seyn, die er zu seiner Bedienung im Leben am meh- resten um sich hatte.
Hier fällt es dem Richardson bei, wieder eine sonderbare Critik zu machen. Verführe man nicht mit besonderer Nachsicht mit dem Meister, sagt er, so müßte man annehmen, daß Germanicus und seine Freunde zu gleicher Zeit gesprochen hätten. Poussin bedarf dieser seiner Nachsicht nicht. Germanicus hat seine Rede geendigt, und in dem nämlichen Au- genblicke fallen seine Freunde ein. So ist es der Stärke des Eindrucks angemessen, den seine Rede auf sie gemacht hat. Germanicus redet noch durch die ausdrucksvolle Gebärde, aber nicht mehr mit dem Munde. Der Sterbende, den die Sprache schon verlassen hat, sucht noch durch Zeichen und Minen sich verständlich zu machen. Richardson ist in seiner Critik stets von dem Eindruck geleitet wor- den, den der Anfang der Rede des Germanicus auf ihn gemacht hatte. Er hat den Mahler über den Geschichtschreiber vergessen.
Die Anordnung dieses Bildes ist vortrefflich. Es sind 16 Köpfe darauf, die sich einer dem andern nicht im Wege stehen. Auch ist die Wahl der Bei- werke sehr weise.
Ich habe schon von dem Ausdrucke der Figur des Germanicus geredet. Unter den Kriegern sind herrliche Köpfe. Die Zeichnung ist correkt, aber sie hat zu viel vom Basrelief an sich, und ist im Ganzen ein wenig steif. Die Gewänder sind zu ge- sucht und zu ängstlich behandelt. Die Haltung muß
vortreff-
Pallaſt Barberini.
ſeyn, die er zu ſeiner Bedienung im Leben am meh- reſten um ſich hatte.
Hier faͤllt es dem Richardſon bei, wieder eine ſonderbare Critik zu machen. Verfuͤhre man nicht mit beſonderer Nachſicht mit dem Meiſter, ſagt er, ſo muͤßte man annehmen, daß Germanicus und ſeine Freunde zu gleicher Zeit geſprochen haͤtten. Pouſſin bedarf dieſer ſeiner Nachſicht nicht. Germanicus hat ſeine Rede geendigt, und in dem naͤmlichen Au- genblicke fallen ſeine Freunde ein. So iſt es der Staͤrke des Eindrucks angemeſſen, den ſeine Rede auf ſie gemacht hat. Germanicus redet noch durch die ausdrucksvolle Gebaͤrde, aber nicht mehr mit dem Munde. Der Sterbende, den die Sprache ſchon verlaſſen hat, ſucht noch durch Zeichen und Minen ſich verſtaͤndlich zu machen. Richardſon iſt in ſeiner Critik ſtets von dem Eindruck geleitet wor- den, den der Anfang der Rede des Germanicus auf ihn gemacht hatte. Er hat den Mahler uͤber den Geſchichtſchreiber vergeſſen.
Die Anordnung dieſes Bildes iſt vortrefflich. Es ſind 16 Koͤpfe darauf, die ſich einer dem andern nicht im Wege ſtehen. Auch iſt die Wahl der Bei- werke ſehr weiſe.
Ich habe ſchon von dem Ausdrucke der Figur des Germanicus geredet. Unter den Kriegern ſind herrliche Koͤpfe. Die Zeichnung iſt correkt, aber ſie hat zu viel vom Basrelief an ſich, und iſt im Ganzen ein wenig ſteif. Die Gewaͤnder ſind zu ge- ſucht und zu aͤngſtlich behandelt. Die Haltung muß
vortreff-
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Pallaſt Barberini.
ſeyn, die er zu ſeiner Bedienung im Leben am meh-
reſten um ſich hatte.
Hier faͤllt es dem Richardſon bei, wieder eine
ſonderbare Critik zu machen. Verfuͤhre man nicht
mit beſonderer Nachſicht mit dem Meiſter, ſagt er,
ſo muͤßte man annehmen, daß Germanicus und ſeine
Freunde zu gleicher Zeit geſprochen haͤtten. Pouſſin
bedarf dieſer ſeiner Nachſicht nicht. Germanicus
hat ſeine Rede geendigt, und in dem naͤmlichen Au-
genblicke fallen ſeine Freunde ein. So iſt es der
Staͤrke des Eindrucks angemeſſen, den ſeine Rede
auf ſie gemacht hat. Germanicus redet noch durch
die ausdrucksvolle Gebaͤrde, aber nicht mehr mit
dem Munde. Der Sterbende, den die Sprache
ſchon verlaſſen hat, ſucht noch durch Zeichen und
Minen ſich verſtaͤndlich zu machen. Richardſon iſt
in ſeiner Critik ſtets von dem Eindruck geleitet wor-
den, den der Anfang der Rede des Germanicus auf
ihn gemacht hatte. Er hat den Mahler uͤber den
Geſchichtſchreiber vergeſſen.
Die Anordnung dieſes Bildes iſt vortrefflich.
Es ſind 16 Koͤpfe darauf, die ſich einer dem andern
nicht im Wege ſtehen. Auch iſt die Wahl der Bei-
werke ſehr weiſe.
Ich habe ſchon von dem Ausdrucke der Figur
des Germanicus geredet. Unter den Kriegern ſind
herrliche Koͤpfe. Die Zeichnung iſt correkt, aber
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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/322>, abgerufen am 16.02.2025.
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