an demjenigen auf dem ich mich mit ihnen befinde: ich sehe sie von Angesicht zu Angesicht, wie ich den Menschen wahrnehmen würde, der mit mir auf dem nämlichen Boden eines Zimmers stände.
Aber das Gemählde von größerer Composition zeigt mir gemeiniglich mit den handelnden Personen, zugleich den Ort wo sie gehandelt haben: ein Gebäude, eine Landschaft; und dieser Ort, der nicht das Zim- mer oder Tempel ist, aus dem ich beschaue, der von dem Lichtstrahle der mich beleuchtet, so fernhin nicht erhellet werden könnte, hat allen Anspruch darauf, mir als ein besonders aufgeschlagener Schauplatz zu erscheinen.
Irre ich, oder liegt würklich in diesem, von Raphael und den Nachfolgern des Correggio so ver- schieden angenommenen, Standpunkte des Bo- schauers einer dramatischen Composition, ein Theil des Grundes, warum sie so verschiedene Wege einge- schlagen sind, für mein Vergnügen zu arbeiten?
Ich denke mir die Einrichtung des Französischen Theaters, als noch die eifrigsten Liebhaber desselben ihren Platz auf der Scene selbst einnahmen. Der Eindruck des Ganzen war unstreitig geringer als jetzt, wo das Theater frei ist; aber jedes Wort, jede Mine des Akteurs ward genauer gewogen: der Menschen die genossen, waren weniger; aber diese genossen stär- ker und besser.
Vielleicht dürfte das Gleichniß nicht unpassend seyn. Eine Person die mit mir in einem Zimmer, in einem Lichte handelt, ist ein Wesen wie ich, an dem ich alle Bestandtheile der Wahrheit, Ausdruck, Richtig- keit der Form, Treue des Colorits, der Beleuchtung,
der
Anmerkungen
an demjenigen auf dem ich mich mit ihnen befinde: ich ſehe ſie von Angeſicht zu Angeſicht, wie ich den Menſchen wahrnehmen wuͤrde, der mit mir auf dem naͤmlichen Boden eines Zimmers ſtaͤnde.
Aber das Gemaͤhlde von groͤßerer Compoſition zeigt mir gemeiniglich mit den handelnden Perſonen, zugleich den Ort wo ſie gehandelt haben: ein Gebaͤude, eine Landſchaft; und dieſer Ort, der nicht das Zim- mer oder Tempel iſt, aus dem ich beſchaue, der von dem Lichtſtrahle der mich beleuchtet, ſo fernhin nicht erhellet werden koͤnnte, hat allen Anſpruch darauf, mir als ein beſonders aufgeſchlagener Schauplatz zu erſcheinen.
Irre ich, oder liegt wuͤrklich in dieſem, von Raphael und den Nachfolgern des Correggio ſo ver- ſchieden angenommenen, Standpunkte des Bo- ſchauers einer dramatiſchen Compoſition, ein Theil des Grundes, warum ſie ſo verſchiedene Wege einge- ſchlagen ſind, fuͤr mein Vergnuͤgen zu arbeiten?
Ich denke mir die Einrichtung des Franzoͤſiſchen Theaters, als noch die eifrigſten Liebhaber deſſelben ihren Platz auf der Scene ſelbſt einnahmen. Der Eindruck des Ganzen war unſtreitig geringer als jetzt, wo das Theater frei iſt; aber jedes Wort, jede Mine des Akteurs ward genauer gewogen: der Menſchen die genoſſen, waren weniger; aber dieſe genoſſen ſtaͤr- ker und beſſer.
Vielleicht duͤrfte das Gleichniß nicht unpaſſend ſeyn. Eine Perſon die mit mir in einem Zimmer, in einem Lichte handelt, iſt ein Weſen wie ich, an dem ich alle Beſtandtheile der Wahrheit, Ausdruck, Richtig- keit der Form, Treue des Colorits, der Beleuchtung,
der
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Anmerkungen
an demjenigen auf dem ich mich mit ihnen befinde:
ich ſehe ſie von Angeſicht zu Angeſicht, wie ich den
Menſchen wahrnehmen wuͤrde, der mit mir auf dem
naͤmlichen Boden eines Zimmers ſtaͤnde.
Aber das Gemaͤhlde von groͤßerer Compoſition
zeigt mir gemeiniglich mit den handelnden Perſonen,
zugleich den Ort wo ſie gehandelt haben: ein Gebaͤude,
eine Landſchaft; und dieſer Ort, der nicht das Zim-
mer oder Tempel iſt, aus dem ich beſchaue, der von
dem Lichtſtrahle der mich beleuchtet, ſo fernhin nicht
erhellet werden koͤnnte, hat allen Anſpruch darauf,
mir als ein beſonders aufgeſchlagener Schauplatz zu
erſcheinen.
Irre ich, oder liegt wuͤrklich in dieſem, von
Raphael und den Nachfolgern des Correggio ſo ver-
ſchieden angenommenen, Standpunkte des Bo-
ſchauers einer dramatiſchen Compoſition, ein Theil
des Grundes, warum ſie ſo verſchiedene Wege einge-
ſchlagen ſind, fuͤr mein Vergnuͤgen zu arbeiten?
Ich denke mir die Einrichtung des Franzoͤſiſchen
Theaters, als noch die eifrigſten Liebhaber deſſelben
ihren Platz auf der Scene ſelbſt einnahmen. Der
Eindruck des Ganzen war unſtreitig geringer als jetzt,
wo das Theater frei iſt; aber jedes Wort, jede Mine
des Akteurs ward genauer gewogen: der Menſchen
die genoſſen, waren weniger; aber dieſe genoſſen ſtaͤr-
ker und beſſer.
Vielleicht duͤrfte das Gleichniß nicht unpaſſend
ſeyn. Eine Perſon die mit mir in einem Zimmer, in
einem Lichte handelt, iſt ein Weſen wie ich, an dem ich
alle Beſtandtheile der Wahrheit, Ausdruck, Richtig-
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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/366>, abgerufen am 13.06.2024.
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