Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich habe bisher den Geist des Menschen für sein höheres Wesen überhaupt, für seine engste Adhärenz, dann aber auch in einer damit correspondierenden Bedeutung, für das letzte belebende Princip im Gemüthe, gleichsam die Lebenskraft der Seele, genommen. Hier verstehe ich besonders darunter jenen Inbegriff von Anlagen, Kenntnissen, Fertigkeiten, wodurch das höhere Wesen des Menschen zur Wirksamkeit geschickt wird.

Dieser Geist kann auf eine doppelte Art ausgebildet werden; theils indem wir seine innere Tüchtigkeit überhaupt vermehren, theils indem wir ihm eine bestimmtere Richtung auf Zwecke geben, die eines vernünftigen Wesens, daß sich selbst und andern nützlich seyn soll, würdig sind. Beydes zusammen heißt Kultur des Geistes.

Nichts ist interessanter, als die Entwickelung dieses Geistes zu verfolgen, mit seinen Fortschritten sympathetisch weiter zu streben, und ihn endlich auf der Höhe, wozu er gelangt, mit Bewunderung anzuschauen. Die Menschheit im Ganzen, einzelne Nationen, einzelne Individuen, können uns dieses Schauspiel gewähren. Stärker muß es uns rühren, wenn wir den Freund, oder die geliebte Hälfte unsers Wesens unter unserer Führung empor streben sehen; aber nichts kommt der Wonne bey, uns dadurch zugleich an Geisteskultur mit gehoben, und die zusammengesetzte Person dadurch veredelt zu fühlen.

Laßt uns untersuchen, wie Personen von verschiedenem Geschlechte in einer liebenden Verbindung sich um die Ausbildung ihres Geistes wechselseitig verdient machen können?

Nach meiner Ueberzeugung sind die Geistesanlagen beyder Geschlechter bereits ursprünglich verschieden. Gesetzt aber, dieß könnte bezweifelt werden, so scheint es

Ich habe bisher den Geist des Menschen für sein höheres Wesen überhaupt, für seine engste Adhärenz, dann aber auch in einer damit correspondierenden Bedeutung, für das letzte belebende Princip im Gemüthe, gleichsam die Lebenskraft der Seele, genommen. Hier verstehe ich besonders darunter jenen Inbegriff von Anlagen, Kenntnissen, Fertigkeiten, wodurch das höhere Wesen des Menschen zur Wirksamkeit geschickt wird.

Dieser Geist kann auf eine doppelte Art ausgebildet werden; theils indem wir seine innere Tüchtigkeit überhaupt vermehren, theils indem wir ihm eine bestimmtere Richtung auf Zwecke geben, die eines vernünftigen Wesens, daß sich selbst und andern nützlich seyn soll, würdig sind. Beydes zusammen heißt Kultur des Geistes.

Nichts ist interessanter, als die Entwickelung dieses Geistes zu verfolgen, mit seinen Fortschritten sympathetisch weiter zu streben, und ihn endlich auf der Höhe, wozu er gelangt, mit Bewunderung anzuschauen. Die Menschheit im Ganzen, einzelne Nationen, einzelne Individuen, können uns dieses Schauspiel gewähren. Stärker muß es uns rühren, wenn wir den Freund, oder die geliebte Hälfte unsers Wesens unter unserer Führung empor streben sehen; aber nichts kommt der Wonne bey, uns dadurch zugleich an Geisteskultur mit gehoben, und die zusammengesetzte Person dadurch veredelt zu fühlen.

Laßt uns untersuchen, wie Personen von verschiedenem Geschlechte in einer liebenden Verbindung sich um die Ausbildung ihres Geistes wechselseitig verdient machen können?

