gorischer Gemählde anführen, welche diese Forde- rung zu befriedigen scheinen.
Ein Kind reutet auf einem gezäumten Löwen. Wie der schalkhafte Knabe lächelt, wie er sich seines Spieles freuet! Wie sich das gutmüthige Thier sei- ner Stärke gegen den neckischen Knaben entäußert! Wie angenehm die Lieblichkeit des Kindes mit der Majestät des Löwen contrastirt!
Aber was seh' ich? Das Kind hat Flügel, es trägt Köcher und Bogen. Ha! es ist Amor, und die geheime Bedeutung: Liebe zähmt Stärke.
Zwei verworfene Menschen sind im Begriff eine hülflose Schöne in einen Abgrund zu stürzen. Sie ist entblößt, der Raub ihres kostbaren Schmucks ist wahrscheinlich die Veranlassung zu dieser Grausamkeit. Die Spuhr des begangenen Verbrechens soll durch ein schändlicheres bedeckt werden. Ich zittre, daß die Vorsehung es zugibt, aber ich zittre umsonst: Ein nervigter Alter eilt zu ihrer Rettung herzu, und ent- reißt sie dem Verderben.
Wozu trägt dieser Alte Sense und Stundenglas, warum sind die schändlichen Verfolger der nackten Schönen mit zugespitzten Ohren gezeichnet? Es sind Mißgunst und Neid, welche die Wahrheit im Ab- grunde der Vergessenheit zu begraben dachten, aber die Zeit zieht sie hervor.
Mit der ganzen Stärke, mit aller Lebhaftigkeit einer sinnlichen Erkenntniß überseh' ich auf einmahl alle schrecklichen Folgen des Krieges auf einem Bilde des Rubens in dem Pallast Pitti zu Florenz. Mars
wird
Der Vaticaniſche Pallaſt.
goriſcher Gemaͤhlde anfuͤhren, welche dieſe Forde- rung zu befriedigen ſcheinen.
Ein Kind reutet auf einem gezaͤumten Loͤwen. Wie der ſchalkhafte Knabe laͤchelt, wie er ſich ſeines Spieles freuet! Wie ſich das gutmuͤthige Thier ſei- ner Staͤrke gegen den neckiſchen Knaben entaͤußert! Wie angenehm die Lieblichkeit des Kindes mit der Majeſtaͤt des Loͤwen contraſtirt!
Aber was ſeh’ ich? Das Kind hat Fluͤgel, es traͤgt Koͤcher und Bogen. Ha! es iſt Amor, und die geheime Bedeutung: Liebe zaͤhmt Staͤrke.
Zwei verworfene Menſchen ſind im Begriff eine huͤlfloſe Schoͤne in einen Abgrund zu ſtuͤrzen. Sie iſt entbloͤßt, der Raub ihres koſtbaren Schmucks iſt wahrſcheinlich die Veranlaſſung zu dieſer Grauſamkeit. Die Spuhr des begangenen Verbrechens ſoll durch ein ſchaͤndlicheres bedeckt werden. Ich zittre, daß die Vorſehung es zugibt, aber ich zittre umſonſt: Ein nervigter Alter eilt zu ihrer Rettung herzu, und ent- reißt ſie dem Verderben.
Wozu traͤgt dieſer Alte Senſe und Stundenglas, warum ſind die ſchaͤndlichen Verfolger der nackten Schoͤnen mit zugeſpitzten Ohren gezeichnet? Es ſind Mißgunſt und Neid, welche die Wahrheit im Ab- grunde der Vergeſſenheit zu begraben dachten, aber die Zeit zieht ſie hervor.
