Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite
Pallast Boccapaduli.

Mich dünkt ich irre mich nicht, wenn ich be-
haupte, daß die mehresten Schriftsteller, welche bis
jetzt über das Uebliche geschrieben haben, den Begriff
desselben so wenig als den Grad des Verdienstes, den
dessen Beobachtung für unser Vergnügen hat, genau
bestimmt haben. Die Erörterung der Fragen:
Was ist das Uebliche? Ist es mit der Wahrschein-
lichkeit, mit dem Schicklichen, mit historischer Treue
einerlei? Hat der Beobachter desselben würklich An-
spruch auf unsere Dankbarkeit? In wie weit dürfen
Fehler dagegen auf unsere Nachsicht Anspruch ma-
chen? Kann eine gar zu große Sorgfalt in Bezeich-
nung zufälliger Bestimmungen unser Vergnügen eher
schmählern als befördern? Diese Erörterung, glaube
ich, kann nicht außer dem Zwecke dieses Werks lie-
gen, und steht hier am rechten Orte.

Lassen Sie uns nie vergessen, daß der einzige
Weg, den die bildenden Künste haben, uns von
der Absicht und der Meinung einer Composition zu
unterrichten, das Auge ist: daß dieß allein eine voll-
ständige Verständigung von dem dargestellten Vor-
wurf geben muß. Gewisse Vorerkenntnisse werden
bei dem Beschauer unstreitig vorausgesetzt: Allein
diese müssen so allgemein ausgebreitet seyn, daß es
eines besondern Unterrichts bei dem einzelnen Kunst-
werke nicht bedarf, sondern daß die Fähigkeiten und
Kenntnisse eines jeden, der auf den Genuß der schö-
nen Künste berechtiget ist, zu der Vollständigkeit des
Begriffs der Darstellung zureichen.

Es giebt viele Vorwürfe der Darstellung, welche
vollständig zu erkennen, es schlechterdings nur einer

Auf-
Pallaſt Boccapaduli.

Mich duͤnkt ich irre mich nicht, wenn ich be-
haupte, daß die mehreſten Schriftſteller, welche bis
jetzt uͤber das Uebliche geſchrieben haben, den Begriff
deſſelben ſo wenig als den Grad des Verdienſtes, den
deſſen Beobachtung fuͤr unſer Vergnuͤgen hat, genau
beſtimmt haben. Die Eroͤrterung der Fragen:
Was iſt das Uebliche? Iſt es mit der Wahrſchein-
lichkeit, mit dem Schicklichen, mit hiſtoriſcher Treue
einerlei? Hat der Beobachter deſſelben wuͤrklich An-
ſpruch auf unſere Dankbarkeit? In wie weit duͤrfen
Fehler dagegen auf unſere Nachſicht Anſpruch ma-
chen? Kann eine gar zu große Sorgfalt in Bezeich-
nung zufaͤlliger Beſtimmungen unſer Vergnuͤgen eher
ſchmaͤhlern als befoͤrdern? Dieſe Eroͤrterung, glaube
ich, kann nicht außer dem Zwecke dieſes Werks lie-
gen, und ſteht hier am rechten Orte.

Laſſen Sie uns nie vergeſſen, daß der einzige
Weg, den die bildenden Kuͤnſte haben, uns von
der Abſicht und der Meinung einer Compoſition zu
unterrichten, das Auge iſt: daß dieß allein eine voll-
ſtaͤndige Verſtaͤndigung von dem dargeſtellten Vor-
wurf geben muß. Gewiſſe Vorerkenntniſſe werden
bei dem Beſchauer unſtreitig vorausgeſetzt: Allein
dieſe muͤſſen ſo allgemein ausgebreitet ſeyn, daß es
eines beſondern Unterrichts bei dem einzelnen Kunſt-
werke nicht bedarf, ſondern daß die Faͤhigkeiten und
Kenntniſſe eines jeden, der auf den Genuß der ſchoͤ-
nen Kuͤnſte berechtiget iſt, zu der Vollſtaͤndigkeit des
Begriffs der Darſtellung zureichen.

Es giebt viele Vorwuͤrfe der Darſtellung, welche
vollſtaͤndig zu erkennen, es ſchlechterdings nur einer

