Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.ihrer Schicksale zu lesen; dazu fehlt es ihm an Geduld. Ferner: so lange der Dichter im Schauspiele, oder durch Deklamation der poetischen Erzählung dem Zuhörer den feineren und edleren Ausdruck der Liebe, und das Interesse zuführt, welches die Verwickelung der Schicksale zweyer Liebenden gewährt, so lange wird das Publikum dieß nicht in der Form einer rednerischen Beschreibung lesen wollen. Also erst in der Zeit als der Mensch, von allem politischen Interesse abgezogen, sich um die Verknüpfung der Weltbegebenheiten wenig bekümmerte, den Genuß des Lebens immer mehr in den Freuden der Geselligkeit und engerer Verbindungen suchte, und aus dem Bestreben nach dem Besitz eines Herzens ein ernsthaftes allgemein wichtiges Geschäft zu machen anfing; in der Zeit als zugleich der Geschmack an Wettrennen und Pantomimen das Schauspiel und die Deklamation der Dichter verdrängt hatte; erst da fing man an, die rednerischen Beschreibungen einer Liebesintrigue mit Vergnügen zu lesen. Nunmehr fanden sich Rhetoren und Sophisten, die Epopoen in wunderbare Liebesgeschichten umschufen, Schauspiele dazu ausspannen, und Idyllen, Lieder, Elegien, ja, jede Art von Redeübungen in dieselben einreiheten. So entstanden die Erotiker. Es sind gewiß eine Menge dieser Arten von Liebesgeschichten verloren gegangen. Die erste, von der wir eine gewisse Spur haben, ist im zweyten, die letzte von der wir die Zeit der Verfertigung angeben können, gegen Ausgang des zwölften Jahrhunderts geschrieben ihrer Schicksale zu lesen; dazu fehlt es ihm an Geduld. Ferner: so lange der Dichter im Schauspiele, oder durch Deklamation der poetischen Erzählung dem Zuhörer den feineren und edleren Ausdruck der Liebe, und das Interesse zuführt, welches die Verwickelung der Schicksale zweyer Liebenden gewährt, so lange wird das Publikum dieß nicht in der Form einer rednerischen Beschreibung lesen wollen. Also erst in der Zeit als der Mensch, von allem politischen Interesse abgezogen, sich um die Verknüpfung der Weltbegebenheiten wenig bekümmerte, den Genuß des Lebens immer mehr in den Freuden der Geselligkeit und engerer Verbindungen suchte, und aus dem Bestreben nach dem Besitz eines Herzens ein ernsthaftes allgemein wichtiges Geschäft zu machen anfing; in der Zeit als zugleich der Geschmack an Wettrennen und Pantomimen das Schauspiel und die Deklamation der Dichter verdrängt hatte; erst da fing man an, die rednerischen Beschreibungen einer Liebesintrigue mit Vergnügen zu lesen. Nunmehr fanden sich Rhetoren und Sophisten, die Epopoen in wunderbare Liebesgeschichten umschufen, Schauspiele dazu ausspannen, und Idyllen, Lieder, Elegien, ja, jede Art von Redeübungen in dieselben einreiheten. So entstanden die Erotiker. Es sind gewiß eine Menge dieser Arten von Liebesgeschichten verloren gegangen. Die erste, von der wir eine gewisse Spur haben, ist im zweyten, die letzte von der wir die Zeit der Verfertigung angeben können, gegen Ausgang des zwölften Jahrhunderts geschrieben <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0376" n="376"/> ihrer Schicksale zu lesen; dazu fehlt es ihm an Geduld.</p> <p>Ferner: so lange der Dichter im Schauspiele, oder durch Deklamation der poetischen Erzählung dem Zuhörer den feineren und edleren Ausdruck der Liebe, und das Interesse zuführt, welches die Verwickelung der Schicksale zweyer Liebenden gewährt, so lange wird das Publikum dieß nicht in der Form einer rednerischen Beschreibung lesen wollen.</p> <p>Also erst in der Zeit als der Mensch, von allem politischen Interesse abgezogen, sich um die Verknüpfung der Weltbegebenheiten wenig bekümmerte, den Genuß des Lebens immer mehr in den Freuden der Geselligkeit und engerer Verbindungen suchte, und aus dem Bestreben nach dem Besitz eines Herzens ein ernsthaftes allgemein wichtiges Geschäft zu machen anfing; in der Zeit als zugleich der Geschmack an Wettrennen und Pantomimen das Schauspiel und die Deklamation der Dichter verdrängt hatte; erst da fing man an, die rednerischen Beschreibungen einer Liebesintrigue mit Vergnügen zu lesen.</p> <p>Nunmehr fanden sich Rhetoren und Sophisten, die Epopoen in wunderbare Liebesgeschichten umschufen, Schauspiele dazu ausspannen, und Idyllen, Lieder, Elegien, ja, jede Art von Redeübungen in dieselben einreiheten.</p> <p>So entstanden die Erotiker.</p> <p>Es sind gewiß eine Menge dieser Arten von Liebesgeschichten verloren gegangen. Die erste, von der wir eine gewisse Spur haben, ist im zweyten, die letzte von der wir die Zeit der Verfertigung angeben können, gegen Ausgang des zwölften Jahrhunderts geschrieben </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [376/0376]
ihrer Schicksale zu lesen; dazu fehlt es ihm an Geduld.
Ferner: so lange der Dichter im Schauspiele, oder durch Deklamation der poetischen Erzählung dem Zuhörer den feineren und edleren Ausdruck der Liebe, und das Interesse zuführt, welches die Verwickelung der Schicksale zweyer Liebenden gewährt, so lange wird das Publikum dieß nicht in der Form einer rednerischen Beschreibung lesen wollen.
Also erst in der Zeit als der Mensch, von allem politischen Interesse abgezogen, sich um die Verknüpfung der Weltbegebenheiten wenig bekümmerte, den Genuß des Lebens immer mehr in den Freuden der Geselligkeit und engerer Verbindungen suchte, und aus dem Bestreben nach dem Besitz eines Herzens ein ernsthaftes allgemein wichtiges Geschäft zu machen anfing; in der Zeit als zugleich der Geschmack an Wettrennen und Pantomimen das Schauspiel und die Deklamation der Dichter verdrängt hatte; erst da fing man an, die rednerischen Beschreibungen einer Liebesintrigue mit Vergnügen zu lesen.
Nunmehr fanden sich Rhetoren und Sophisten, die Epopoen in wunderbare Liebesgeschichten umschufen, Schauspiele dazu ausspannen, und Idyllen, Lieder, Elegien, ja, jede Art von Redeübungen in dieselben einreiheten.
So entstanden die Erotiker.
Es sind gewiß eine Menge dieser Arten von Liebesgeschichten verloren gegangen. Die erste, von der wir eine gewisse Spur haben, ist im zweyten, die letzte von der wir die Zeit der Verfertigung angeben können, gegen Ausgang des zwölften Jahrhunderts geschrieben
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