Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.Zuhörer. Er ist umständlich, detailliert in seinen Beschreibungen, und überhaupt weitläuftiger, als man es dem bloßen Anekdotenerzähler, dem unterhaltenden Gesellschafter, selbst dem Volksredner auf der Bühne erlauben würde, welcher der Neugier einer gaffenden Menge durch wunderbare Geschichten Nahrung giebt. Nach diesen Kennzeichen läßt sich der Begriff der griechischen Liebesgeschichte dahin angeben: Sie ist rednerische Beschreibung einer Reihe wunderbarer Begebenheiten innerhalb des Gebiets des gemeinen Lebens, deren Einheit und Hauptinteresse auf der Ueberwindung derjenigen Hindernisse beruht, die sich der Vereinigung eines liebenden Paares entgegen setzen. Wenn man den Begriff der griechischen Liebesgeschichten so gefaßt hat; so wird man leicht einsehen, daß uns wenigstens keine Spur von einem solchen vor der Zeit der Antoninen verfertigten Werke übrig geblieben ist. Ganz etwas anders ist es, in andern Zusammensetzungen der Einbildungskraft dem Ursprunge der griechischen Liebesgeschichten nachspüren zu können; ganz etwas anders diese in ihrer vollständigen Form in früheren Zeiten vorfinden. Die Milesischen Fabeln sind höchst wahrscheinlich Erzählungen unglaublicher Begebenheiten gewesen, zu denen die Liebe zuweilen, aber gar nicht ausschließlich, den Stoff hergegeben hat. Liebesgeschichten kann man sie eben so wenig nennen, als die Feenmährchen der neueren Litteratur. Die Odyßee des Homer würde eher diesen Nahmen verdienen, wenn das Interesse, welches die Trennung des Ulysses von der Penelope und ihre Wiedervereinigung erweckt, die Axe wäre, um die sich das Zuhörer. Er ist umständlich, detailliert in seinen Beschreibungen, und überhaupt weitläuftiger, als man es dem bloßen Anekdotenerzähler, dem unterhaltenden Gesellschafter, selbst dem Volksredner auf der Bühne erlauben würde, welcher der Neugier einer gaffenden Menge durch wunderbare Geschichten Nahrung giebt. Nach diesen Kennzeichen läßt sich der Begriff der griechischen Liebesgeschichte dahin angeben: Sie ist rednerische Beschreibung einer Reihe wunderbarer Begebenheiten innerhalb des Gebiets des gemeinen Lebens, deren Einheit und Hauptinteresse auf der Ueberwindung derjenigen Hindernisse beruht, die sich der Vereinigung eines liebenden Paares entgegen setzen. Wenn man den Begriff der griechischen Liebesgeschichten so gefaßt hat; so wird man leicht einsehen, daß uns wenigstens keine Spur von einem solchen vor der Zeit der Antoninen verfertigten Werke übrig geblieben ist. Ganz etwas anders ist es, in andern Zusammensetzungen der Einbildungskraft dem Ursprunge der griechischen Liebesgeschichten nachspüren zu können; ganz etwas anders diese in ihrer vollständigen Form in früheren Zeiten vorfinden. Die Milesischen Fabeln sind höchst wahrscheinlich Erzählungen unglaublicher Begebenheiten gewesen, zu denen die Liebe zuweilen, aber gar nicht ausschließlich, den Stoff hergegeben hat. Liebesgeschichten kann man sie eben so wenig nennen, als die Feenmährchen der neueren Litteratur. Die Odyßee des Homer würde eher diesen Nahmen verdienen, wenn das Interesse, welches die Trennung des Ulysses von der Penelope und ihre Wiedervereinigung erweckt, die Axe wäre, um die sich das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0372" n="372"/> Zuhörer. 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Zuhörer. Er ist umständlich, detailliert in seinen Beschreibungen, und überhaupt weitläuftiger, als man es dem bloßen Anekdotenerzähler, dem unterhaltenden Gesellschafter, selbst dem Volksredner auf der Bühne erlauben würde, welcher der Neugier einer gaffenden Menge durch wunderbare Geschichten Nahrung giebt.
Nach diesen Kennzeichen läßt sich der Begriff der griechischen Liebesgeschichte dahin angeben: Sie ist rednerische Beschreibung einer Reihe wunderbarer Begebenheiten innerhalb des Gebiets des gemeinen Lebens, deren Einheit und Hauptinteresse auf der Ueberwindung derjenigen Hindernisse beruht, die sich der Vereinigung eines liebenden Paares entgegen setzen.
Wenn man den Begriff der griechischen Liebesgeschichten so gefaßt hat; so wird man leicht einsehen, daß uns wenigstens keine Spur von einem solchen vor der Zeit der Antoninen verfertigten Werke übrig geblieben ist. Ganz etwas anders ist es, in andern Zusammensetzungen der Einbildungskraft dem Ursprunge der griechischen Liebesgeschichten nachspüren zu können; ganz etwas anders diese in ihrer vollständigen Form in früheren Zeiten vorfinden.
Die Milesischen Fabeln sind höchst wahrscheinlich Erzählungen unglaublicher Begebenheiten gewesen, zu denen die Liebe zuweilen, aber gar nicht ausschließlich, den Stoff hergegeben hat. Liebesgeschichten kann man sie eben so wenig nennen, als die Feenmährchen der neueren Litteratur.
Die Odyßee des Homer würde eher diesen Nahmen verdienen, wenn das Interesse, welches die Trennung des Ulysses von der Penelope und ihre Wiedervereinigung erweckt, die Axe wäre, um die sich das
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