Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.und der Seele einen Vorrath an Wissenschaft erworben hat, auf den sie stolz seyn kann. - Weiter: um Beschauungswonne zu empfinden, brauche ich mich nicht zu fragen: was hilft dieser Gegenstand meinen Trieben, meiner Person in meiner Lage? wozu ist er mir nütze? Ich brauche mich auch nicht in seinen Zustand hinein zu versetzen, und mich zu fragen, empfinde ich so wie er, möchte ich an seiner Stelle seyn? Alles das beachte ich nicht; ich denke nicht an mich und meine Lage zu ihm. Dieser Umstand, verbunden mit der Leichtigkeit womit ich die lebhafte Anschauung aufnehme, gründet den Charakter eines unthätigen, von allem merklichen Bestreben freyen Zustandes in meiner Seele, der zugleich den ersten Charakter der Beschauungswonne ausmacht. Der zweyte liegt darin, daß ich das Wesen und den Zustand des angeschauten Gegenstandes nicht allein von meinem Wesen und meinem Zustande, sondern auch von dem, was andere Gegenstände darunter zeigen, auffallend unterschieden fühlen muß. Das Außerordentliche, das Ausgezeichnete in dem angeschaueten Gegenstande ist nothwendige Bedingung zu meiner Beschauungswonne, und eben darum darf ich ihn weder auf mich und meine Lage, noch auf das Wesen und den Zustand anderer Gegenstände, die ich neben ihm mir vorstelle, zu sehr zurückführen, ohne sogleich diese Art von Wonne zerstört zu sehen. Denkt an das Entzücken, mit dem wir die Handlung einer Arria beschauen, jenes edeln Weibes, das den Dolch aus der durchbohrten Brust zog, und ihn dem Gatten, der bey der Wahl zwischen Tod und Leben anstand, und der Seele einen Vorrath an Wissenschaft erworben hat, auf den sie stolz seyn kann. – Weiter: um Beschauungswonne zu empfinden, brauche ich mich nicht zu fragen: was hilft dieser Gegenstand meinen Trieben, meiner Person in meiner Lage? wozu ist er mir nütze? Ich brauche mich auch nicht in seinen Zustand hinein zu versetzen, und mich zu fragen, empfinde ich so wie er, möchte ich an seiner Stelle seyn? Alles das beachte ich nicht; ich denke nicht an mich und meine Lage zu ihm. Dieser Umstand, verbunden mit der Leichtigkeit womit ich die lebhafte Anschauung aufnehme, gründet den Charakter eines unthätigen, von allem merklichen Bestreben freyen Zustandes in meiner Seele, der zugleich den ersten Charakter der Beschauungswonne ausmacht. Der zweyte liegt darin, daß ich das Wesen und den Zustand des angeschauten Gegenstandes nicht allein von meinem Wesen und meinem Zustande, sondern auch von dem, was andere Gegenstände darunter zeigen, auffallend unterschieden fühlen muß. Das Außerordentliche, das Ausgezeichnete in dem angeschaueten Gegenstande ist nothwendige Bedingung zu meiner Beschauungswonne, und eben darum darf ich ihn weder auf mich und meine Lage, noch auf das Wesen und den Zustand anderer Gegenstände, die ich neben ihm mir vorstelle, zu sehr zurückführen, ohne sogleich diese Art von Wonne zerstört zu sehen. Denkt an das Entzücken, mit dem wir die Handlung einer Arria beschauen, jenes edeln Weibes, das den Dolch aus der durchbohrten Brust zog, und ihn dem Gatten, der bey der Wahl zwischen Tod und Leben anstand, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0036" n="36"/> und der Seele einen Vorrath an Wissenschaft erworben hat, auf den sie stolz seyn kann. –</p> <p>Weiter: um Beschauungswonne zu empfinden, brauche ich mich nicht zu fragen: was hilft dieser Gegenstand meinen Trieben, meiner Person in meiner Lage? wozu ist er mir nütze? Ich brauche mich auch nicht in seinen Zustand hinein zu versetzen, und mich zu fragen, empfinde ich so wie er, möchte ich an seiner Stelle seyn? Alles das beachte ich nicht; ich denke nicht an mich und meine Lage zu ihm. Dieser Umstand, verbunden mit der Leichtigkeit womit ich die lebhafte Anschauung aufnehme, gründet den Charakter eines unthätigen, von allem merklichen Bestreben freyen Zustandes in meiner Seele, der zugleich den ersten Charakter der Beschauungswonne ausmacht.</p> <p>Der zweyte liegt darin, daß ich das Wesen und den Zustand des angeschauten Gegenstandes nicht allein von meinem Wesen und meinem Zustande, sondern auch von dem, was andere Gegenstände darunter zeigen, auffallend unterschieden fühlen muß. Das Außerordentliche, das Ausgezeichnete in dem angeschaueten Gegenstande ist nothwendige Bedingung zu meiner Beschauungswonne, und eben darum darf ich ihn weder auf mich und meine Lage, noch auf das Wesen und den Zustand anderer Gegenstände, die ich neben ihm mir vorstelle, zu sehr zurückführen, ohne sogleich diese Art von Wonne zerstört zu sehen.</p> <p>Denkt an das Entzücken, mit dem wir die Handlung einer Arria beschauen, jenes edeln Weibes, das den Dolch aus der durchbohrten Brust zog, und ihn dem Gatten, der bey der Wahl zwischen Tod und Leben anstand, </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [36/0036]
und der Seele einen Vorrath an Wissenschaft erworben hat, auf den sie stolz seyn kann. –
Weiter: um Beschauungswonne zu empfinden, brauche ich mich nicht zu fragen: was hilft dieser Gegenstand meinen Trieben, meiner Person in meiner Lage? wozu ist er mir nütze? Ich brauche mich auch nicht in seinen Zustand hinein zu versetzen, und mich zu fragen, empfinde ich so wie er, möchte ich an seiner Stelle seyn? Alles das beachte ich nicht; ich denke nicht an mich und meine Lage zu ihm. Dieser Umstand, verbunden mit der Leichtigkeit womit ich die lebhafte Anschauung aufnehme, gründet den Charakter eines unthätigen, von allem merklichen Bestreben freyen Zustandes in meiner Seele, der zugleich den ersten Charakter der Beschauungswonne ausmacht.
Der zweyte liegt darin, daß ich das Wesen und den Zustand des angeschauten Gegenstandes nicht allein von meinem Wesen und meinem Zustande, sondern auch von dem, was andere Gegenstände darunter zeigen, auffallend unterschieden fühlen muß. Das Außerordentliche, das Ausgezeichnete in dem angeschaueten Gegenstande ist nothwendige Bedingung zu meiner Beschauungswonne, und eben darum darf ich ihn weder auf mich und meine Lage, noch auf das Wesen und den Zustand anderer Gegenstände, die ich neben ihm mir vorstelle, zu sehr zurückführen, ohne sogleich diese Art von Wonne zerstört zu sehen.
Denkt an das Entzücken, mit dem wir die Handlung einer Arria beschauen, jenes edeln Weibes, das den Dolch aus der durchbohrten Brust zog, und ihn dem Gatten, der bey der Wahl zwischen Tod und Leben anstand,
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