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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787.

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Der Vaticanische Pallast.
Wahrschein-
licher Cha-
rakter des
Apollo als
Phöbus, ver-
schieden von
demjenigen
worinn er
als Beschü-
tzer der Wis-
senschaften
und Künste
vorgestellt
wird.

Darf ich eine Vermuthung wagen, über den
strengen Ernst, den wir in der Mine dieser Statue
bemerken? Apollo ist als Phöbus Sinnbild der
Sonne. Ihre Strahlen verbreiten Wachsthum und
Leben über die Natur, aber in heißeren Gegenden er-
zeugen sie auch Seuchen, die der erzürnte Gott gleich
Pfeilen auf die lose Brut des Prometheus herab-
schießt.

Die Seltenheit der Statuen des Apollo in die-
sem Charakter scheint die Andeutung einer besonderen
Natur zu bestätigen. Gemeiniglich finden wir ihn
im Frühlinge der Jugend mit dem Ausdruck unver-
mischter Heiterkeit dargestellet. Dann ähnelt er dem
Bacchus, und stellt, wie ich glaube, den Geber je-
ner Freuden vor, die Ruhe erzeugt, und zu deren
Genuß wir der Ruhe und gutherzigen Frohsinns be-
dürfen: Den Beschützer der Künste und Wissen-
schaften.

Doch! Sey was es sey, der Ausdruck eines gött-
lich hohen Geistes, in Formen ausgewachsener Jugend,
macht die unverkennbare Absicht dieses Werks aus.
Aus ihr muß man sich erklären, warum der Künstler
jene schlängelnden Muskeln, jene unzähligen Aus-
schweifungen des Umrisses, die dem Marmor zwar
den Charakter des wahren Fleisches geben, allein
durch die vielen kleinen Parthien, die sie bilden, auch
dem Charakter der Größe leicht gefährlich werden,
nicht deutlich angegeben hat. Der Unterleib vorzüg-
lich scheint gleichsam abgerundet, ohne jene mürbe
Weichheit, welche die Italiener morbidezza
nennen.

Dem
Der Vaticaniſche Pallaſt.
Wahrſchein-
licher Cha-
rakter des
Apollo als
Phoͤbus, ver-
ſchieden von
demjenigen
worinn er
als Beſchuͤ-
tzer der Wiſ-
ſenſchaften
und Kuͤnſte
vorgeſtellt
wird.

Darf ich eine Vermuthung wagen, uͤber den
ſtrengen Ernſt, den wir in der Mine dieſer Statue
bemerken? Apollo iſt als Phoͤbus Sinnbild der
Sonne. Ihre Strahlen verbreiten Wachsthum und
Leben uͤber die Natur, aber in heißeren Gegenden er-
zeugen ſie auch Seuchen, die der erzuͤrnte Gott gleich
Pfeilen auf die loſe Brut des Prometheus herab-
ſchießt.

Die Seltenheit der Statuen des Apollo in die-
ſem Charakter ſcheint die Andeutung einer beſonderen
Natur zu beſtaͤtigen. Gemeiniglich finden wir ihn
im Fruͤhlinge der Jugend mit dem Ausdruck unver-
miſchter Heiterkeit dargeſtellet. Dann aͤhnelt er dem
Bacchus, und ſtellt, wie ich glaube, den Geber je-
ner Freuden vor, die Ruhe erzeugt, und zu deren
Genuß wir der Ruhe und gutherzigen Frohſinns be-
duͤrfen: Den Beſchuͤtzer der Kuͤnſte und Wiſſen-
ſchaften.

Doch! Sey was es ſey, der Ausdruck eines goͤtt-
lich hohen Geiſtes, in Formen ausgewachſener Jugend,
macht die unverkennbare Abſicht dieſes Werks aus.
Aus ihr muß man ſich erklaͤren, warum der Kuͤnſtler
jene ſchlaͤngelnden Muſkeln, jene unzaͤhligen Aus-
ſchweifungen des Umriſſes, die dem Marmor zwar
den Charakter des wahren Fleiſches geben, allein
durch die vielen kleinen Parthien, die ſie bilden, auch
dem Charakter der Groͤße leicht gefaͤhrlich werden,
nicht deutlich angegeben hat. Der Unterleib vorzuͤg-
lich ſcheint gleichſam abgerundet, ohne jene muͤrbe
Weichheit, welche die Italiener morbidezza
nennen.

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[52/0074] Der Vaticaniſche Pallaſt. Darf ich eine Vermuthung wagen, uͤber den ſtrengen Ernſt, den wir in der Mine dieſer Statue bemerken? Apollo iſt als Phoͤbus Sinnbild der Sonne. Ihre Strahlen verbreiten Wachsthum und Leben uͤber die Natur, aber in heißeren Gegenden er- zeugen ſie auch Seuchen, die der erzuͤrnte Gott gleich Pfeilen auf die loſe Brut des Prometheus herab- ſchießt. Die Seltenheit der Statuen des Apollo in die- ſem Charakter ſcheint die Andeutung einer beſonderen Natur zu beſtaͤtigen. Gemeiniglich finden wir ihn im Fruͤhlinge der Jugend mit dem Ausdruck unver- miſchter Heiterkeit dargeſtellet. Dann aͤhnelt er dem Bacchus, und ſtellt, wie ich glaube, den Geber je- ner Freuden vor, die Ruhe erzeugt, und zu deren Genuß wir der Ruhe und gutherzigen Frohſinns be- duͤrfen: Den Beſchuͤtzer der Kuͤnſte und Wiſſen- ſchaften. Doch! Sey was es ſey, der Ausdruck eines goͤtt- lich hohen Geiſtes, in Formen ausgewachſener Jugend, macht die unverkennbare Abſicht dieſes Werks aus. Aus ihr muß man ſich erklaͤren, warum der Kuͤnſtler jene ſchlaͤngelnden Muſkeln, jene unzaͤhligen Aus- ſchweifungen des Umriſſes, die dem Marmor zwar den Charakter des wahren Fleiſches geben, allein durch die vielen kleinen Parthien, die ſie bilden, auch dem Charakter der Groͤße leicht gefaͤhrlich werden, nicht deutlich angegeben hat. Der Unterleib vorzuͤg- lich ſcheint gleichſam abgerundet, ohne jene muͤrbe Weichheit, welche die Italiener morbidezza nennen. Dem

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/74>, abgerufen am 24.11.2024.