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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787.

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Pallast Boccapaduli.
Welcher Unterschied! Dort zeigt jede Figur denjeni-
gen Affekt, den der Charakter rechtfertiget. Auf-
merksamkeit, freudigen Antheil, stillen verbissenen
Neid, Ausbruch des Zorns u. s. w. Hier sind
mehrere Apostel bloße Zuschauer, andere ganz un-
interessirt bei dem, was sie wenigstens durch die Neu-
heit des Vorfalls interessiren sollte. Der Christ hat
die Figur eines schönen Jünglings, aber sein Kopf
ist ohne Ausdruck. Inzwischen verdient die Grup-
pe, in welcher der sanfte theilnehmende Johannes
mit dem erstaunten Andreas und dem neidischen Ju-
das contrastirt, allerdings unsern Beifall. Nur
wünschte ich, der Künstler hätte bei dem letzten außer
der bleichen Gesichtsfarbe nicht noch das ekelhafte
brennende Haar so auffallend herausgehoben. Uebri-
gens hat dies Bild die gewöhnlichen Fehler und Vor-
züge unsers Meisters.

Warnung
für den
Misbrauch,
Verworfen-
heit der See-
le durch ei-
nen sehr ent-
stellten Kör-
per zu be-
zeichnen.

Bei Gelegenheit der Figur des Judas, die der
Künstler bis zur Carricatur häßlich vorgestellt hat,
muß ich vor einem Misbrauch warnen, der sich
nur gar zu sehr eingeschlichen zu haben scheint.
Unter dem Vorwande des Ausdrucks, in der Idee
daß der Körper das Gepräge der Häßlichkeit der
Seele an sich tragen müsse, liefern uns die Künstler
unter der Fahne des Leonardo da Vinci gemeini-
glich entstellte Bildungen, die entweder Ekel oder
Lachen erwecken. Nie kann die Verbindlichkeit, die
Schönheit dem Ausdruck aufzuopfern, so weit
ausgedehnt werden, daß man uns unleidliche For-
men vorstellen dürfe. Denn die unangenehme Em-
pfindung eines widrigen Ausdrucks wird das

ange-

Pallaſt Boccapaduli.
Welcher Unterſchied! Dort zeigt jede Figur denjeni-
gen Affekt, den der Charakter rechtfertiget. Auf-
merkſamkeit, freudigen Antheil, ſtillen verbiſſenen
Neid, Ausbruch des Zorns u. ſ. w. Hier ſind
mehrere Apoſtel bloße Zuſchauer, andere ganz un-
intereſſirt bei dem, was ſie wenigſtens durch die Neu-
heit des Vorfalls intereſſiren ſollte. Der Chriſt hat
die Figur eines ſchoͤnen Juͤnglings, aber ſein Kopf
iſt ohne Ausdruck. Inzwiſchen verdient die Grup-
pe, in welcher der ſanfte theilnehmende Johannes
mit dem erſtaunten Andreas und dem neidiſchen Ju-
das contraſtirt, allerdings unſern Beifall. Nur
wuͤnſchte ich, der Kuͤnſtler haͤtte bei dem letzten außer
der bleichen Geſichtsfarbe nicht noch das ekelhafte
brennende Haar ſo auffallend herausgehoben. Uebri-
gens hat dies Bild die gewoͤhnlichen Fehler und Vor-
zuͤge unſers Meiſters.

Warnung
fuͤr den
Misbrauch,
Verworfen-
heit der See-
le durch ei-
nen ſehr ent-
ſtellten Koͤr-
per zu be-
zeichnen.

Bei Gelegenheit der Figur des Judas, die der
Kuͤnſtler bis zur Carricatur haͤßlich vorgeſtellt hat,
muß ich vor einem Misbrauch warnen, der ſich
nur gar zu ſehr eingeſchlichen zu haben ſcheint.
Unter dem Vorwande des Ausdrucks, in der Idee
daß der Koͤrper das Gepraͤge der Haͤßlichkeit der
Seele an ſich tragen muͤſſe, liefern uns die Kuͤnſtler
unter der Fahne des Leonardo da Vinci gemeini-
glich entſtellte Bildungen, die entweder Ekel oder
Lachen erwecken. Nie kann die Verbindlichkeit, die
Schoͤnheit dem Ausdruck aufzuopfern, ſo weit
ausgedehnt werden, daß man uns unleidliche For-
men vorſtellen duͤrfe. Denn die unangenehme Em-
pfindung eines widrigen Ausdrucks wird das

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[250/0264] Pallaſt Boccapaduli. Welcher Unterſchied! Dort zeigt jede Figur denjeni- gen Affekt, den der Charakter rechtfertiget. Auf- merkſamkeit, freudigen Antheil, ſtillen verbiſſenen Neid, Ausbruch des Zorns u. ſ. w. Hier ſind mehrere Apoſtel bloße Zuſchauer, andere ganz un- intereſſirt bei dem, was ſie wenigſtens durch die Neu- heit des Vorfalls intereſſiren ſollte. Der Chriſt hat die Figur eines ſchoͤnen Juͤnglings, aber ſein Kopf iſt ohne Ausdruck. Inzwiſchen verdient die Grup- pe, in welcher der ſanfte theilnehmende Johannes mit dem erſtaunten Andreas und dem neidiſchen Ju- das contraſtirt, allerdings unſern Beifall. Nur wuͤnſchte ich, der Kuͤnſtler haͤtte bei dem letzten außer der bleichen Geſichtsfarbe nicht noch das ekelhafte brennende Haar ſo auffallend herausgehoben. Uebri- gens hat dies Bild die gewoͤhnlichen Fehler und Vor- zuͤge unſers Meiſters. Bei Gelegenheit der Figur des Judas, die der Kuͤnſtler bis zur Carricatur haͤßlich vorgeſtellt hat, muß ich vor einem Misbrauch warnen, der ſich nur gar zu ſehr eingeſchlichen zu haben ſcheint. Unter dem Vorwande des Ausdrucks, in der Idee daß der Koͤrper das Gepraͤge der Haͤßlichkeit der Seele an ſich tragen muͤſſe, liefern uns die Kuͤnſtler unter der Fahne des Leonardo da Vinci gemeini- glich entſtellte Bildungen, die entweder Ekel oder Lachen erwecken. Nie kann die Verbindlichkeit, die Schoͤnheit dem Ausdruck aufzuopfern, ſo weit ausgedehnt werden, daß man uns unleidliche For- men vorſtellen duͤrfe. Denn die unangenehme Em- pfindung eines widrigen Ausdrucks wird das ange-

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/264>, abgerufen am 22.11.2024.