Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.mit dem Charakter ihrer Leidenschaft übereinstimmen, und dieser Charakter selbst war seinem Systeme von der Liebe, und seiner Ueberzeugung von ihrer wahren Natur zuwider. Gleich in der Vorrede sagt er: "Die Liebe ist nur Illusion: der Enthusiasmus ist ihr höchster Gipfel." - Uebereinstimmend mit der Denkungsart des Autors, nicht mit derjenigen, welche Julien in seinem Buche beygelegt wird, ist die Stelle, worin Liebe von der Ehe ausgeschlossen wird. "Wenn die Schönheit verschwindet, und das Alter herannaht, heißt es daselbst, so vergeht auch die Liebe. Früh oder spät hört man auf, sich anzubeten, zertrümmert das verehrte Idol, und sieht sich, wie man ist. Dann sucht man erstaunt und vergebens den geliebten Gegenstand. Man findet ihn nicht, und das, was übrig bleibt, wird uns doppelt zuwider. Die Einbildungskraft entstellt es eben so sehr, als sie es vorher verschönert hatte. Es giebt wenige Menschen, die nicht dann beschämt seyn sollten, sich geliebt zu haben, wenn sie sich nicht mehr lieben!" Wie kontrastierend mit den Hoffnungen eben dieser Liebenden im ersten Theile! Doch! wer wird Konsequenz bey R. suchen? Hundertmahl behauptet er: Liebe bestehe nur mit Achtung, ja mit Begeisterung: sie endige mit dieser! Und doch liebt Eduard Bomston mit unüberwindlicher Leidenschaft ein Weib, das er selbst verachtet, und das seine Sinne nicht mehr in Bewegung setzt. Die Aufführung des Emil gegen die untreue Sophie ist eben so unerklärlich, eben so unharmonierend mit seinen Grundsätzen. Diejenige Art der Liebe, welche R. wirklich und ganz gekannt hat, ist folglich diejenige, welche auf mit dem Charakter ihrer Leidenschaft übereinstimmen, und dieser Charakter selbst war seinem Systeme von der Liebe, und seiner Ueberzeugung von ihrer wahren Natur zuwider. Gleich in der Vorrede sagt er: „Die Liebe ist nur Illusion: der Enthusiasmus ist ihr höchster Gipfel.“ – Uebereinstimmend mit der Denkungsart des Autors, nicht mit derjenigen, welche Julien in seinem Buche beygelegt wird, ist die Stelle, worin Liebe von der Ehe ausgeschlossen wird. „Wenn die Schönheit verschwindet, und das Alter herannaht, heißt es daselbst, so vergeht auch die Liebe. Früh oder spät hört man auf, sich anzubeten, zertrümmert das verehrte Idol, und sieht sich, wie man ist. Dann sucht man erstaunt und vergebens den geliebten Gegenstand. Man findet ihn nicht, und das, was übrig bleibt, wird uns doppelt zuwider. Die Einbildungskraft entstellt es eben so sehr, als sie es vorher verschönert hatte. Es giebt wenige Menschen, die nicht dann beschämt seyn sollten, sich geliebt zu haben, wenn sie sich nicht mehr lieben!“ Wie kontrastierend mit den Hoffnungen eben dieser Liebenden im ersten Theile! Doch! wer wird Konsequenz bey R. suchen? Hundertmahl behauptet er: Liebe bestehe nur mit Achtung, ja mit Begeisterung: sie endige mit dieser! Und doch liebt Eduard Bomston mit unüberwindlicher Leidenschaft ein Weib, das er selbst verachtet, und das seine Sinne nicht mehr in Bewegung setzt. Die Aufführung des Emil gegen die untreue Sophie ist eben so unerklärlich, eben so unharmonierend mit seinen Grundsätzen. Diejenige Art der Liebe, welche R. wirklich und ganz gekannt hat, ist folglich diejenige, welche auf <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0313" n="313"/> mit dem Charakter ihrer Leidenschaft übereinstimmen, und dieser Charakter selbst war seinem Systeme von der Liebe, und seiner Ueberzeugung von ihrer wahren Natur zuwider. Gleich in der Vorrede sagt er: „Die Liebe ist nur Illusion: der Enthusiasmus ist ihr höchster Gipfel.