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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787.

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Villa Aldovrandini.
mählde des Tiepolo in der Kirche di St. Antonio zu
Padua! Man liest, sagt er, in dem Gesichte der
Heiligen den Schmerz und die Hoffnung der Seelig-
keit, u. s. w. Wer sich Stärke genung zutrauet,
den ekelhaften Anblick einer Frauensperson zu ertragen.
deren abgeschnittene Brüste blutig umherliegen, der
gehe hin und sehe! der Ausdruck ist Carricatur, die
Zeichnung unbestimmt und manierirt, das Colorit
wahre Fechtelmahlerei, und das Helldunkle conven-
tionell.

Aber, höre ich die Verehrer des Alterthums ein-
wenden, wenn nun schon das Mittelmäßige, das
Schlechte, das sich auf uns erhalten hat, das Vor-
trefflichste der neueren Kunst so weit hinter sich läßt! --
Aber, rufen mir die Anhänger der Neueren entgegen,
wenn nun in den Werken der Alten, sie mögen so
schlecht seyn wie sie wollen, nicht einmal die Spur
eines Begriffs von den eigenthümlichen Vorzügen der
Mahlerei angetroffen wird! Die Spur müßte sich
doch wenigstens finden, die Vermuthung eines ent-
fernten Nachstrebens, vorzüglich in solchen Theilen,
welche weniger von der mechanischen Uebung in der
Ausführung, als von der wissenschaftlichen Kenntniß
in der Zusammensetzung abhängen, und daher theils
leichter beobachtet, theils leichter wieder gefunden
werden. Selbst in dem gesudeltsten Conterfei unse-
rer heutigen Meisterstücke findet sich eine Andeutung
des Helldunkeln, der Gruppirung, der Luft- und
Linienperspektiv. Wenn wir nun aber in den Wer-
ken der alten Sudler diese Theile nicht blos vernach-
lässigt, gerade zu beleidigt sehen! -- der Schluß folgt
von selbst.

Lieben

Villa Aldovrandini.
maͤhlde des Tiepolo in der Kirche di St. Antonio zu
Padua! Man lieſt, ſagt er, in dem Geſichte der
Heiligen den Schmerz und die Hoffnung der Seelig-
keit, u. ſ. w. Wer ſich Staͤrke genung zutrauet,
den ekelhaften Anblick einer Frauensperſon zu ertragen.
deren abgeſchnittene Bruͤſte blutig umherliegen, der
gehe hin und ſehe! der Ausdruck iſt Carricatur, die
Zeichnung unbeſtimmt und manierirt, das Colorit
wahre Fechtelmahlerei, und das Helldunkle conven-
tionell.

Aber, hoͤre ich die Verehrer des Alterthums ein-
wenden, wenn nun ſchon das Mittelmaͤßige, das
Schlechte, das ſich auf uns erhalten hat, das Vor-
trefflichſte der neueren Kunſt ſo weit hinter ſich laͤßt! —
Aber, rufen mir die Anhaͤnger der Neueren entgegen,
wenn nun in den Werken der Alten, ſie moͤgen ſo
ſchlecht ſeyn wie ſie wollen, nicht einmal die Spur
eines Begriffs von den eigenthuͤmlichen Vorzuͤgen der
Mahlerei angetroffen wird! Die Spur muͤßte ſich
doch wenigſtens finden, die Vermuthung eines ent-
fernten Nachſtrebens, vorzuͤglich in ſolchen Theilen,
welche weniger von der mechaniſchen Uebung in der
Ausfuͤhrung, als von der wiſſenſchaftlichen Kenntniß
in der Zuſammenſetzung abhaͤngen, und daher theils
leichter beobachtet, theils leichter wieder gefunden
werden. Selbſt in dem geſudeltſten Conterfei unſe-
rer heutigen Meiſterſtuͤcke findet ſich eine Andeutung
des Helldunkeln, der Gruppirung, der Luft- und
Linienperſpektiv. Wenn wir nun aber in den Wer-
ken der alten Sudler dieſe Theile nicht blos vernach-
laͤſſigt, gerade zu beleidigt ſehen! — der Schluß folgt
von ſelbſt.

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[168/0182] Villa Aldovrandini. maͤhlde des Tiepolo in der Kirche di St. Antonio zu Padua! Man lieſt, ſagt er, in dem Geſichte der Heiligen den Schmerz und die Hoffnung der Seelig- keit, u. ſ. w. Wer ſich Staͤrke genung zutrauet, den ekelhaften Anblick einer Frauensperſon zu ertragen. deren abgeſchnittene Bruͤſte blutig umherliegen, der gehe hin und ſehe! der Ausdruck iſt Carricatur, die Zeichnung unbeſtimmt und manierirt, das Colorit wahre Fechtelmahlerei, und das Helldunkle conven- tionell. Aber, hoͤre ich die Verehrer des Alterthums ein- wenden, wenn nun ſchon das Mittelmaͤßige, das Schlechte, das ſich auf uns erhalten hat, das Vor- trefflichſte der neueren Kunſt ſo weit hinter ſich laͤßt! — Aber, rufen mir die Anhaͤnger der Neueren entgegen, wenn nun in den Werken der Alten, ſie moͤgen ſo ſchlecht ſeyn wie ſie wollen, nicht einmal die Spur eines Begriffs von den eigenthuͤmlichen Vorzuͤgen der Mahlerei angetroffen wird! Die Spur muͤßte ſich doch wenigſtens finden, die Vermuthung eines ent- fernten Nachſtrebens, vorzuͤglich in ſolchen Theilen, welche weniger von der mechaniſchen Uebung in der Ausfuͤhrung, als von der wiſſenſchaftlichen Kenntniß in der Zuſammenſetzung abhaͤngen, und daher theils leichter beobachtet, theils leichter wieder gefunden werden. Selbſt in dem geſudeltſten Conterfei unſe- rer heutigen Meiſterſtuͤcke findet ſich eine Andeutung des Helldunkeln, der Gruppirung, der Luft- und Linienperſpektiv. Wenn wir nun aber in den Wer- ken der alten Sudler dieſe Theile nicht blos vernach- laͤſſigt, gerade zu beleidigt ſehen! — der Schluß folgt von ſelbſt. Lieben

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/182>, abgerufen am 21.05.2024.