Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787.Der Vaticanische Pallast. dessen Angstgefühl zu vermehren, den Hülfsbedürfti-gen um Beistand an. So der Gedanke: Er ist fein, er ist reich, er ist Die Hauptfigur stellt einen Mann vor über die Ansehen "mit einem schönen edlen Ausdrucke, der Mitleiden
"erregen soll; aber beim Dichter ist er ein Mann, "der Schrecken und Entsetzen verursachen soll. Es "wird hier die Fabel in ganz anderer Absicht erzählt "und beigebracht. Ein Portentum, ein Schreck- "wunder sollte da die Begebenheit seyn, welches auf "die Gemüther der Trojaner würkte: diejenigen, "welche abriethen, das Pferd in die Stadt zu brin- "gen, und es der Minerva als ein geheiligtes Ge- "schenk für die vermeinte Befreiung von der Bela- "gerung in ihrem Tempel aufzustellen, sollten durch "das Schicksal des Laocoon abgeschreckt werden; "das Schicksal mußte also recht schrecklich beschrie- "ben seyn; und zum Schrecken würkt wohl ein groß "Geschrei mehr als Seufzen." Ich möchte sogar behaupten, der Laocoon, den wir sehen, habe schreien können, den Augenblick vor, oder den Au- genblick nach demjenigen, in dem wir ihn vorgestellt sehen. Hier ruft er die Unsterblichen um Hülfe an, und diese Handlung ist von derjenigen, da uns kör- perlicher Schmerz zum Geschrei zwingt, der Zeit- folge nach verschieden. Der eine Sohn schreiet würklich, und schreiet zum Vater. Er fühlt noch nicht, wie wenig ihm Sterbliche helfen können. Der Vaticaniſche Pallaſt. deſſen Angſtgefuͤhl zu vermehren, den Huͤlfsbeduͤrfti-gen um Beiſtand an. So der Gedanke: Er iſt fein, er iſt reich, er iſt Die Hauptfigur ſtellt einen Mann vor uͤber die Anſehen „mit einem ſchoͤnen edlen Ausdrucke, der Mitleiden
„erregen ſoll; aber beim Dichter iſt er ein Mann, „der Schrecken und Entſetzen verurſachen ſoll. Es „wird hier die Fabel in ganz anderer Abſicht erzaͤhlt „und beigebracht. Ein Portentum, ein Schreck- „wunder ſollte da die Begebenheit ſeyn, welches auf „die Gemuͤther der Trojaner wuͤrkte: diejenigen, „welche abriethen, das Pferd in die Stadt zu brin- „gen, und es der Minerva als ein geheiligtes Ge- „ſchenk fuͤr die vermeinte Befreiung von der Bela- „gerung in ihrem Tempel aufzuſtellen, ſollten durch „das Schickſal des Laocoon abgeſchreckt werden; „das Schickſal mußte alſo recht ſchrecklich beſchrie- „ben ſeyn; und zum Schrecken wuͤrkt wohl ein groß „Geſchrei mehr als Seufzen.“ Ich moͤchte ſogar behaupten, der Laocoon, den wir ſehen, habe ſchreien koͤnnen, den Augenblick vor, oder den Au- genblick nach demjenigen, in dem wir ihn vorgeſtellt ſehen. Hier ruft er die Unſterblichen um Huͤlfe an, und dieſe Handlung iſt von derjenigen, da uns koͤr- perlicher Schmerz zum Geſchrei zwingt, der Zeit- folge nach verſchieden. Der eine Sohn ſchreiet wuͤrklich, und ſchreiet zum Vater. Er fuͤhlt noch nicht, wie wenig ihm Sterbliche helfen koͤnnen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0082" n="60"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Der Vaticaniſche Pallaſt.</hi></fw><lb/> deſſen Angſtgefuͤhl zu vermehren, den Huͤlfsbeduͤrfti-<lb/> gen um Beiſtand an.</p><lb/> <p>So der Gedanke: Er iſt fein, er iſt reich, er iſt<lb/> groß: Die Ausfuͤhrung ſteht ihm nicht nach.