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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787.

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Pallast Barberini.
wieder auf den Ausdruck zurück, und prüft dessen
Wahrheit.

Wehe dem Liebhaber des Schönen, der den
Tacitus nicht gelesen hat, wenn das Bild nicht sagt,
warum sich die darauf vorgestellten Personen so und
nicht anders gebärden! Aber wehe auch dem gelehr-
ten Künstler, der sich auf ein Buch beruft! Man
wird dem Vorgeben nicht glauben, möchte ich mit
dem Germanicus sagen, oder es als Entschuldigung
nicht gelten lassen.

Denn werden wir wohl selbst bei der bekanntesten
Geschichte, die das Süjet eines fortschreitenden pon-
tomimischen Dramas ausmacht, dem Compositeur
die Exposition der Schicksale schenken, die seine han-
delnden Personen in den Affekt versetzen, der uns
durch Gebärden verdollmetscht werden kann? Wür-
den wir es dem Noverre Dank wissen, wenn er uns
einzelne abgerissene Scenen aus der Geschichte der
Horazier und Curiazier geliefert, und sich übrigens
des Zusammenhangs wegen auf den Livius berufen
hätte, der in den Händen eines jeden wohlerzogenen
Menschen ist?

Ich kann nur dasjenige Werk der schönen Künste
für ein vollkommenes Werk gelten lassen, das für
sich so vollständig ist, als es die Gränzen der Kunst
zulassen: und so lange ich im täglichen Leben, auf
dem Theater und in den Gemähldegallerien Darstel-
lungen von Handlungen finde, deren Ursache und
Würkung ich ohne Dollmetscher mit einem Blicke
wäge und erkenne; so lange mache ich an jedes Werk,
das auf Vollkommenheit Anspruch macht, dieselben

Forde-

Pallaſt Barberini.
wieder auf den Ausdruck zuruͤck, und pruͤft deſſen
Wahrheit.

Wehe dem Liebhaber des Schoͤnen, der den
Tacitus nicht geleſen hat, wenn das Bild nicht ſagt,
warum ſich die darauf vorgeſtellten Perſonen ſo und
nicht anders gebaͤrden! Aber wehe auch dem gelehr-
ten Kuͤnſtler, der ſich auf ein Buch beruft! Man
wird dem Vorgeben nicht glauben, moͤchte ich mit
dem Germanicus ſagen, oder es als Entſchuldigung
nicht gelten laſſen.

Denn werden wir wohl ſelbſt bei der bekannteſten
Geſchichte, die das Suͤjet eines fortſchreitenden pon-
tomimiſchen Dramas ausmacht, dem Compoſiteur
die Expoſition der Schickſale ſchenken, die ſeine han-
delnden Perſonen in den Affekt verſetzen, der uns
durch Gebaͤrden verdollmetſcht werden kann? Wuͤr-
den wir es dem Noverre Dank wiſſen, wenn er uns
einzelne abgeriſſene Scenen aus der Geſchichte der
Horazier und Curiazier geliefert, und ſich uͤbrigens
des Zuſammenhangs wegen auf den Livius berufen
haͤtte, der in den Haͤnden eines jeden wohlerzogenen
Menſchen iſt?

Ich kann nur dasjenige Werk der ſchoͤnen Kuͤnſte
fuͤr ein vollkommenes Werk gelten laſſen, das fuͤr
ſich ſo vollſtaͤndig iſt, als es die Graͤnzen der Kunſt
zulaſſen: und ſo lange ich im taͤglichen Leben, auf
dem Theater und in den Gemaͤhldegallerien Darſtel-
lungen von Handlungen finde, deren Urſache und
Wuͤrkung ich ohne Dollmetſcher mit einem Blicke
waͤge und erkenne; ſo lange mache ich an jedes Werk,
das auf Vollkommenheit Anſpruch macht, dieſelben

Forde-
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[296/0310] Pallaſt Barberini. wieder auf den Ausdruck zuruͤck, und pruͤft deſſen Wahrheit. Wehe dem Liebhaber des Schoͤnen, der den Tacitus nicht geleſen hat, wenn das Bild nicht ſagt, warum ſich die darauf vorgeſtellten Perſonen ſo und nicht anders gebaͤrden! Aber wehe auch dem gelehr- ten Kuͤnſtler, der ſich auf ein Buch beruft! Man wird dem Vorgeben nicht glauben, moͤchte ich mit dem Germanicus ſagen, oder es als Entſchuldigung nicht gelten laſſen. Denn werden wir wohl ſelbſt bei der bekannteſten Geſchichte, die das Suͤjet eines fortſchreitenden pon- tomimiſchen Dramas ausmacht, dem Compoſiteur die Expoſition der Schickſale ſchenken, die ſeine han- delnden Perſonen in den Affekt verſetzen, der uns durch Gebaͤrden verdollmetſcht werden kann? Wuͤr- den wir es dem Noverre Dank wiſſen, wenn er uns einzelne abgeriſſene Scenen aus der Geſchichte der Horazier und Curiazier geliefert, und ſich uͤbrigens des Zuſammenhangs wegen auf den Livius berufen haͤtte, der in den Haͤnden eines jeden wohlerzogenen Menſchen iſt? Ich kann nur dasjenige Werk der ſchoͤnen Kuͤnſte fuͤr ein vollkommenes Werk gelten laſſen, das fuͤr ſich ſo vollſtaͤndig iſt, als es die Graͤnzen der Kunſt zulaſſen: und ſo lange ich im taͤglichen Leben, auf dem Theater und in den Gemaͤhldegallerien Darſtel- lungen von Handlungen finde, deren Urſache und Wuͤrkung ich ohne Dollmetſcher mit einem Blicke waͤge und erkenne; ſo lange mache ich an jedes Werk, das auf Vollkommenheit Anſpruch macht, dieſelben Forde-

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/310>, abgerufen am 21.11.2024.