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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787.

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Der Vaticanische Pallast.
gorischer Gemählde anführen, welche diese Forde-
rung zu befriedigen scheinen.

Ein Kind reutet auf einem gezäumten Löwen.
Wie der schalkhafte Knabe lächelt, wie er sich seines
Spieles freuet! Wie sich das gutmüthige Thier sei-
ner Stärke gegen den neckischen Knaben entäußert!
Wie angenehm die Lieblichkeit des Kindes mit der
Majestät des Löwen contrastirt!

Aber was seh' ich? Das Kind hat Flügel, es
trägt Köcher und Bogen. Ha! es ist Amor, und
die geheime Bedeutung: Liebe zähmt Stärke.

Zwei verworfene Menschen sind im Begriff eine
hülflose Schöne in einen Abgrund zu stürzen. Sie
ist entblößt, der Raub ihres kostbaren Schmucks ist
wahrscheinlich die Veranlassung zu dieser Grausamkeit.
Die Spuhr des begangenen Verbrechens soll durch ein
schändlicheres bedeckt werden. Ich zittre, daß die
Vorsehung es zugibt, aber ich zittre umsonst: Ein
nervigter Alter eilt zu ihrer Rettung herzu, und ent-
reißt sie dem Verderben.

Wozu trägt dieser Alte Sense und Stundenglas,
warum sind die schändlichen Verfolger der nackten
Schönen mit zugespitzten Ohren gezeichnet? Es sind
Mißgunst und Neid, welche die Wahrheit im Ab-
grunde der Vergessenheit zu begraben dachten, aber
die Zeit zieht sie hervor.

Mit der ganzen Stärke, mit aller Lebhaftigkeit
einer sinnlichen Erkenntniß überseh' ich auf einmahl
alle schrecklichen Folgen des Krieges auf einem Bilde
des Rubens in dem Pallast Pitti zu Florenz. Mars

wird

Der Vaticaniſche Pallaſt.
goriſcher Gemaͤhlde anfuͤhren, welche dieſe Forde-
rung zu befriedigen ſcheinen.

Ein Kind reutet auf einem gezaͤumten Loͤwen.
Wie der ſchalkhafte Knabe laͤchelt, wie er ſich ſeines
Spieles freuet! Wie ſich das gutmuͤthige Thier ſei-
ner Staͤrke gegen den neckiſchen Knaben entaͤußert!
Wie angenehm die Lieblichkeit des Kindes mit der
Majeſtaͤt des Loͤwen contraſtirt!

Aber was ſeh’ ich? Das Kind hat Fluͤgel, es
traͤgt Koͤcher und Bogen. Ha! es iſt Amor, und
die geheime Bedeutung: Liebe zaͤhmt Staͤrke.

Zwei verworfene Menſchen ſind im Begriff eine
huͤlfloſe Schoͤne in einen Abgrund zu ſtuͤrzen. Sie
iſt entbloͤßt, der Raub ihres koſtbaren Schmucks iſt
wahrſcheinlich die Veranlaſſung zu dieſer Grauſamkeit.
Die Spuhr des begangenen Verbrechens ſoll durch ein
ſchaͤndlicheres bedeckt werden. Ich zittre, daß die
Vorſehung es zugibt, aber ich zittre umſonſt: Ein
nervigter Alter eilt zu ihrer Rettung herzu, und ent-
reißt ſie dem Verderben.

Wozu traͤgt dieſer Alte Senſe und Stundenglas,
warum ſind die ſchaͤndlichen Verfolger der nackten
Schoͤnen mit zugeſpitzten Ohren gezeichnet? Es ſind
Mißgunſt und Neid, welche die Wahrheit im Ab-
grunde der Vergeſſenheit zu begraben dachten, aber
die Zeit zieht ſie hervor.

Mit der ganzen Staͤrke, mit aller Lebhaftigkeit
einer ſinnlichen Erkenntniß uͤberſeh’ ich auf einmahl
alle ſchrecklichen Folgen des Krieges auf einem Bilde
des Rubens in dem Pallaſt Pitti zu Florenz. Mars

wird
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[194/0216] Der Vaticaniſche Pallaſt. goriſcher Gemaͤhlde anfuͤhren, welche dieſe Forde- rung zu befriedigen ſcheinen. Ein Kind reutet auf einem gezaͤumten Loͤwen. Wie der ſchalkhafte Knabe laͤchelt, wie er ſich ſeines Spieles freuet! Wie ſich das gutmuͤthige Thier ſei- ner Staͤrke gegen den neckiſchen Knaben entaͤußert! Wie angenehm die Lieblichkeit des Kindes mit der Majeſtaͤt des Loͤwen contraſtirt! Aber was ſeh’ ich? Das Kind hat Fluͤgel, es traͤgt Koͤcher und Bogen. Ha! es iſt Amor, und die geheime Bedeutung: Liebe zaͤhmt Staͤrke. Zwei verworfene Menſchen ſind im Begriff eine huͤlfloſe Schoͤne in einen Abgrund zu ſtuͤrzen. Sie iſt entbloͤßt, der Raub ihres koſtbaren Schmucks iſt wahrſcheinlich die Veranlaſſung zu dieſer Grauſamkeit. Die Spuhr des begangenen Verbrechens ſoll durch ein ſchaͤndlicheres bedeckt werden. Ich zittre, daß die Vorſehung es zugibt, aber ich zittre umſonſt: Ein nervigter Alter eilt zu ihrer Rettung herzu, und ent- reißt ſie dem Verderben. Wozu traͤgt dieſer Alte Senſe und Stundenglas, warum ſind die ſchaͤndlichen Verfolger der nackten Schoͤnen mit zugeſpitzten Ohren gezeichnet? Es ſind Mißgunſt und Neid, welche die Wahrheit im Ab- grunde der Vergeſſenheit zu begraben dachten, aber die Zeit zieht ſie hervor. Mit der ganzen Staͤrke, mit aller Lebhaftigkeit einer ſinnlichen Erkenntniß uͤberſeh’ ich auf einmahl alle ſchrecklichen Folgen des Krieges auf einem Bilde des Rubens in dem Pallaſt Pitti zu Florenz. Mars wird

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/216>, abgerufen am 26.11.2024.