Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.Anhänglichkeit empfand. Warum erst jetzt? Aus Phantasie, aus gereitzter Eitelkeit und Mißgunst. R. war reifer geworden; die Weiber zu Chambery fingen an ihn zu bemerken, und ein Frauenzimmer besonders schien die Bemühung auf sich nehmen zu wollen, ihn völlig klug zu machen. Dieß Vorrecht ließ sich die Warens nicht nehmen. Man hätte glauben sollen, daß diese Gunst ihn wieder stärker an seine Wohlthäterin geknüpft haben würde; denn es ist eine ziemlich allgemeine Erfahrung, daß Neulinge für das Frauenzimmer, daß sie in diesem Punkte zuerst aufklärt, wenigstens etwas der Leidenschaft Aehnliches empfinden. Allein dieß war bey R. nicht der Fall; und zwar ganz natürlich. Bey Madame de Warens war es, wie gesagt, bloß Sache der Eitelkeit und der Mißgunst, allenfalls der Phantasie, den Neuling zuerst zu haben. Sie genoß also ganz egoistisch, und unbekümmert um die Entzückung, in welche sie den Jüngling setzen würde. Ja! da sie ihr Vergnügen sogar vorzüglich in einer Vorstellung suchte, welche er gar nicht theilen konnte, so erhielt er nicht einmahl den Genuß, den sonst das Gefühl, Vergnügen in einem hohen Grade zu geben, hervorbringt. Sie gab nichts: sie nahm nur, und noch dazu auf eine Art, woraus allenthalben die Sorge hervor scheint, sich von ihrem Ansehn bey ihm nichts zu vergeben. R. hatte die Vereinigung nicht gewünscht: sie ward ihm aufgedrungen, und zwar als Sache der Vernunft, als ein Mittel, sich vor gröberen Ausschweifungen zu bewahren, mit allen pedantischen Vorbereitungen einer Tugendübung. Der Antrag war mehr dazu gemacht, seine Phantasie zu schrecken, und seine Eitelkeit zu beleidigen, als ihn mit wollüstigen Bildern Anhänglichkeit empfand. Warum erst jetzt? Aus Phantasie, aus gereitzter Eitelkeit und Mißgunst. R. war reifer geworden; die Weiber zu Chambery fingen an ihn zu bemerken, und ein Frauenzimmer besonders schien die Bemühung auf sich nehmen zu wollen, ihn völlig klug zu machen. Dieß Vorrecht ließ sich die Warens nicht nehmen. Man hätte glauben sollen, daß diese Gunst ihn wieder stärker an seine Wohlthäterin geknüpft haben würde; denn es ist eine ziemlich allgemeine Erfahrung, daß Neulinge für das Frauenzimmer, daß sie in diesem Punkte zuerst aufklärt, wenigstens etwas der Leidenschaft Aehnliches empfinden. Allein dieß war bey R. nicht der Fall; und zwar ganz natürlich. Bey Madame de Warens war es, wie gesagt, bloß Sache der Eitelkeit und der Mißgunst, allenfalls der Phantasie, den Neuling zuerst zu haben. Sie genoß also ganz egoistisch, und unbekümmert um die Entzückung, in welche sie den Jüngling setzen würde. Ja! da sie ihr Vergnügen sogar vorzüglich in einer Vorstellung suchte, welche er gar nicht theilen konnte, so erhielt er nicht einmahl den Genuß, den sonst das Gefühl, Vergnügen in einem hohen Grade zu geben, hervorbringt. Sie gab nichts: sie nahm nur, und noch dazu auf eine Art, woraus allenthalben die Sorge hervor scheint, sich von ihrem Ansehn bey ihm nichts zu vergeben. R. hatte die Vereinigung nicht gewünscht: sie ward ihm aufgedrungen, und zwar als Sache der Vernunft, als ein Mittel, sich vor gröberen Ausschweifungen zu bewahren, mit allen pedantischen Vorbereitungen einer Tugendübung. Der Antrag war mehr dazu gemacht, seine Phantasie zu schrecken, und seine Eitelkeit zu beleidigen, als ihn mit wollüstigen Bildern <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0299" n="299"/> Anhänglichkeit empfand. Warum