Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787.Villa Albani. einen Magdalenenkopf vom Guido vergleichen. Derzum Himmel gekehrte Blick, die rollende Thräne, die Farbe, das fliegende Haar, die Hände, denen man es ansieht, daß sie den schönsten Busen schlagen, nicht blos betasten: Alles dies drückt die Bildhauerei nicht mit gleichem Glücke aus. Große Compositio- nen aber, die mit dem Affekt der handelnden Person zugleich die Veranlassung der Handlung in ihrer Lage gegen andere zeigen, giebt die Mahlerei allein. Die Mahlerei ist privilegirt, uns zu täuschen. Sollte sie daher auch bei Darstellung dieses blos Lassen C 5
Villa Albani. einen Magdalenenkopf vom Guido vergleichen. Derzum Himmel gekehrte Blick, die rollende Thraͤne, die Farbe, das fliegende Haar, die Haͤnde, denen man es anſieht, daß ſie den ſchoͤnſten Buſen ſchlagen, nicht blos betaſten: Alles dies druͤckt die Bildhauerei nicht mit gleichem Gluͤcke aus. Große Compoſitio- nen aber, die mit dem Affekt der handelnden Perſon zugleich die Veranlaſſung der Handlung in ihrer Lage gegen andere zeigen, giebt die Mahlerei allein. Die Mahlerei iſt privilegirt, uns zu taͤuſchen. Sollte ſie daher auch bei Darſtellung dieſes blos Laſſen C 5
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Villa Albani.
einen Magdalenenkopf vom Guido vergleichen. Der
zum Himmel gekehrte Blick, die rollende Thraͤne,
die Farbe, das fliegende Haar, die Haͤnde, denen
man es anſieht, daß ſie den ſchoͤnſten Buſen ſchlagen,
nicht blos betaſten: Alles dies druͤckt die Bildhauerei
nicht mit gleichem Gluͤcke aus. Große Compoſitio-
nen aber, die mit dem Affekt der handelnden Perſon
zugleich die Veranlaſſung der Handlung in ihrer Lage
gegen andere zeigen, giebt die Mahlerei allein.
Die Mahlerei iſt privilegirt, uns zu taͤuſchen.
Wir erblicken ein Gemaͤhlde wie ein Phantom, wie
eine Erſcheinung an der Wand, die verſchwindet,
ſo bald wir darnach greifen. Alles, was daher in
der Natur dem Scheine aͤhnlich iſt, entweder der
Geſchwindigkeit wegen, mit der es uͤbergeht, oder
weil wir nie durch das Gefuͤhl uns von deſſen Wuͤrk-
lichkeit haben uͤberzeugen koͤnnen, ſtimmt mit dem
Umfang ihrer Hervorbringungskraft uͤberein. Da-
hin gehoͤrt der fluͤchtige Eindruck der Seele auf den
Koͤrper, dahin ein großer Umfang von Gegenſtaͤn-
den, die ſich mit den Haͤnden nicht auf einmal umfaſ-
ſen laſſen.
Sollte ſie daher auch bei Darſtellung dieſes blos
Sichtbaren den Grad der Illuſion nicht erreichen,
auf den die Sculptur in Hervorbringung zu betaſten-
der Koͤrper Anſpruch machen kann; wir verzeihen
ihr. Sie liefert uns tauſend Begebenheiten, die
wir lieber mangelhaft als gar nicht ſehen wollen, und
zu deren verſinnlichter Anheftung die runde Bild-
hauerei ganz außer Stande iſt; die flache aber mit
groͤßerem Beduͤrfniß unſerer Nachſicht.
Laſſen
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