andern Seite durch die 42) Traité de la peinture et de la ſculpture ou Deſcription des ſtatues, tableaux et deſſeins en Italie T. III. p. 473. edit. d’Amſterdam 1728.

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/160>, abgerufen am 21.11.2024.