Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.Viertes Kapitel. Einfluß der Denkungsart über die Weiber, auf die Beurtheilung des Werths der Geschlechtsverbindung und der Liebe. Was das zärtere Geschlecht an Ansehn bey dem Mann gewann, das verlor es vielleicht wieder an derjenigen Macht, welche ihm seine Reitze über das Herz des letztern sichern. Wenigstens gehörte es in das System der Vollkommenheit für das eine Geschlecht diese Macht nicht einzuräumen, und für das andere, sich ihrer zu entäußern. Zur Erhebung über alle Sinnlichkeit, zur Selbsttödtung und vollkommenen Lauterkeit, scheint die Enthaltsamkeit von allen sinnlichen, besonders körperlichen, Freuden zu gehören. Die Neuplatoniker und die Christen glaubten beyde, daß jeder Genuß, der die sinnliche Natur des Menschen vergnügen könne, die geistige herabwürdige. Jungfräuliche Züchtigkeit war bey den ersten eine Hauptbedingung, wenn die Operationen der Mystik und Magie gelingen sollten, und bey den letzten war es eine Lieblingsmeinung, daß wenn Adam dem Schöpfer gehorsam geblieben wäre, er ewig im Zustande jungfräulicher Reinheit gelebt, und irgend eine unsträfliche Fortpflanzungsart das Paradies mit einem Geschlechte unschuldiger und unsterblicher Wesen bevölkert haben würde. Eine Abneigung vor der Ehe war davon die nothwendige Folge, und dieß heilige Band ward bloß als ein nothwendiges Mittel zur Fortsetzung der Menschengattung, und als ein Damm gegen die zügellosen Begierden unvollkommener Menschen betrachtet. Viertes Kapitel. Einfluß der Denkungsart über die Weiber, auf die Beurtheilung des Werths der Geschlechtsverbindung und der Liebe. Was das zärtere Geschlecht an Ansehn bey dem Mann gewann, das verlor es vielleicht wieder an derjenigen Macht, welche ihm seine Reitze über das Herz des letztern sichern. Wenigstens gehörte es in das System der Vollkommenheit für das eine Geschlecht diese Macht nicht einzuräumen, und für das andere, sich ihrer zu entäußern. Zur Erhebung über alle Sinnlichkeit, zur Selbsttödtung und vollkommenen Lauterkeit, scheint die Enthaltsamkeit von allen sinnlichen, besonders körperlichen, Freuden zu gehören. Die Neuplatoniker und die Christen glaubten beyde, daß jeder Genuß, der die sinnliche Natur des Menschen vergnügen könne, die geistige herabwürdige. Jungfräuliche Züchtigkeit war bey den ersten eine Hauptbedingung, wenn die Operationen der Mystik und Magie gelingen sollten, und bey den letzten war es eine Lieblingsmeinung, daß wenn Adam dem Schöpfer gehorsam geblieben wäre, er ewig im Zustande jungfräulicher Reinheit gelebt, und irgend eine unsträfliche Fortpflanzungsart das Paradies mit einem Geschlechte unschuldiger und unsterblicher Wesen bevölkert haben würde. Eine Abneigung vor der Ehe war davon die nothwendige Folge, und dieß heilige Band ward bloß als ein nothwendiges Mittel zur Fortsetzung der Menschengattung, und als ein Damm gegen die zügellosen Begierden unvollkommener Menschen betrachtet. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0350" n="350"/> <div n="2"> <head>Viertes Kapitel.<lb/></head> <argument> <p>Einfluß der Denkungsart über die Weiber, auf die Beurtheilung des Werths der Geschlechtsverbindung und der Liebe.<lb/></p> </argument> <p>Was das zärtere Geschlecht an Ansehn bey dem Mann gewann, das verlor es vielleicht wieder an derjenigen Macht, welche ihm seine Reitze über das Herz des letztern sichern. Wenigstens gehörte es in das System der Vollkommenheit für das eine Geschlecht diese Macht nicht einzuräumen, und für das andere, sich ihrer zu entäußern.</p> <p>Zur Erhebung über alle Sinnlichkeit, zur Selbsttödtung und vollkommenen Lauterkeit, scheint die Enthaltsamkeit von allen sinnlichen, besonders körperlichen, Freuden zu gehören. Die Neuplatoniker und die Christen glaubten beyde, daß jeder Genuß, der die sinnliche Natur des Menschen vergnügen könne, die geistige herabwürdige. Jungfräuliche Züchtigkeit war bey den ersten eine Hauptbedingung, wenn die Operationen der Mystik und Magie gelingen sollten, und bey den letzten war es eine Lieblingsmeinung, daß wenn Adam dem Schöpfer gehorsam geblieben wäre, er ewig im Zustande jungfräulicher Reinheit gelebt, und irgend eine unsträfliche Fortpflanzungsart das Paradies mit einem Geschlechte unschuldiger und unsterblicher Wesen bevölkert haben würde. Eine Abneigung vor der Ehe war davon die nothwendige Folge, und dieß heilige Band ward bloß als ein nothwendiges Mittel zur Fortsetzung der Menschengattung, und als ein Damm gegen die zügellosen Begierden unvollkommener Menschen betrachtet.</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [350/0350]
Viertes Kapitel.
Einfluß der Denkungsart über die Weiber, auf die Beurtheilung des Werths der Geschlechtsverbindung und der Liebe.
Was das zärtere Geschlecht an Ansehn bey dem Mann gewann, das verlor es vielleicht wieder an derjenigen Macht, welche ihm seine Reitze über das Herz des letztern sichern. Wenigstens gehörte es in das System der Vollkommenheit für das eine Geschlecht diese Macht nicht einzuräumen, und für das andere, sich ihrer zu entäußern.
Zur Erhebung über alle Sinnlichkeit, zur Selbsttödtung und vollkommenen Lauterkeit, scheint die Enthaltsamkeit von allen sinnlichen, besonders körperlichen, Freuden zu gehören. Die Neuplatoniker und die Christen glaubten beyde, daß jeder Genuß, der die sinnliche Natur des Menschen vergnügen könne, die geistige herabwürdige. Jungfräuliche Züchtigkeit war bey den ersten eine Hauptbedingung, wenn die Operationen der Mystik und Magie gelingen sollten, und bey den letzten war es eine Lieblingsmeinung, daß wenn Adam dem Schöpfer gehorsam geblieben wäre, er ewig im Zustande jungfräulicher Reinheit gelebt, und irgend eine unsträfliche Fortpflanzungsart das Paradies mit einem Geschlechte unschuldiger und unsterblicher Wesen bevölkert haben würde. Eine Abneigung vor der Ehe war davon die nothwendige Folge, und dieß heilige Band ward bloß als ein nothwendiges Mittel zur Fortsetzung der Menschengattung, und als ein Damm gegen die zügellosen Begierden unvollkommener Menschen betrachtet.
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