</p><lb/> <p>Die Hauptfigur ſtellt einen Mann vor uͤber die<lb/> Mitte des gewoͤhnlichen Menſchenalters. Laocoon<lb/> graͤnzt an die Jahre des Greiſes, und dieſe Stufe des<lb/> Alters gibt ſeinem edlen Koͤrper ganz das ehrwuͤrdige<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Anſehen</fw><lb/><note xml:id="seg2pn_1_4" prev="#seg2pn_1_3" place="foot" n="6)">„mit einem ſchoͤnen edlen Ausdrucke, der Mitleiden<lb/> „erregen ſoll; aber beim Dichter iſt er ein Mann,<lb/> „der Schrecken und Entſetzen verurſachen ſoll. Es<lb/> „wird hier die Fabel in ganz anderer Abſicht erzaͤhlt<lb/> „und beigebracht. Ein Portentum, ein Schreck-<lb/> „wunder ſollte da die Begebenheit ſeyn, welches auf<lb/> „die Gemuͤther der Trojaner wuͤrkte: diejenigen,<lb/> „welche abriethen, das Pferd in die Stadt zu brin-<lb/> „gen, und es der Minerva als ein geheiligtes Ge-<lb/> „ſchenk fuͤr die vermeinte Befreiung von der Bela-<lb/> „gerung in ihrem Tempel aufzuſtellen, ſollten durch<lb/> „das Schickſal des Laocoon abgeſchreckt werden;<lb/> „das Schickſal mußte alſo recht ſchrecklich beſchrie-<lb/> „ben ſeyn; und zum Schrecken wuͤrkt wohl ein groß<lb/> „Geſchrei mehr als Seufzen.“ Ich moͤchte ſogar<lb/> behaupten, der Laocoon, den wir ſehen, habe<lb/> ſchreien koͤnnen, den Augenblick vor, oder den Au-<lb/> genblick nach demjenigen, in dem wir ihn vorgeſtellt<lb/> ſehen. Hier ruft er die Unſterblichen um Huͤlfe an,<lb/> und dieſe Handlung iſt von derjenigen, da uns koͤr-<lb/> perlicher Schmerz zum Geſchrei zwingt, der Zeit-<lb/> folge nach verſchieden. Der eine Sohn ſchreiet<lb/> wuͤrklich, und ſchreiet zum Vater. Er fuͤhlt noch<lb/> nicht, wie wenig ihm Sterbliche helfen koͤnnen.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [60/0082]
Der Vaticaniſche Pallaſt.
deſſen Angſtgefuͤhl zu vermehren, den Huͤlfsbeduͤrfti-
gen um Beiſtand an.
So der Gedanke: Er iſt fein, er iſt reich, er iſt
groß: Die Ausfuͤhrung ſteht ihm nicht nach.
Die Hauptfigur ſtellt einen Mann vor uͤber die
Mitte des gewoͤhnlichen Menſchenalters. Laocoon
graͤnzt an die Jahre des Greiſes, und dieſe Stufe des
Alters gibt ſeinem edlen Koͤrper ganz das ehrwuͤrdige
Anſehen
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6) „mit einem ſchoͤnen edlen Ausdrucke, der Mitleiden
„erregen ſoll; aber beim Dichter iſt er ein Mann,
„der Schrecken und Entſetzen verurſachen ſoll. Es
„wird hier die Fabel in ganz anderer Abſicht erzaͤhlt
„und beigebracht. Ein Portentum, ein Schreck-
„wunder ſollte da die Begebenheit ſeyn, welches auf
„die Gemuͤther der Trojaner wuͤrkte: diejenigen,
„welche abriethen, das Pferd in die Stadt zu brin-
„gen, und es der Minerva als ein geheiligtes Ge-
„ſchenk fuͤr die vermeinte Befreiung von der Bela-
„gerung in ihrem Tempel aufzuſtellen, ſollten durch
„das Schickſal des Laocoon abgeſchreckt werden;
„das Schickſal mußte alſo recht ſchrecklich beſchrie-
„ben ſeyn; und zum Schrecken wuͤrkt wohl ein groß
„Geſchrei mehr als Seufzen.“ Ich moͤchte ſogar
behaupten, der Laocoon, den wir ſehen, habe
ſchreien koͤnnen, den Augenblick vor, oder den Au-
genblick nach demjenigen, in dem wir ihn vorgeſtellt
ſehen. Hier ruft er die Unſterblichen um Huͤlfe an,
und dieſe Handlung iſt von derjenigen, da uns koͤr-
perlicher Schmerz zum Geſchrei zwingt, der Zeit-
folge nach verſchieden. Der eine Sohn ſchreiet
wuͤrklich, und ſchreiet zum Vater. Er fuͤhlt noch
nicht, wie wenig ihm Sterbliche helfen koͤnnen.
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