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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

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Auf den Phädrus folgt Pausanias. Wir kennen ihn schon aus dem Gastmahle des Xenophon als den Liebhaber des Agathon, und als denjenigen, der die gemeine Liebe in Schutz nahm. Plato läßt ihn inzwischen hier eine etwas edlere Rolle übernehmen. Er unterscheidet nehmlich die Sitten der übrigen Griechen von denen der Athenienser, und preiset die Liebe nach den Ideen, welche seine Landsleute darüber hatten. Seine Rede scheint also einer der sichersten Belege über die Denkungsart des größern Haufens von Athen, und besonders der guten Gesellschaft an diesem Orte, in Ansehung der Männerliebe zu seyn.

Pausanias unterscheidet zuerst die himmlische Venus von der gemeinen, und legt Beyden einen Amor bey, der ihre Natur theilt. 18) "Unbedingt, fährt er fort,

erhält durch die Vergleichung des Achilles mit der Alceste unendlich mehr Nachdruck. Orpheus kann aber gar nicht der Alceste substituirt werden. Dieser war nach dem Vorhergehenden von den Göttern bestraft: folglich kann es nicht heißen: Achilles ist ganz anders belohnt als Orpheus - der gar nicht belohnt war. Hingegen Alceste war allerdings von den Göttern belohnt. Diese hatten ihr eine seltene Gnade, die Rückkehr aus dem Orkus, gewährt. Nur freylich in der Maße, wie der Achilles, war sie nicht belohnt; denn dieser ward in die Inseln der Seligen versetzt.
18) Es ist mir nicht völlig klar, wie die Alten sich den Unterschied zwischen Venus und Amor gedacht, und warum sie jener diesen als Sohn und Begleiter beygelegt haben. Wahrscheinlich hat dabey kein bestimmter und einstimmiger Begriff zum Grunde gelegen. Ich denke mir, daß Venus das Vermögen, den Eindruck der Liebe zu empfangen; Amor hingegen die Kraft, wodurch jenes Vermögen zum Streben wird, bezeichnet. Solchemnach würde sich die Mutter zum Sohne, wie das Gefühlvermögen

Auf den Phädrus folgt Pausanias. Wir kennen ihn schon aus dem Gastmahle des Xenophon als den Liebhaber des Agathon, und als denjenigen, der die gemeine Liebe in Schutz nahm. Plato läßt ihn inzwischen hier eine etwas edlere Rolle übernehmen. Er unterscheidet nehmlich die Sitten der übrigen Griechen von denen der Athenienser, und preiset die Liebe nach den Ideen, welche seine Landsleute darüber hatten. Seine Rede scheint also einer der sichersten Belege über die Denkungsart des größern Haufens von Athen, und besonders der guten Gesellschaft an diesem Orte, in Ansehung der Männerliebe zu seyn.

Pausanias unterscheidet zuerst die himmlische Venus von der gemeinen, und legt Beyden einen Amor bey, der ihre Natur theilt. 18) „Unbedingt, fährt er fort,

erhält durch die Vergleichung des Achilles mit der Alceste unendlich mehr Nachdruck. Orpheus kann aber gar nicht der Alceste substituirt werden. Dieser war nach dem Vorhergehenden von den Göttern bestraft: folglich kann es nicht heißen: Achilles ist ganz anders belohnt als Orpheus – der gar nicht belohnt war. Hingegen Alceste war allerdings von den Göttern belohnt. Diese hatten ihr eine seltene Gnade, die Rückkehr aus dem Orkus, gewährt. Nur freylich in der Maße, wie der Achilles, war sie nicht belohnt; denn dieser ward in die Inseln der Seligen versetzt.
18) Es ist mir nicht völlig klar, wie die Alten sich den Unterschied zwischen Venus und Amor gedacht, und warum sie jener diesen als Sohn und Begleiter beygelegt haben. Wahrscheinlich hat dabey kein bestimmter und einstimmiger Begriff zum Grunde gelegen. Ich denke mir, daß Venus das Vermögen, den Eindruck der Liebe zu empfangen; Amor hingegen die Kraft, wodurch jenes Vermögen zum Streben wird, bezeichnet. Solchemnach würde sich die Mutter zum Sohne, wie das Gefühlvermögen
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[192/0192] Auf den Phädrus folgt Pausanias. Wir kennen ihn schon aus dem Gastmahle des Xenophon als den Liebhaber des Agathon, und als denjenigen, der die gemeine Liebe in Schutz nahm. Plato läßt ihn inzwischen hier eine etwas edlere Rolle übernehmen. Er unterscheidet nehmlich die Sitten der übrigen Griechen von denen der Athenienser, und preiset die Liebe nach den Ideen, welche seine Landsleute darüber hatten. Seine Rede scheint also einer der sichersten Belege über die Denkungsart des größern Haufens von Athen, und besonders der guten Gesellschaft an diesem Orte, in Ansehung der Männerliebe zu seyn. Pausanias unterscheidet zuerst die himmlische Venus von der gemeinen, und legt Beyden einen Amor bey, der ihre Natur theilt.  18) „Unbedingt, fährt er fort, 17) 18) Es ist mir nicht völlig klar, wie die Alten sich den Unterschied zwischen Venus und Amor gedacht, und warum sie jener diesen als Sohn und Begleiter beygelegt haben. Wahrscheinlich hat dabey kein bestimmter und einstimmiger Begriff zum Grunde gelegen. Ich denke mir, daß Venus das Vermögen, den Eindruck der Liebe zu empfangen; Amor hingegen die Kraft, wodurch jenes Vermögen zum Streben wird, bezeichnet. Solchemnach würde sich die Mutter zum Sohne, wie das Gefühlvermögen 17) erhält durch die Vergleichung des Achilles mit der Alceste unendlich mehr Nachdruck. Orpheus kann aber gar nicht der Alceste substituirt werden. Dieser war nach dem Vorhergehenden von den Göttern bestraft: folglich kann es nicht heißen: Achilles ist ganz anders belohnt als Orpheus – der gar nicht belohnt war. Hingegen Alceste war allerdings von den Göttern belohnt. Diese hatten ihr eine seltene Gnade, die Rückkehr aus dem Orkus, gewährt. Nur freylich in der Maße, wie der Achilles, war sie nicht belohnt; denn dieser ward in die Inseln der Seligen versetzt.

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/192>, abgerufen am 26.11.2024.