Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.Ganze drehte, und wenn der Vortrag mindern Anspruch auf poetische Darstellung machte. Aber Homer hat gewiß nicht die Absicht gehabt, uns vorzüglich mit den Schicksalen der beyden Ehegatten, als eines liebenden Paars, zu unterhalten, und sein Ton ist keinesweges derjenige, eines rednerischen Beschreibers. Unstreitig hat die Tragödie des Euripides, die den Nahmen Helena führt, so vieles von der griechischen Liebesgeschichte an sich, daß sie mit sehr geringer Mühe dazu umgeschaffen werden könnte. Eben dieß gilt von mehreren Komödien beym Terenz und Plautus. Aber es ist auffallend, daß nur eine Hauptsituation, eine Katastrophe aus dem Leben des liebenden Paares, nicht die ganze Reihe der Schicksale ihrer Liebe dargestellt wird, und daß die dialogische Form der rednerischen Beschreibung völlig widerspricht. Viel näher liegen den griechischen Liebesgeschichten die Geschichten wunderbarer Begebenheiten, von denen uns Photius 34) eine, unter dem Titel: von den wunderbaren Merkwürdigkeiten der Insel Thula, im Auszuge aufbewahrt hat. Der Verfasser, Antonius Diogenes, hat kurz nach Alexander dem Großen gelebt. Nach diesem Auszuge zu urtheilen, hat Diogenes im Tone des wahren Geschichtserzählers geschrieben, und seine Absicht ist dahin gegangen, die Neugier seiner Leser durch umständliche Beschreibungen zu spannen und zu befriedigen, die zugleich ihre Phantasie in eine ungewöhnliche Thätigkeit versetzen 34) Photii Myriobiblon sive bibliotheca p. 355. edit. Andreae Schottii de 1653.
Ganze drehte, und wenn der Vortrag mindern Anspruch auf poetische Darstellung machte. Aber Homer hat gewiß nicht die Absicht gehabt, uns vorzüglich mit den Schicksalen der beyden Ehegatten, als eines liebenden Paars, zu unterhalten, und sein Ton ist keinesweges derjenige, eines rednerischen Beschreibers. Unstreitig hat die Tragödie des Euripides, die den Nahmen Helena führt, so vieles von der griechischen Liebesgeschichte an sich, daß sie mit sehr geringer Mühe dazu umgeschaffen werden könnte. Eben dieß gilt von mehreren Komödien beym Terenz und Plautus. Aber es ist auffallend, daß nur eine Hauptsituation, eine Katastrophe aus dem Leben des liebenden Paares, nicht die ganze Reihe der Schicksale ihrer Liebe dargestellt wird, und daß die dialogische Form der rednerischen Beschreibung völlig widerspricht. Viel näher liegen den griechischen Liebesgeschichten die Geschichten wunderbarer Begebenheiten, von denen uns Photius 34) eine, unter dem Titel: von den wunderbaren Merkwürdigkeiten der Insel Thula, im Auszuge aufbewahrt hat. Der Verfasser, Antonius Diogenes, hat kurz nach Alexander dem Großen gelebt. Nach diesem Auszuge zu urtheilen, hat Diogenes im Tone des wahren Geschichtserzählers geschrieben, und seine Absicht ist dahin gegangen, die Neugier seiner Leser durch umständliche Beschreibungen zu spannen und zu befriedigen, die zugleich ihre Phantasie in eine ungewöhnliche Thätigkeit versetzen 34) Photii Myriobiblon sive bibliotheca p. 355. edit. Andreae Schottii de 1653.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0373" n="373"/> Ganze drehte, und wenn der Vortrag mindern Anspruch auf poetische Darstellung machte. Aber Homer hat gewiß nicht die Absicht gehabt, uns vorzüglich mit den Schicksalen der beyden Ehegatten, als eines liebenden Paars, zu unterhalten, und sein Ton ist keinesweges derjenige, eines rednerischen Beschreibers.</p> <p>Unstreitig hat die Tragödie des Euripides, die den Nahmen Helena führt, so vieles von der griechischen Liebesgeschichte an sich, daß sie mit sehr geringer Mühe dazu umgeschaffen werden könnte. Eben dieß gilt von mehreren Komödien beym Terenz und Plautus. Aber es ist auffallend, daß nur eine Hauptsituation, eine Katastrophe aus dem Leben des liebenden Paares, nicht die ganze Reihe der Schicksale ihrer Liebe dargestellt wird, und daß die dialogische Form der rednerischen Beschreibung völlig widerspricht.</p> <p>Viel näher liegen den griechischen Liebesgeschichten die Geschichten wunderbarer Begebenheiten, von denen uns Photius <note place="foot" n="34)"><hi rendition="#aq">Photii Myriobiblon sive bibliotheca p. 355. edit. Andreae Schottii de 1653.</hi></note> eine, unter dem Titel: von den wunderbaren Merkwürdigkeiten der Insel Thula, im Auszuge aufbewahrt hat. Der Verfasser, Antonius Diogenes, hat kurz nach Alexander dem Großen gelebt. Nach diesem Auszuge zu urtheilen, hat Diogenes im Tone des wahren Geschichtserzählers geschrieben, und seine Absicht ist dahin gegangen, die Neugier seiner Leser durch umständliche Beschreibungen zu spannen und zu befriedigen, die zugleich ihre Phantasie in eine ungewöhnliche Thätigkeit versetzen </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [373/0373]
Ganze drehte, und wenn der Vortrag mindern Anspruch auf poetische Darstellung machte. Aber Homer hat gewiß nicht die Absicht gehabt, uns vorzüglich mit den Schicksalen der beyden Ehegatten, als eines liebenden Paars, zu unterhalten, und sein Ton ist keinesweges derjenige, eines rednerischen Beschreibers.
Unstreitig hat die Tragödie des Euripides, die den Nahmen Helena führt, so vieles von der griechischen Liebesgeschichte an sich, daß sie mit sehr geringer Mühe dazu umgeschaffen werden könnte. Eben dieß gilt von mehreren Komödien beym Terenz und Plautus. Aber es ist auffallend, daß nur eine Hauptsituation, eine Katastrophe aus dem Leben des liebenden Paares, nicht die ganze Reihe der Schicksale ihrer Liebe dargestellt wird, und daß die dialogische Form der rednerischen Beschreibung völlig widerspricht.
Viel näher liegen den griechischen Liebesgeschichten die Geschichten wunderbarer Begebenheiten, von denen uns Photius 34) eine, unter dem Titel: von den wunderbaren Merkwürdigkeiten der Insel Thula, im Auszuge aufbewahrt hat. Der Verfasser, Antonius Diogenes, hat kurz nach Alexander dem Großen gelebt. Nach diesem Auszuge zu urtheilen, hat Diogenes im Tone des wahren Geschichtserzählers geschrieben, und seine Absicht ist dahin gegangen, die Neugier seiner Leser durch umständliche Beschreibungen zu spannen und zu befriedigen, die zugleich ihre Phantasie in eine ungewöhnliche Thätigkeit versetzen
34) Photii Myriobiblon sive bibliotheca p. 355. edit. Andreae Schottii de 1653.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-11-20T10:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-11-20T10:30:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |