Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

es eine Ausgelassenheit, die angespannt, und eine andere, die aufgelößt und schmelzend ist. *)

Laßt uns folglich auch hier den zweyfachen Zustand einer Spannung und Zärtelung unserer Lebenskraft annehmen.

Es ist unläugbar, daß jeder dieser beyden Zustände in unserm Körper durch Annäherung an andere belebte Körper, bey denen sich die eine oder die andere Disposition in Wirksamkeit befindet, erweckt und erhöhet werden könne. Aber eben so gewiß ist es auch, daß wir den Zustand, in dem sich unsere Lebenskraft befindet, in andre übergehen lassen können. Wärme und Kälte, Bewegung und Ruhe theilen sich mit. Seht die Mutter, deren Wange die erhitzte Wange des schlafenden Säuglings berührt, deren Busen das Klopfen seines Herzens fühlt; bald sticht sie eine ähnliche Wallung an, bald fühlt sie ihr Herz dem seinigen mit ähnlichem Aufschlag sich entgegenheben. So nimmt sie leidend seinen Zustand an. Aber sie kann ihm auch den ihrigen mittheilen. Der wallende oder allmählige Zustand ihres Bluts, die heftigere oder mildere Bewegung ihrer Fibern, wird die Lebensgeister des Säuglings bald erhöhen, bald besänftigen. Nicht das allein! Indem sie auf ihn einwirkt, kann sie die eine oder die andere Disposition ihrer eigenen Lebenskraft verstärken, verbessern; sie kann sich feuriger, angestrengter fühlen, indem sie ihn stärker an ihren Busen drückt; sie kann sich milder, ruhiger fühlen, indem sie ihn auf ihrem Schooße einwiegt. So gewinnt sie, indem sie thätig mittheilt. Ja! Oft kann durch die Verbindung der

*) Plattners N. Anthropologie §. 665. 724. und 1305.

es eine Ausgelassenheit, die angespannt, und eine andere, die aufgelößt und schmelzend ist. *)

Laßt uns folglich auch hier den zweyfachen Zustand einer Spannung und Zärtelung unserer Lebenskraft annehmen.

Es ist unläugbar, daß jeder dieser beyden Zustände in unserm Körper durch Annäherung an andere belebte Körper, bey denen sich die eine oder die andere Disposition in Wirksamkeit befindet, erweckt und erhöhet werden könne. Aber eben so gewiß ist es auch, daß wir den Zustand, in dem sich unsere Lebenskraft befindet, in andre übergehen lassen können. Wärme und Kälte, Bewegung und Ruhe theilen sich mit. Seht die Mutter, deren Wange die erhitzte Wange des schlafenden Säuglings berührt, deren Busen das Klopfen seines Herzens fühlt; bald sticht sie eine ähnliche Wallung an, bald fühlt sie ihr Herz dem seinigen mit ähnlichem Aufschlag sich entgegenheben. So nimmt sie leidend seinen Zustand an. Aber sie kann ihm auch den ihrigen mittheilen. Der wallende oder allmählige Zustand ihres Bluts, die heftigere oder mildere Bewegung ihrer Fibern, wird die Lebensgeister des Säuglings bald erhöhen, bald besänftigen. Nicht das allein! Indem sie auf ihn einwirkt, kann sie die eine oder die andere Disposition ihrer eigenen Lebenskraft verstärken, verbessern; sie kann sich feuriger, angestrengter fühlen, indem sie ihn stärker an ihren Busen drückt; sie kann sich milder, ruhiger fühlen, indem sie ihn auf ihrem Schooße einwiegt. So gewinnt sie, indem sie thätig mittheilt. Ja! Oft kann durch die Verbindung der

*) Plattners N. Anthropologie §. 665. 724. und 1305.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="2">
            <p><pb facs="#f0143" n="143"/>
es eine Ausgelassenheit, die angespannt, und eine andere, die aufgelößt und schmelzend ist. <note place="foot" n="*)">Plattners N. Anthropologie §. 665. 724. und 1305.</note></p>
            <p>Laßt uns folglich auch hier den zweyfachen Zustand einer Spannung und Zärtelung unserer Lebenskraft annehmen.</p>
            <p>Es ist unläugbar, daß jeder dieser beyden Zustände in unserm Körper durch Annäherung an andere belebte Körper, bey denen sich die eine oder die andere Disposition in Wirksamkeit befindet, erweckt und erhöhet werden könne. Aber eben so gewiß ist es auch, daß wir den Zustand, in dem sich unsere Lebenskraft befindet, in andre übergehen lassen können. Wärme und Kälte, Bewegung und Ruhe theilen sich mit. Seht die Mutter, deren Wange die erhitzte Wange des schlafenden Säuglings berührt, deren Busen das Klopfen seines Herzens fühlt; bald sticht sie eine ähnliche Wallung an, bald fühlt sie ihr Herz dem seinigen mit ähnlichem Aufschlag sich entgegenheben. So nimmt sie leidend seinen Zustand an. Aber sie kann ihm auch den ihrigen mittheilen. Der wallende oder allmählige Zustand ihres Bluts, die heftigere oder mildere Bewegung ihrer Fibern, wird die Lebensgeister des Säuglings bald erhöhen, bald besänftigen. Nicht das allein! Indem sie auf ihn einwirkt, kann sie die eine oder die andere Disposition ihrer eigenen Lebenskraft verstärken, verbessern; sie kann sich feuriger, angestrengter fühlen, indem sie ihn stärker an ihren Busen drückt; sie kann sich milder, ruhiger fühlen, indem sie ihn auf ihrem Schooße einwiegt. So gewinnt sie, indem sie thätig mittheilt. Ja! Oft kann durch die Verbindung der
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[143/0143] es eine Ausgelassenheit, die angespannt, und eine andere, die aufgelößt und schmelzend ist. *) Laßt uns folglich auch hier den zweyfachen Zustand einer Spannung und Zärtelung unserer Lebenskraft annehmen. Es ist unläugbar, daß jeder dieser beyden Zustände in unserm Körper durch Annäherung an andere belebte Körper, bey denen sich die eine oder die andere Disposition in Wirksamkeit befindet, erweckt und erhöhet werden könne. Aber eben so gewiß ist es auch, daß wir den Zustand, in dem sich unsere Lebenskraft befindet, in andre übergehen lassen können. Wärme und Kälte, Bewegung und Ruhe theilen sich mit. Seht die Mutter, deren Wange die erhitzte Wange des schlafenden Säuglings berührt, deren Busen das Klopfen seines Herzens fühlt; bald sticht sie eine ähnliche Wallung an, bald fühlt sie ihr Herz dem seinigen mit ähnlichem Aufschlag sich entgegenheben. So nimmt sie leidend seinen Zustand an. Aber sie kann ihm auch den ihrigen mittheilen. Der wallende oder allmählige Zustand ihres Bluts, die heftigere oder mildere Bewegung ihrer Fibern, wird die Lebensgeister des Säuglings bald erhöhen, bald besänftigen. Nicht das allein! Indem sie auf ihn einwirkt, kann sie die eine oder die andere Disposition ihrer eigenen Lebenskraft verstärken, verbessern; sie kann sich feuriger, angestrengter fühlen, indem sie ihn stärker an ihren Busen drückt; sie kann sich milder, ruhiger fühlen, indem sie ihn auf ihrem Schooße einwiegt. So gewinnt sie, indem sie thätig mittheilt. Ja! Oft kann durch die Verbindung der *) Plattners N. Anthropologie §. 665. 724. und 1305.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/143
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/143>, abgerufen am 21.11.2024.