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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787.

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Villa Ludovisi.

Daß diese Gruppe mir zu einem neuen Beweise
diene, wie die Kenntniß der bestimmten Veranlas-
sung einer Handlung das Vergnügen zwar erhöhe,
aber nicht allein ausmache. Wir wissen nichts von
den Schicksalen dieser beiden Unglücklichen, aber wer
setzt sich nicht selbst ihre Geschichte zusammen, und
erklärt daraus den Ausdruck? Es ist ein eifersüch-
tiger Gemahl, der seine Gattin seiner Wuth geopfert
hat, und sich nun selbst die verdiente Strafe giebt:
Es sind zwei Liebende, die das grausame Verhäng-
niß, das sie zu trennen drohet, nicht haben überleben
wollen. Kurz! es sind zwei Personen, die mit ein-
ander sterben, von denen die eine den letzten Stoß
bereits empfangen hat, die andere ihn sich giebt.
Ist dieser Ausdruck wahr, so ist er interessant ge-
nung an sich selbst, ohne daß wir die zufälligen Ne-
benumstände, die diese Begebenheit bestimmten Per-
sonen an einem bestimmten Orte und zu bestimmten
Zeiten beilegen, zu wissen brauchen. Wer ist über
diese Welt mit einem Herzen hingegangen, das nicht
in der Heftigkeit einer gestörten Leidenschaft nur im
Tode Vereinigung mit einem andern gewünscht hätte!

Doch! so viel bei einem Werke in Stein zu
fühlen verlange ich nicht. Wie ist die Stellung?
Bringt sie die Muskeln in eine vortheilhafte Lage?

Das
"Unterricht der Absicht seiner Absendung, den De-
"gen mit betrübtem Gesichte überbrachte, sich den-
"selben in die Brust gestoßen habe, da er gesehen,
"daß sich Camache mit demselben entleibte." Win-
kelmann, G. d. K. S. 801. -- Welch ein Edel-
muth für einen Trabanten mit dem Knebelbarte!
Villa Ludoviſi.

Daß dieſe Gruppe mir zu einem neuen Beweiſe
diene, wie die Kenntniß der beſtimmten Veranlaſ-
ſung einer Handlung das Vergnuͤgen zwar erhoͤhe,
aber nicht allein ausmache. Wir wiſſen nichts von
den Schickſalen dieſer beiden Ungluͤcklichen, aber wer
ſetzt ſich nicht ſelbſt ihre Geſchichte zuſammen, und
erklaͤrt daraus den Ausdruck? Es iſt ein eiferſuͤch-
tiger Gemahl, der ſeine Gattin ſeiner Wuth geopfert
hat, und ſich nun ſelbſt die verdiente Strafe giebt:
Es ſind zwei Liebende, die das grauſame Verhaͤng-
niß, das ſie zu trennen drohet, nicht haben uͤberleben
wollen. Kurz! es ſind zwei Perſonen, die mit ein-
ander ſterben, von denen die eine den letzten Stoß
bereits empfangen hat, die andere ihn ſich giebt.
Iſt dieſer Ausdruck wahr, ſo iſt er intereſſant ge-
nung an ſich ſelbſt, ohne daß wir die zufaͤlligen Ne-
benumſtaͤnde, die dieſe Begebenheit beſtimmten Per-
ſonen an einem beſtimmten Orte und zu beſtimmten
Zeiten beilegen, zu wiſſen brauchen. Wer iſt uͤber
dieſe Welt mit einem Herzen hingegangen, das nicht
in der Heftigkeit einer geſtoͤrten Leidenſchaft nur im
Tode Vereinigung mit einem andern gewuͤnſcht haͤtte!

Doch! ſo viel bei einem Werke in Stein zu
fuͤhlen verlange ich nicht. Wie iſt die Stellung?
Bringt ſie die Muſkeln in eine vortheilhafte Lage?

Das
„Unterricht der Abſicht ſeiner Abſendung, den De-
„gen mit betruͤbtem Geſichte uͤberbrachte, ſich den-
„ſelben in die Bruſt geſtoßen habe, da er geſehen,
„daß ſich Camache mit demſelben entleibte.“ Win-
kelmann, G. d. K. S. 801. — Welch ein Edel-
muth fuͤr einen Trabanten mit dem Knebelbarte!
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[208/0222] Villa Ludoviſi. Daß dieſe Gruppe mir zu einem neuen Beweiſe diene, wie die Kenntniß der beſtimmten Veranlaſ- ſung einer Handlung das Vergnuͤgen zwar erhoͤhe, aber nicht allein ausmache. Wir wiſſen nichts von den Schickſalen dieſer beiden Ungluͤcklichen, aber wer ſetzt ſich nicht ſelbſt ihre Geſchichte zuſammen, und erklaͤrt daraus den Ausdruck? Es iſt ein eiferſuͤch- tiger Gemahl, der ſeine Gattin ſeiner Wuth geopfert hat, und ſich nun ſelbſt die verdiente Strafe giebt: Es ſind zwei Liebende, die das grauſame Verhaͤng- niß, das ſie zu trennen drohet, nicht haben uͤberleben wollen. Kurz! es ſind zwei Perſonen, die mit ein- ander ſterben, von denen die eine den letzten Stoß bereits empfangen hat, die andere ihn ſich giebt. Iſt dieſer Ausdruck wahr, ſo iſt er intereſſant ge- nung an ſich ſelbſt, ohne daß wir die zufaͤlligen Ne- benumſtaͤnde, die dieſe Begebenheit beſtimmten Per- ſonen an einem beſtimmten Orte und zu beſtimmten Zeiten beilegen, zu wiſſen brauchen. Wer iſt uͤber dieſe Welt mit einem Herzen hingegangen, das nicht in der Heftigkeit einer geſtoͤrten Leidenſchaft nur im Tode Vereinigung mit einem andern gewuͤnſcht haͤtte! Doch! ſo viel bei einem Werke in Stein zu fuͤhlen verlange ich nicht. Wie iſt die Stellung? Bringt ſie die Muſkeln in eine vortheilhafte Lage? Das 5) 5) „Unterricht der Abſicht ſeiner Abſendung, den De- „gen mit betruͤbtem Geſichte uͤberbrachte, ſich den- „ſelben in die Bruſt geſtoßen habe, da er geſehen, „daß ſich Camache mit demſelben entleibte.“ Win- kelmann, G. d. K. S. 801. — Welch ein Edel- muth fuͤr einen Trabanten mit dem Knebelbarte!

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/222>, abgerufen am 15.05.2024.