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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787.

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Der Vaticanische Pallast.

Der ältere hingegen ist blos um das linke Bein
und den rechten Arm von den Schlangen umwunden.
Zwar unauflöslich, aber doch so, daß er noch nicht
durch würklichen Schmerz, durch heftige Beklem-
mung leidet: desto mehr von Schrecken und Angst.
Er schreiet, -- und er kann vielleicht allein schreien --
er streckt Arme und Augen zum Vater, und flehet,

dessen
Gedanke seyn. Allein bei dem gegenwärtigen kön-
nen wir uns dies blos denken: Wir sehen es nicht.
Laocoon ist mit seinem eigenen Leiden beschäfftigt.
Sein Blick ist nicht auf die Kinder, er ist gen Him-
mel gerichtet, von dort erflehet er Hülfe für sie alle.
Diese Wendung des rückwärts in die Höhe gewand-
ten Obertheils des Körpers war dem Künstler zu
vortheilhaft, um ihr eine herabgebogene auf die
Kinder, wie sie doch wohl, um jene Idee deutlich
zu machen, seyn müßte, nicht aufzuopfern. Einen
ähnlichen Ausdruck finden wir an den schönsten
Töchtern der Niobe. Auch dort ist körperlicher
Schmerz: auch dort Gefühl eines unvermeidlichen
Schicksals: auch dort wenden sich die Augen gen
Himmel mit rückwärts übergebogenem Haupte und
der geöffnete Mund stößt Flehen und Klagen aus.
Beim Virgil schreiet der Vater laut auf. Der
Herr Hofrath Heyne hat den Grund, warum hier
der Künstler von dem Dichter abgeht, auch ohne
Rücksicht auf das Gesetz der Schönheit, blos nach
der Verschiedenheit des Eindrucks, den sie hervor-
bringen wollten, vortrefflich aus einander gesetzt.
Die Stelle, die ein ganzes Buch unnütz machen
könnte, steht S. 51, am angeführten Orte. "In
"der Gruppe," sagt er, "ist Laocoon ein Leidender
"mit
Der Vaticaniſche Pallaſt.

Der aͤltere hingegen iſt blos um das linke Bein
und den rechten Arm von den Schlangen umwunden.
Zwar unaufloͤslich, aber doch ſo, daß er noch nicht
durch wuͤrklichen Schmerz, durch heftige Beklem-
mung leidet: deſto mehr von Schrecken und Angſt.
Er ſchreiet, — und er kann vielleicht allein ſchreien —
er ſtreckt Arme und Augen zum Vater, und flehet,

deſſen
Gedanke ſeyn. Allein bei dem gegenwaͤrtigen koͤn-
nen wir uns dies blos denken: Wir ſehen es nicht.
Laocoon iſt mit ſeinem eigenen Leiden beſchaͤfftigt.
Sein Blick iſt nicht auf die Kinder, er iſt gen Him-
mel gerichtet, von dort erflehet er Huͤlfe fuͤr ſie alle.
Dieſe Wendung des ruͤckwaͤrts in die Hoͤhe gewand-
ten Obertheils des Koͤrpers war dem Kuͤnſtler zu
vortheilhaft, um ihr eine herabgebogene auf die
Kinder, wie ſie doch wohl, um jene Idee deutlich
zu machen, ſeyn muͤßte, nicht aufzuopfern. Einen
aͤhnlichen Ausdruck finden wir an den ſchoͤnſten
Toͤchtern der Niobe. Auch dort iſt koͤrperlicher
Schmerz: auch dort Gefuͤhl eines unvermeidlichen
Schickſals: auch dort wenden ſich die Augen gen
Himmel mit ruͤckwaͤrts uͤbergebogenem Haupte und
der geoͤffnete Mund ſtoͤßt Flehen und Klagen aus.
Beim Virgil ſchreiet der Vater laut auf. Der
Herr Hofrath Heyne hat den Grund, warum hier
der Kuͤnſtler von dem Dichter abgeht, auch ohne
Ruͤckſicht auf das Geſetz der Schoͤnheit, blos nach
der Verſchiedenheit des Eindrucks, den ſie hervor-
bringen wollten, vortrefflich aus einander geſetzt.
Die Stelle, die ein ganzes Buch unnuͤtz machen
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[59/0081] Der Vaticaniſche Pallaſt. Der aͤltere hingegen iſt blos um das linke Bein und den rechten Arm von den Schlangen umwunden. Zwar unaufloͤslich, aber doch ſo, daß er noch nicht durch wuͤrklichen Schmerz, durch heftige Beklem- mung leidet: deſto mehr von Schrecken und Angſt. Er ſchreiet, — und er kann vielleicht allein ſchreien — er ſtreckt Arme und Augen zum Vater, und flehet, deſſen 6) 6) Gedanke ſeyn. Allein bei dem gegenwaͤrtigen koͤn- nen wir uns dies blos denken: Wir ſehen es nicht. Laocoon iſt mit ſeinem eigenen Leiden beſchaͤfftigt. Sein Blick iſt nicht auf die Kinder, er iſt gen Him- mel gerichtet, von dort erflehet er Huͤlfe fuͤr ſie alle. Dieſe Wendung des ruͤckwaͤrts in die Hoͤhe gewand- ten Obertheils des Koͤrpers war dem Kuͤnſtler zu vortheilhaft, um ihr eine herabgebogene auf die Kinder, wie ſie doch wohl, um jene Idee deutlich zu machen, ſeyn muͤßte, nicht aufzuopfern. Einen aͤhnlichen Ausdruck finden wir an den ſchoͤnſten Toͤchtern der Niobe. Auch dort iſt koͤrperlicher Schmerz: auch dort Gefuͤhl eines unvermeidlichen Schickſals: auch dort wenden ſich die Augen gen Himmel mit ruͤckwaͤrts uͤbergebogenem Haupte und der geoͤffnete Mund ſtoͤßt Flehen und Klagen aus. Beim Virgil ſchreiet der Vater laut auf. Der Herr Hofrath Heyne hat den Grund, warum hier der Kuͤnſtler von dem Dichter abgeht, auch ohne Ruͤckſicht auf das Geſetz der Schoͤnheit, blos nach der Verſchiedenheit des Eindrucks, den ſie hervor- bringen wollten, vortrefflich aus einander geſetzt. Die Stelle, die ein ganzes Buch unnuͤtz machen koͤnnte, ſteht S. 51, am angefuͤhrten Orte. „In „der Gruppe,“ ſagt er, „iſt Laocoon ein Leidender „mit

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/81>, abgerufen am 24.11.2024.