Nach meiner Ueberzeugung sind die Geistesanlagen beyder Geschlechter bereits ursprünglich verschieden. Gesetzt aber, dieß könnte bezweifelt werden, so scheint es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0316" n="316"/>
          <p>Ich habe bisher den Geist des Menschen für sein höheres Wesen überhaupt, für seine engste Adhärenz, dann aber auch in einer damit correspondierenden Bedeutung, für das letzte belebende Princip im Gemüthe, gleichsam die Lebenskraft der Seele, genommen. Hier verstehe ich besonders darunter jenen Inbegriff von Anlagen, Kenntnissen, Fertigkeiten, wodurch das höhere Wesen des Menschen zur Wirksamkeit geschickt wird.</p>
          <p>Dieser Geist kann auf eine doppelte Art ausgebildet werden; theils indem wir seine innere Tüchtigkeit überhaupt vermehren, theils indem wir ihm eine bestimmtere Richtung auf Zwecke geben, die eines vernünftigen Wesens, daß sich selbst und andern nützlich seyn soll, würdig sind. Beydes zusammen heißt Kultur des Geistes.</p>
          <p>Nichts ist interessanter, als die Entwickelung dieses Geistes zu verfolgen, mit seinen Fortschritten sympathetisch weiter zu streben, und ihn endlich auf der Höhe, wozu er gelangt, mit Bewunderung anzuschauen. Die Menschheit im Ganzen, einzelne Nationen, einzelne Individuen, können uns dieses Schauspiel gewähren. Stärker muß es uns rühren, wenn wir den Freund, oder die geliebte Hälfte unsers Wesens unter unserer Führung empor streben sehen; aber nichts kommt der Wonne bey, uns dadurch zugleich an Geisteskultur mit gehoben, und die zusammengesetzte Person dadurch veredelt zu fühlen.</p>
          <p>Laßt uns untersuchen, wie Personen von verschiedenem Geschlechte in einer liebenden Verbindung sich um die Ausbildung ihres Geistes wechselseitig verdient machen können?</p>
          <p>Nach meiner Ueberzeugung sind die Geistesanlagen beyder Geschlechter bereits ursprünglich verschieden. Gesetzt aber, dieß könnte bezweifelt werden, so scheint es
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[316/0316] Ich habe bisher den Geist des Menschen für sein höheres Wesen überhaupt, für seine engste Adhärenz, dann aber auch in einer damit correspondierenden Bedeutung, für das letzte belebende Princip im Gemüthe, gleichsam die Lebenskraft der Seele, genommen. Hier verstehe ich besonders darunter jenen Inbegriff von Anlagen, Kenntnissen, Fertigkeiten, wodurch das höhere Wesen des Menschen zur Wirksamkeit geschickt wird. Dieser Geist kann auf eine doppelte Art ausgebildet werden; theils indem wir seine innere Tüchtigkeit überhaupt vermehren, theils indem wir ihm eine bestimmtere Richtung auf Zwecke geben, die eines vernünftigen Wesens, daß sich selbst und andern nützlich seyn soll, würdig sind. Beydes zusammen heißt Kultur des Geistes. Nichts ist interessanter, als die Entwickelung dieses Geistes zu verfolgen, mit seinen Fortschritten sympathetisch weiter zu streben, und ihn endlich auf der Höhe, wozu er gelangt, mit Bewunderung anzuschauen. Die Menschheit im Ganzen, einzelne Nationen, einzelne Individuen, können uns dieses Schauspiel gewähren. Stärker muß es uns rühren, wenn wir den Freund, oder die geliebte Hälfte unsers Wesens unter unserer Führung empor streben sehen; aber nichts kommt der Wonne bey, uns dadurch zugleich an Geisteskultur mit gehoben, und die zusammengesetzte Person dadurch veredelt zu fühlen. Laßt uns untersuchen, wie Personen von verschiedenem Geschlechte in einer liebenden Verbindung sich um die Ausbildung ihres Geistes wechselseitig verdient machen können? Nach meiner Ueberzeugung sind die Geistesanlagen beyder Geschlechter bereits ursprünglich verschieden. Gesetzt aber, dieß könnte bezweifelt werden, so scheint es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/316
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/316>, abgerufen am 22.11.2024.