“ – Uebereinstimmend mit der Denkungsart des Autors, nicht mit derjenigen, welche Julien in seinem Buche beygelegt wird, ist die Stelle, worin Liebe von der Ehe ausgeschlossen wird. „Wenn die Schönheit verschwindet, und das Alter herannaht, heißt es daselbst, so vergeht auch die Liebe. Früh oder spät hört man auf, sich anzubeten, zertrümmert das verehrte Idol, und sieht sich, wie man ist. Dann sucht man erstaunt und vergebens den geliebten Gegenstand. Man findet ihn nicht, und das, was übrig bleibt, wird uns doppelt zuwider. Die Einbildungskraft entstellt es eben so sehr, als sie es vorher verschönert hatte. Es giebt wenige Menschen, die nicht dann beschämt seyn sollten, sich geliebt zu haben, wenn sie sich nicht mehr lieben!“</p> <p>Wie kontrastierend mit den Hoffnungen eben dieser Liebenden im ersten Theile! Doch! wer wird Konsequenz bey R. suchen? Hundertmahl behauptet er: Liebe bestehe nur mit Achtung, ja mit Begeisterung: sie endige mit dieser! Und doch liebt Eduard Bomston mit unüberwindlicher Leidenschaft ein Weib, das er selbst verachtet, und das seine Sinne nicht mehr in Bewegung setzt. Die Aufführung des Emil gegen die untreue Sophie ist eben so unerklärlich, eben so unharmonierend mit seinen Grundsätzen.</p> <p>Diejenige Art der Liebe, welche R. wirklich und ganz gekannt hat, ist folglich diejenige, welche auf </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [313/0313]
mit dem Charakter ihrer Leidenschaft übereinstimmen, und dieser Charakter selbst war seinem Systeme von der Liebe, und seiner Ueberzeugung von ihrer wahren Natur zuwider. Gleich in der Vorrede sagt er: „Die Liebe ist nur Illusion: der Enthusiasmus ist ihr höchster Gipfel.“ – Uebereinstimmend mit der Denkungsart des Autors, nicht mit derjenigen, welche Julien in seinem Buche beygelegt wird, ist die Stelle, worin Liebe von der Ehe ausgeschlossen wird. „Wenn die Schönheit verschwindet, und das Alter herannaht, heißt es daselbst, so vergeht auch die Liebe. Früh oder spät hört man auf, sich anzubeten, zertrümmert das verehrte Idol, und sieht sich, wie man ist. Dann sucht man erstaunt und vergebens den geliebten Gegenstand. Man findet ihn nicht, und das, was übrig bleibt, wird uns doppelt zuwider. Die Einbildungskraft entstellt es eben so sehr, als sie es vorher verschönert hatte. Es giebt wenige Menschen, die nicht dann beschämt seyn sollten, sich geliebt zu haben, wenn sie sich nicht mehr lieben!“
Wie kontrastierend mit den Hoffnungen eben dieser Liebenden im ersten Theile! Doch! wer wird Konsequenz bey R. suchen? Hundertmahl behauptet er: Liebe bestehe nur mit Achtung, ja mit Begeisterung: sie endige mit dieser! Und doch liebt Eduard Bomston mit unüberwindlicher Leidenschaft ein Weib, das er selbst verachtet, und das seine Sinne nicht mehr in Bewegung setzt. Die Aufführung des Emil gegen die untreue Sophie ist eben so unerklärlich, eben so unharmonierend mit seinen Grundsätzen.
Diejenige Art der Liebe, welche R. wirklich und ganz gekannt hat, ist folglich diejenige, welche auf
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