Auf-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0236" n="222"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Palla&#x017F;t Boccapaduli.</hi> </fw><lb/>
        <p>Mich du&#x0364;nkt ich irre mich nicht, wenn ich be-<lb/>
haupte, daß die mehre&#x017F;ten Schrift&#x017F;teller, welche bis<lb/>
jetzt u&#x0364;ber das Uebliche ge&#x017F;chrieben haben, den Begriff<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben &#x017F;o wenig als den Grad des Verdien&#x017F;tes, den<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Beobachtung fu&#x0364;r un&#x017F;er Vergnu&#x0364;gen hat, genau<lb/>
be&#x017F;timmt haben. Die Ero&#x0364;rterung der Fragen:<lb/>
Was i&#x017F;t das Uebliche? I&#x017F;t es mit der Wahr&#x017F;chein-<lb/>
lichkeit, mit dem Schicklichen, mit hi&#x017F;tori&#x017F;cher Treue<lb/>
einerlei? Hat der Beobachter de&#x017F;&#x017F;elben wu&#x0364;rklich An-<lb/>
&#x017F;pruch auf un&#x017F;ere Dankbarkeit? In wie weit du&#x0364;rfen<lb/>
Fehler dagegen auf un&#x017F;ere Nach&#x017F;icht An&#x017F;pruch ma-<lb/>
chen? Kann eine gar zu große Sorgfalt in Bezeich-<lb/>
nung zufa&#x0364;lliger Be&#x017F;timmungen un&#x017F;er Vergnu&#x0364;gen eher<lb/>
&#x017F;chma&#x0364;hlern als befo&#x0364;rdern? Die&#x017F;e Ero&#x0364;rterung, glaube<lb/>
ich, kann nicht außer dem Zwecke die&#x017F;es Werks lie-<lb/>
gen, und &#x017F;teht hier am rechten Orte.</p><lb/>
        <p>La&#x017F;&#x017F;en Sie uns nie verge&#x017F;&#x017F;en, daß der einzige<lb/>
Weg, den die bildenden Ku&#x0364;n&#x017F;te haben, uns von<lb/>
der Ab&#x017F;icht und der Meinung einer Compo&#x017F;ition zu<lb/>
unterrichten, das Auge i&#x017F;t: daß dieß allein eine voll-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndige Ver&#x017F;ta&#x0364;ndigung von dem darge&#x017F;tellten Vor-<lb/>
wurf geben muß. Gewi&#x017F;&#x017F;e Vorerkenntni&#x017F;&#x017F;e werden<lb/>
bei dem Be&#x017F;chauer un&#x017F;treitig vorausge&#x017F;etzt: Allein<lb/>
die&#x017F;e mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;o allgemein ausgebreitet &#x017F;eyn, daß es<lb/>
eines be&#x017F;ondern Unterrichts bei dem einzelnen Kun&#x017F;t-<lb/>
werke nicht bedarf, &#x017F;ondern daß die Fa&#x0364;higkeiten und<lb/>
Kenntni&#x017F;&#x017F;e eines jeden, der auf den Genuß der &#x017F;cho&#x0364;-<lb/>
nen Ku&#x0364;n&#x017F;te berechtiget i&#x017F;t, zu der Voll&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit des<lb/>
Begriffs der Dar&#x017F;tellung zureichen.</p><lb/>
        <p>Es giebt viele Vorwu&#x0364;rfe der Dar&#x017F;tellung, welche<lb/>
voll&#x017F;ta&#x0364;ndig zu erkennen, es &#x017F;chlechterdings nur einer<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Auf-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[222/0236] Pallaſt Boccapaduli. Mich duͤnkt ich irre mich nicht, wenn ich be- haupte, daß die mehreſten Schriftſteller, welche bis jetzt uͤber das Uebliche geſchrieben haben, den Begriff deſſelben ſo wenig als den Grad des Verdienſtes, den deſſen Beobachtung fuͤr unſer Vergnuͤgen hat, genau beſtimmt haben. Die Eroͤrterung der Fragen: Was iſt das Uebliche? Iſt es mit der Wahrſchein- lichkeit, mit dem Schicklichen, mit hiſtoriſcher Treue einerlei? Hat der Beobachter deſſelben wuͤrklich An- ſpruch auf unſere Dankbarkeit? In wie weit duͤrfen Fehler dagegen auf unſere Nachſicht Anſpruch ma- chen? Kann eine gar zu große Sorgfalt in Bezeich- nung zufaͤlliger Beſtimmungen unſer Vergnuͤgen eher ſchmaͤhlern als befoͤrdern? Dieſe Eroͤrterung, glaube ich, kann nicht außer dem Zwecke dieſes Werks lie- gen, und ſteht hier am rechten Orte. Laſſen Sie uns nie vergeſſen, daß der einzige Weg, den die bildenden Kuͤnſte haben, uns von der Abſicht und der Meinung einer Compoſition zu unterrichten, das Auge iſt: daß dieß allein eine voll- ſtaͤndige Verſtaͤndigung von dem dargeſtellten Vor- wurf geben muß. Gewiſſe Vorerkenntniſſe werden bei dem Beſchauer unſtreitig vorausgeſetzt: Allein dieſe muͤſſen ſo allgemein ausgebreitet ſeyn, daß es eines beſondern Unterrichts bei dem einzelnen Kunſt- werke nicht bedarf, ſondern daß die Faͤhigkeiten und Kenntniſſe eines jeden, der auf den Genuß der ſchoͤ- nen Kuͤnſte berechtiget iſt, zu der Vollſtaͤndigkeit des Begriffs der Darſtellung zureichen. Es giebt viele Vorwuͤrfe der Darſtellung, welche vollſtaͤndig zu erkennen, es ſchlechterdings nur einer Auf-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/236
Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/236>, abgerufen am 15.05.2024.