Mit der ganzen Staͤrke, mit aller Lebhaftigkeit einer ſinnlichen Erkenntniß uͤberſeh’ ich auf einmahl alle ſchrecklichen Folgen des Krieges auf einem Bilde des Rubens in dem Pallaſt Pitti zu Florenz. Mars
wird
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0216"n="194"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Der Vaticaniſche Pallaſt.</hi></fw><lb/>
goriſcher Gemaͤhlde anfuͤhren, welche dieſe Forde-<lb/>
rung zu befriedigen ſcheinen.</p><lb/><p>Ein Kind reutet auf einem gezaͤumten Loͤwen.<lb/>
Wie der ſchalkhafte Knabe laͤchelt, wie er ſich ſeines<lb/>
Spieles freuet! Wie ſich das gutmuͤthige Thier ſei-<lb/>
ner Staͤrke gegen den neckiſchen Knaben entaͤußert!<lb/>
Wie angenehm die Lieblichkeit des Kindes mit der<lb/>
Majeſtaͤt des Loͤwen contraſtirt!</p><lb/><p>Aber was ſeh’ ich? Das Kind hat Fluͤgel, es<lb/>
traͤgt Koͤcher und Bogen. Ha! es iſt Amor, und<lb/>
die geheime Bedeutung: Liebe zaͤhmt Staͤrke.</p><lb/><p>Zwei verworfene Menſchen ſind im Begriff eine<lb/>
huͤlfloſe Schoͤne in einen Abgrund zu ſtuͤrzen. Sie<lb/>
iſt entbloͤßt, der Raub ihres koſtbaren Schmucks iſt<lb/>
wahrſcheinlich die Veranlaſſung zu dieſer Grauſamkeit.<lb/>
Die Spuhr des begangenen Verbrechens ſoll durch ein<lb/>ſchaͤndlicheres bedeckt werden. Ich zittre, daß die<lb/>
Vorſehung es zugibt, aber ich zittre umſonſt: Ein<lb/>
nervigter Alter eilt zu ihrer Rettung herzu, und ent-<lb/>
reißt ſie dem Verderben.</p><lb/><p>Wozu traͤgt dieſer Alte Senſe und Stundenglas,<lb/>
warum ſind die ſchaͤndlichen Verfolger der nackten<lb/>
Schoͤnen mit zugeſpitzten Ohren gezeichnet? Es ſind<lb/>
Mißgunſt und Neid, welche die Wahrheit im Ab-<lb/>
grunde der Vergeſſenheit zu begraben dachten, aber<lb/>
die Zeit zieht ſie hervor.</p><lb/><p>Mit der ganzen Staͤrke, mit aller Lebhaftigkeit<lb/>
einer ſinnlichen Erkenntniß uͤberſeh’ ich auf einmahl<lb/>
alle ſchrecklichen Folgen des Krieges auf einem Bilde<lb/>
des Rubens in dem Pallaſt Pitti zu Florenz. Mars<lb/><fwplace="bottom"type="catch">wird</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[194/0216]
Der Vaticaniſche Pallaſt.
goriſcher Gemaͤhlde anfuͤhren, welche dieſe Forde-
rung zu befriedigen ſcheinen.
Ein Kind reutet auf einem gezaͤumten Loͤwen.
Wie der ſchalkhafte Knabe laͤchelt, wie er ſich ſeines
Spieles freuet! Wie ſich das gutmuͤthige Thier ſei-
ner Staͤrke gegen den neckiſchen Knaben entaͤußert!
Wie angenehm die Lieblichkeit des Kindes mit der
Majeſtaͤt des Loͤwen contraſtirt!
Aber was ſeh’ ich? Das Kind hat Fluͤgel, es
traͤgt Koͤcher und Bogen. Ha! es iſt Amor, und
die geheime Bedeutung: Liebe zaͤhmt Staͤrke.
Zwei verworfene Menſchen ſind im Begriff eine
huͤlfloſe Schoͤne in einen Abgrund zu ſtuͤrzen. Sie
iſt entbloͤßt, der Raub ihres koſtbaren Schmucks iſt
wahrſcheinlich die Veranlaſſung zu dieſer Grauſamkeit.
Die Spuhr des begangenen Verbrechens ſoll durch ein
ſchaͤndlicheres bedeckt werden. Ich zittre, daß die
Vorſehung es zugibt, aber ich zittre umſonſt: Ein
nervigter Alter eilt zu ihrer Rettung herzu, und ent-
reißt ſie dem Verderben.
Wozu traͤgt dieſer Alte Senſe und Stundenglas,
warum ſind die ſchaͤndlichen Verfolger der nackten
Schoͤnen mit zugeſpitzten Ohren gezeichnet? Es ſind
Mißgunſt und Neid, welche die Wahrheit im Ab-
grunde der Vergeſſenheit zu begraben dachten, aber
die Zeit zieht ſie hervor.
Mit der ganzen Staͤrke, mit aller Lebhaftigkeit
einer ſinnlichen Erkenntniß uͤberſeh’ ich auf einmahl
alle ſchrecklichen Folgen des Krieges auf einem Bilde
des Rubens in dem Pallaſt Pitti zu Florenz. Mars
wird
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/216>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.