Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

Pallast Boccapaduli.
angenehme Gefühl, das aus Gewahrnehmung des
Wahren entsteht, weit überwiegen.

Der Ausdruck einer verworfenen Seele liegt weit
mehr in den beweglichen Theilen des Körpers, als in
den festen. Man wird nicht allein alle schönen See-
len in einem entstellten Körper durch Reproduction
ihrer körperlichen Fehler in einer scheußlichen Rolle
beleidigen, man wird auch gegen die Erfahrung han-
deln, die uns oft die schlechtesten Menschen unter an-
genehmen Gestalten zeigt. Ja! oft ist es gerade zu
unwahrscheinlich, daß eine Seele, die auf eine so
auffallende Art am Körper gezeichnet ist, sich das
Vertrauen der mithandelnden Personen habe erwer-
ben können, z. E. im Judas Ischarioth. Ich ver-
lange keine Schönheiten, nur gleichgültige Gestalten,
die durch ihre festen Theile nicht beleidigen, und
durch ihre beweglichen die Verworfenheit ihres Cha-
rakters deutlich genung an den Tag legen.

Ich weiß, daß dies viel schwerer ist, als Carri-
caturen zu mahlen, ich weiß, daß ein sehr feines
Gefühl dazu gehört, den Punkt zu treffen, wo Aus-
druck mit dem Gesetz: nichts Widriges darzustellen,
zusammentrifft. Aber so lange wir den Kopf des
Carracalla im Pallast Farnese, die Köpfe eines Ra-
phaels, und das Höchste der Kunst in diesem Stücke,
die Köpfe des Paris, die sich auf uns erhalten haben,
bewundern, so lange dürfen wir an der Möglichkeit
nicht verzweifeln.

Das

Pallaſt Boccapaduli.
angenehme Gefuͤhl, das aus Gewahrnehmung des
Wahren entſteht, weit uͤberwiegen.

Der Ausdruck einer verworfenen Seele liegt weit
mehr in den beweglichen Theilen des Koͤrpers, als in
den feſten. Man wird nicht allein alle ſchoͤnen See-
len in einem entſtellten Koͤrper durch Reproduction
ihrer koͤrperlichen Fehler in einer ſcheußlichen Rolle
beleidigen, man wird auch gegen die Erfahrung han-
deln, die uns oft die ſchlechteſten Menſchen unter an-
genehmen Geſtalten zeigt. Ja! oft iſt es gerade zu
unwahrſcheinlich, daß eine Seele, die auf eine ſo
auffallende Art am Koͤrper gezeichnet iſt, ſich das
Vertrauen der mithandelnden Perſonen habe erwer-
ben koͤnnen, z. E. im Judas Iſcharioth. Ich ver-
lange keine Schoͤnheiten, nur gleichguͤltige Geſtalten,
die durch ihre feſten Theile nicht beleidigen, und
durch ihre beweglichen die Verworfenheit ihres Cha-
rakters deutlich genung an den Tag legen.

Ich weiß, daß dies viel ſchwerer iſt, als Carri-
caturen zu mahlen, ich weiß, daß ein ſehr feines
Gefuͤhl dazu gehoͤrt, den Punkt zu treffen, wo Aus-
druck mit dem Geſetz: nichts Widriges darzuſtellen,
zuſammentrifft. Aber ſo lange wir den Kopf des
Carracalla im Pallaſt Farneſe, die Koͤpfe eines Ra-
phaels, und das Hoͤchſte der Kunſt in dieſem Stuͤcke,
die Koͤpfe des Paris, die ſich auf uns erhalten haben,
bewundern, ſo lange duͤrfen wir an der Moͤglichkeit
nicht verzweifeln.

