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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787.

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Villa Aldovrandini.

Lieben Männer! wollen wir durchaus urtheilen,
so laßt uns die verschiedenen Theile der Vollkommen-
heit eines Gemähldes unterscheiden; unterscheiden die
verschiedenen Würkungen, welche die Alten und die
Neueren von der Mahlerei erwarteten.

Ich gestehe: die Gemählde der Alten erfüllen
nicht die Forderungen, die ich an eine gute poetische
Erfindung mache. Die Süjets, die darauf vorge-
stellt sind, sind für mein Herz und meine nordische
Einbildungskraft, welche gern ein wenig stark bewegt
zu werden lieben von geringem Belang. Mehren-
theils sind sie aus religiösen Vorstellungen hergenom-
men. Vorzüglich aber vermisse ich in größeren
Compositionen den ungetrennten Antheil mehrerer
Personen an einer Handlung, der für sich durch eine
passende Pantomime einen vollständigen Aufschluß
über die dargestellte Situation enthielte. Gemeini-
glich kömmt mir der Ausdruck für die Lage übertrie-
ben, oder unbedeutend vor. Physiognomie, Cha-
rakter haben die Figuren, selbst zuweilen Ausdruck
einer Gemüthsverfassung, welche durch die indivi-
duellen Verhältnisse der dargestellten Personen moti-
virt wird; aber selten liegen diese Verhältnisse im
Bilde: gemeiniglich setzt der Künstler die Kenntniß
derselben bei dem Anschauer zum Voraus, und stellt
seine Akteurs auf eine Art vor, als hätten diese nicht
sowohl den Auftrag, mich über ihre Beschäfftigung
zu verständigen, als mir die schönsten Stellungen zu
zeigen, in denen bei einer solchen Veranlassung sich
einzelne Figuren denken lassen.

Bei einzelnen Figuren mag uns denn selbst nach
unsern heutigen Begriffen dies genügen. Aber bei

einer
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Villa Aldovrandini.

Lieben Maͤnner! wollen wir durchaus urtheilen,
ſo laßt uns die verſchiedenen Theile der Vollkommen-
heit eines Gemaͤhldes unterſcheiden; unterſcheiden die
verſchiedenen Wuͤrkungen, welche die Alten und die
Neueren von der Mahlerei erwarteten.

Ich geſtehe: die Gemaͤhlde der Alten erfuͤllen
nicht die Forderungen, die ich an eine gute poetiſche
Erfindung mache. Die Suͤjets, die darauf vorge-
ſtellt ſind, ſind fuͤr mein Herz und meine nordiſche
Einbildungskraft, welche gern ein wenig ſtark bewegt
zu werden lieben von geringem Belang. Mehren-
theils ſind ſie aus religioͤſen Vorſtellungen hergenom-
men. Vorzuͤglich aber vermiſſe ich in groͤßeren
Compoſitionen den ungetrennten Antheil mehrerer
Perſonen an einer Handlung, der fuͤr ſich durch eine
paſſende Pantomime einen vollſtaͤndigen Aufſchluß
uͤber die dargeſtellte Situation enthielte. Gemeini-
glich koͤmmt mir der Ausdruck fuͤr die Lage uͤbertrie-
ben, oder unbedeutend vor. Phyſiognomie, Cha-
rakter haben die Figuren, ſelbſt zuweilen Ausdruck
einer Gemuͤthsverfaſſung, welche durch die indivi-
duellen Verhaͤltniſſe der dargeſtellten Perſonen moti-
virt wird; aber ſelten liegen dieſe Verhaͤltniſſe im
Bilde: gemeiniglich ſetzt der Kuͤnſtler die Kenntniß
derſelben bei dem Anſchauer zum Voraus, und ſtellt
ſeine Akteurs auf eine Art vor, als haͤtten dieſe nicht
ſowohl den Auftrag, mich uͤber ihre Beſchaͤfftigung
zu verſtaͤndigen, als mir die ſchoͤnſten Stellungen zu
zeigen, in denen bei einer ſolchen Veranlaſſung ſich
einzelne Figuren denken laſſen.

Bei einzelnen Figuren mag uns denn ſelbſt nach
unſern heutigen Begriffen dies genuͤgen. Aber bei

einer
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[169/0183] Villa Aldovrandini. Lieben Maͤnner! wollen wir durchaus urtheilen, ſo laßt uns die verſchiedenen Theile der Vollkommen- heit eines Gemaͤhldes unterſcheiden; unterſcheiden die verſchiedenen Wuͤrkungen, welche die Alten und die Neueren von der Mahlerei erwarteten. Ich geſtehe: die Gemaͤhlde der Alten erfuͤllen nicht die Forderungen, die ich an eine gute poetiſche Erfindung mache. Die Suͤjets, die darauf vorge- ſtellt ſind, ſind fuͤr mein Herz und meine nordiſche Einbildungskraft, welche gern ein wenig ſtark bewegt zu werden lieben von geringem Belang. Mehren- theils ſind ſie aus religioͤſen Vorſtellungen hergenom- men. Vorzuͤglich aber vermiſſe ich in groͤßeren Compoſitionen den ungetrennten Antheil mehrerer Perſonen an einer Handlung, der fuͤr ſich durch eine paſſende Pantomime einen vollſtaͤndigen Aufſchluß uͤber die dargeſtellte Situation enthielte. Gemeini- glich koͤmmt mir der Ausdruck fuͤr die Lage uͤbertrie- ben, oder unbedeutend vor. Phyſiognomie, Cha- rakter haben die Figuren, ſelbſt zuweilen Ausdruck einer Gemuͤthsverfaſſung, welche durch die indivi- duellen Verhaͤltniſſe der dargeſtellten Perſonen moti- virt wird; aber ſelten liegen dieſe Verhaͤltniſſe im Bilde: gemeiniglich ſetzt der Kuͤnſtler die Kenntniß derſelben bei dem Anſchauer zum Voraus, und ſtellt ſeine Akteurs auf eine Art vor, als haͤtten dieſe nicht ſowohl den Auftrag, mich uͤber ihre Beſchaͤfftigung zu verſtaͤndigen, als mir die ſchoͤnſten Stellungen zu zeigen, in denen bei einer ſolchen Veranlaſſung ſich einzelne Figuren denken laſſen. Bei einzelnen Figuren mag uns denn ſelbſt nach unſern heutigen Begriffen dies genuͤgen. Aber bei einer L 5

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/183>, abgerufen am 29.11.2024.