erst jetzt? Aus Phantasie, aus gereitzter Eitelkeit und Mißgunst. R. war reifer geworden; die Weiber zu Chambery fingen an ihn zu bemerken, und ein Frauenzimmer besonders schien die Bemühung auf sich nehmen zu wollen, ihn völlig klug zu machen. Dieß Vorrecht ließ sich die Warens nicht nehmen. Man hätte glauben sollen, daß diese Gunst ihn wieder stärker an seine Wohlthäterin geknüpft haben würde; denn es ist eine ziemlich allgemeine Erfahrung, daß Neulinge für das Frauenzimmer, daß sie in diesem Punkte zuerst aufklärt, wenigstens etwas der Leidenschaft Aehnliches empfinden. Allein dieß war bey R. nicht der Fall; und zwar ganz natürlich. Bey Madame de Warens war es, wie gesagt, bloß Sache der Eitelkeit und der Mißgunst, allenfalls der Phantasie, den Neuling zuerst zu haben. Sie genoß also ganz egoistisch, und unbekümmert um die Entzückung, in welche sie den Jüngling setzen würde. Ja! da sie ihr Vergnügen sogar vorzüglich in einer Vorstellung suchte, welche er gar nicht theilen konnte, so erhielt er nicht einmahl den Genuß, den sonst das Gefühl, Vergnügen in einem hohen Grade zu geben, hervorbringt. <choice><sic>Sie nahm, und gab nichts</sic><corr>Sie gab nichts: sie nahm nur</corr></choice>, und noch dazu auf eine Art, woraus allenthalben die Sorge hervor scheint, sich von ihrem Ansehn bey ihm nichts zu vergeben. R. hatte die Vereinigung nicht gewünscht: sie ward ihm aufgedrungen, und zwar als Sache der Vernunft, als ein Mittel, sich vor gröberen Ausschweifungen zu bewahren, mit allen pedantischen Vorbereitungen einer Tugendübung. Der Antrag war mehr dazu gemacht, seine Phantasie zu schrecken, und seine Eitelkeit zu beleidigen, als ihn mit wollüstigen Bildern </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [299/0299]
Anhänglichkeit empfand. Warum erst jetzt? Aus Phantasie, aus gereitzter Eitelkeit und Mißgunst. R. war reifer geworden; die Weiber zu Chambery fingen an ihn zu bemerken, und ein Frauenzimmer besonders schien die Bemühung auf sich nehmen zu wollen, ihn völlig klug zu machen. Dieß Vorrecht ließ sich die Warens nicht nehmen. Man hätte glauben sollen, daß diese Gunst ihn wieder stärker an seine Wohlthäterin geknüpft haben würde; denn es ist eine ziemlich allgemeine Erfahrung, daß Neulinge für das Frauenzimmer, daß sie in diesem Punkte zuerst aufklärt, wenigstens etwas der Leidenschaft Aehnliches empfinden. Allein dieß war bey R. nicht der Fall; und zwar ganz natürlich. Bey Madame de Warens war es, wie gesagt, bloß Sache der Eitelkeit und der Mißgunst, allenfalls der Phantasie, den Neuling zuerst zu haben. Sie genoß also ganz egoistisch, und unbekümmert um die Entzückung, in welche sie den Jüngling setzen würde. Ja! da sie ihr Vergnügen sogar vorzüglich in einer Vorstellung suchte, welche er gar nicht theilen konnte, so erhielt er nicht einmahl den Genuß, den sonst das Gefühl, Vergnügen in einem hohen Grade zu geben, hervorbringt. Sie gab nichts: sie nahm nur, und noch dazu auf eine Art, woraus allenthalben die Sorge hervor scheint, sich von ihrem Ansehn bey ihm nichts zu vergeben. R. hatte die Vereinigung nicht gewünscht: sie ward ihm aufgedrungen, und zwar als Sache der Vernunft, als ein Mittel, sich vor gröberen Ausschweifungen zu bewahren, mit allen pedantischen Vorbereitungen einer Tugendübung. Der Antrag war mehr dazu gemacht, seine Phantasie zu schrecken, und seine Eitelkeit zu beleidigen, als ihn mit wollüstigen Bildern
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