Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite
Siebentes Kapitel.

Ideen der Dichter unter den übrigen Nationen von Europa über Liebe und Geschlechtsverbindung.

Im nördlichen Frankreich finden wir die Spuren derjenigen Denkungsart, wornach die Liebe eine bloß auf geistigen Genuß beschränkte Verbindung seyn sollte, viel weniger häufig. Dagegen ist diejenige, wornach die Liebe in einer verfeinerten Sinnlichkeit gesetzt wurde, hier ausgebildeter als im südlichen Frankreich anzutreffen. Ihr Wesen ist besonders von Wilhelm Loris in dem Roman der Rose, der ums Jahr 1260 geschrieben wurde, auseinander gesetzt worden. Er enthält eine allegorische Darstellung der Schicksale einer auf Galanterie gegründeten Verbindung, und er hat einen zu großen Einfluß auf den Geschmack seiner Zeitgenossen und der nachfolgenden Generationen gehabt, um nicht eine kurze Idee davon zu geben. 46)

Ein Jüngling wird beym Anblick einer Rose von Amors Pfeilen durchbohrt. Er sinkt ohnmächtig hin, aber bald ermuntert er sich wieder, und stürzt voll schnöden Verlangens durch die verwachsene Dornenhecke, um die Rose zu pflücken. Vergebens! Seine Verwegenheit wird mit unzähligen Stichen bestraft. Er würde auf immer geflohen seyn, aber Amor will den Vasallen nicht fahren lassen; er durchbohrt ihn mit einem neuen Pfeile beau semblant. Dieser schlägt

46) S. Corps d'extraits des Romans de Chevalerie par le Comte de Tressan. Paris 1782.
Siebentes Kapitel.

Ideen der Dichter unter den übrigen Nationen von Europa über Liebe und Geschlechtsverbindung.

Im nördlichen Frankreich finden wir die Spuren derjenigen Denkungsart, wornach die Liebe eine bloß auf geistigen Genuß beschränkte Verbindung seyn sollte, viel weniger häufig. Dagegen ist diejenige, wornach die Liebe in einer verfeinerten Sinnlichkeit gesetzt wurde, hier ausgebildeter als im südlichen Frankreich anzutreffen. Ihr Wesen ist besonders von Wilhelm Loris in dem Roman der Rose, der ums Jahr 1260 geschrieben wurde, auseinander gesetzt worden. Er enthält eine allegorische Darstellung der Schicksale einer auf Galanterie gegründeten Verbindung, und er hat einen zu großen Einfluß auf den Geschmack seiner Zeitgenossen und der nachfolgenden Generationen gehabt, um nicht eine kurze Idee davon zu geben. 46)

Ein Jüngling wird beym Anblick einer Rose von Amors Pfeilen durchbohrt. Er sinkt ohnmächtig hin, aber bald ermuntert er sich wieder, und stürzt voll schnöden Verlangens durch die verwachsene Dornenhecke, um die Rose zu pflücken. Vergebens! Seine Verwegenheit wird mit unzähligen Stichen bestraft. Er würde auf immer geflohen seyn, aber Amor will den Vasallen nicht fahren lassen; er durchbohrt ihn mit einem neuen Pfeile beau semblant. Dieser schlägt

46) S. Corps d’extraits des Romans de Chevalerie par le Comte de Tressan. Paris 1782.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0104" n="104"/>
        <div n="2">
          <head>Siebentes Kapitel.<lb/></head>
          <argument>
            <p>Ideen der Dichter unter den übrigen Nationen von Europa über Liebe und <choice><sic>Geschlechtsverbinduug</sic><corr>Geschlechtsverbindung</corr></choice>.<lb/></p>
          </argument>
          <p>Im nördlichen Frankreich finden wir die Spuren derjenigen Denkungsart, wornach die Liebe eine bloß auf geistigen Genuß beschränkte Verbindung seyn sollte, viel weniger häufig. Dagegen ist diejenige, wornach die Liebe in einer verfeinerten Sinnlichkeit gesetzt wurde, hier ausgebildeter als im südlichen Frankreich anzutreffen. Ihr Wesen ist besonders von Wilhelm Loris in dem Roman der Rose, der ums Jahr 1260 geschrieben wurde, auseinander gesetzt worden. Er enthält eine allegorische Darstellung der Schicksale einer auf Galanterie gegründeten Verbindung, und er hat einen zu großen Einfluß auf den Geschmack seiner Zeitgenossen und der nachfolgenden Generationen gehabt, um nicht eine kurze Idee davon zu geben. <note place="foot" n="46)">S. <hi rendition="#aq">Corps d&#x2019;extraits des Romans de Chevalerie par le Comte de Tressan. Paris 1782.</hi></note></p>
          <p>Ein Jüngling wird beym Anblick einer Rose von Amors Pfeilen durchbohrt. Er sinkt ohnmächtig hin, aber bald ermuntert er sich wieder, und stürzt voll schnöden Verlangens durch die verwachsene Dornenhecke, um die Rose zu pflücken. Vergebens! Seine Verwegenheit wird mit unzähligen Stichen bestraft. Er würde auf immer geflohen seyn, aber Amor will den Vasallen nicht fahren lassen; er durchbohrt ihn mit einem neuen Pfeile <hi rendition="#aq">beau semblant.</hi> Dieser schlägt
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0104] Siebentes Kapitel. Ideen der Dichter unter den übrigen Nationen von Europa über Liebe und Geschlechtsverbindung. Im nördlichen Frankreich finden wir die Spuren derjenigen Denkungsart, wornach die Liebe eine bloß auf geistigen Genuß beschränkte Verbindung seyn sollte, viel weniger häufig. Dagegen ist diejenige, wornach die Liebe in einer verfeinerten Sinnlichkeit gesetzt wurde, hier ausgebildeter als im südlichen Frankreich anzutreffen. Ihr Wesen ist besonders von Wilhelm Loris in dem Roman der Rose, der ums Jahr 1260 geschrieben wurde, auseinander gesetzt worden. Er enthält eine allegorische Darstellung der Schicksale einer auf Galanterie gegründeten Verbindung, und er hat einen zu großen Einfluß auf den Geschmack seiner Zeitgenossen und der nachfolgenden Generationen gehabt, um nicht eine kurze Idee davon zu geben. 46) Ein Jüngling wird beym Anblick einer Rose von Amors Pfeilen durchbohrt. Er sinkt ohnmächtig hin, aber bald ermuntert er sich wieder, und stürzt voll schnöden Verlangens durch die verwachsene Dornenhecke, um die Rose zu pflücken. Vergebens! Seine Verwegenheit wird mit unzähligen Stichen bestraft. Er würde auf immer geflohen seyn, aber Amor will den Vasallen nicht fahren lassen; er durchbohrt ihn mit einem neuen Pfeile beau semblant. Dieser schlägt 46) S. Corps d’extraits des Romans de Chevalerie par le Comte de Tressan. Paris 1782.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/104
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/104>, abgerufen am 21.11.2024.