Das
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0265" n="251"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Palla&#x017F;t Boccapaduli.</hi></fw><lb/>
angenehme Gefu&#x0364;hl, das aus Gewahrnehmung des<lb/>
Wahren ent&#x017F;teht, weit u&#x0364;berwiegen.</p><lb/>
        <p>Der Ausdruck einer verworfenen Seele liegt weit<lb/>
mehr in den beweglichen Theilen des Ko&#x0364;rpers, als in<lb/>
den fe&#x017F;ten. Man wird nicht allein alle &#x017F;cho&#x0364;nen See-<lb/>
len in einem ent&#x017F;tellten Ko&#x0364;rper durch Reproduction<lb/>
ihrer ko&#x0364;rperlichen Fehler in einer &#x017F;cheußlichen Rolle<lb/>
beleidigen, man wird auch gegen die Erfahrung han-<lb/>
deln, die uns oft die &#x017F;chlechte&#x017F;ten Men&#x017F;chen unter an-<lb/>
genehmen Ge&#x017F;talten zeigt. Ja! oft i&#x017F;t es gerade zu<lb/>
unwahr&#x017F;cheinlich, daß eine Seele, die auf eine &#x017F;o<lb/>
auffallende Art am Ko&#x0364;rper gezeichnet i&#x017F;t, &#x017F;ich das<lb/>
Vertrauen der mithandelnden Per&#x017F;onen habe erwer-<lb/>
ben ko&#x0364;nnen, z. E. im Judas I&#x017F;charioth. Ich ver-<lb/>
lange keine Scho&#x0364;nheiten, nur gleichgu&#x0364;ltige Ge&#x017F;talten,<lb/>
die durch ihre fe&#x017F;ten Theile nicht beleidigen, und<lb/>
durch ihre beweglichen die Verworfenheit ihres Cha-<lb/>
rakters deutlich genung an den Tag legen.</p><lb/>
        <p>Ich weiß, daß dies viel &#x017F;chwerer i&#x017F;t, als Carri-<lb/>
caturen zu mahlen, ich weiß, daß ein &#x017F;ehr feines<lb/>
Gefu&#x0364;hl dazu geho&#x0364;rt, den Punkt zu treffen, wo Aus-<lb/>
druck mit dem Ge&#x017F;etz: nichts Widriges darzu&#x017F;tellen,<lb/>
zu&#x017F;ammentrifft. Aber &#x017F;o lange wir den Kopf des<lb/>
Carracalla im Palla&#x017F;t Farne&#x017F;e, die Ko&#x0364;pfe eines Ra-<lb/>
phaels, und das Ho&#x0364;ch&#x017F;te der Kun&#x017F;t in die&#x017F;em Stu&#x0364;cke,<lb/>
die Ko&#x0364;pfe des Paris, die &#x017F;ich auf uns erhalten haben,<lb/>
bewundern, &#x017F;o lange du&#x0364;rfen wir an der Mo&#x0364;glichkeit<lb/>
nicht verzweifeln.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Das</hi> </fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[251/0265] Pallaſt Boccapaduli. angenehme Gefuͤhl, das aus Gewahrnehmung des Wahren entſteht, weit uͤberwiegen. Der Ausdruck einer verworfenen Seele liegt weit mehr in den beweglichen Theilen des Koͤrpers, als in den feſten. Man wird nicht allein alle ſchoͤnen See- len in einem entſtellten Koͤrper durch Reproduction ihrer koͤrperlichen Fehler in einer ſcheußlichen Rolle beleidigen, man wird auch gegen die Erfahrung han- deln, die uns oft die ſchlechteſten Menſchen unter an- genehmen Geſtalten zeigt. Ja! oft iſt es gerade zu unwahrſcheinlich, daß eine Seele, die auf eine ſo auffallende Art am Koͤrper gezeichnet iſt, ſich das Vertrauen der mithandelnden Perſonen habe erwer- ben koͤnnen, z. E. im Judas Iſcharioth. Ich ver- lange keine Schoͤnheiten, nur gleichguͤltige Geſtalten, die durch ihre feſten Theile nicht beleidigen, und durch ihre beweglichen die Verworfenheit ihres Cha- rakters deutlich genung an den Tag legen. Ich weiß, daß dies viel ſchwerer iſt, als Carri- caturen zu mahlen, ich weiß, daß ein ſehr feines Gefuͤhl dazu gehoͤrt, den Punkt zu treffen, wo Aus- druck mit dem Geſetz: nichts Widriges darzuſtellen, zuſammentrifft. Aber ſo lange wir den Kopf des Carracalla im Pallaſt Farneſe, die Koͤpfe eines Ra- phaels, und das Hoͤchſte der Kunſt in dieſem Stuͤcke, die Koͤpfe des Paris, die ſich auf uns erhalten haben, bewundern, ſo lange duͤrfen wir an der Moͤglichkeit nicht verzweifeln. Das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/265
Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/265>, abgerufen am 01.09.2024.