Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.Zehntes Kapitel. Trauriger Zustand des Dienstes der Venus Urania in den neuesten Zeiten. Schluß des Werks. So glaube ich denn die hauptsächlichsten Arten, über Geschlechtsverbindung und Liebe zu denken, und sie zu behandeln, entwickelt zu haben. Aber die wenigsten Menschen haben Charakter in ihren Ideen, oder Styl in ihrem Betragen. Sie folgen einem blinden Instinkt, der eben so veränderlich ist, als verschieden die äußeren Verhältnisse des Gegenwärtigen sind, die ihn allein bestimmen. Wir sind freyer von Vorurtheilen und Aberglauben als unsere Vorältern; das ist nicht zu läugnen. Die Vernunft hat die Imagination mehr gezügelt: einen strengeren Beweis des Zusammenhangs zwischen Ursach und Wirkung bey den physischen und moralischen Erscheinungen am Menschen gefordert: die Erfahrung mehr zu Rathe gezogen, und das Zweckmäßige in den Regeln unsers geselligen Verkehrs näher bestimmt. Aber hätte man mit dem geistigen Stolze und mit der Schwärmerey zugleich alle Seelenerhebung verdammen; hätte man die Empfindungen des Herzens, das höhere Gefühl der Schönheit aus Eigennutz und körperlichen Trieben herleiten; hätte man endlich mehrere Formen des Umgangs, die einzeln genommen, keinen unmittelbaren Gewinn für die gesellige Selbstheit Zehntes Kapitel. Trauriger Zustand des Dienstes der Venus Urania in den neuesten Zeiten. Schluß des Werks. So glaube ich denn die hauptsächlichsten Arten, über Geschlechtsverbindung und Liebe zu denken, und sie zu behandeln, entwickelt zu haben. Aber die wenigsten Menschen haben Charakter in ihren Ideen, oder Styl in ihrem Betragen. Sie folgen einem blinden Instinkt, der eben so veränderlich ist, als verschieden die äußeren Verhältnisse des Gegenwärtigen sind, die ihn allein bestimmen. Wir sind freyer von Vorurtheilen und Aberglauben als unsere Vorältern; das ist nicht zu läugnen. Die Vernunft hat die Imagination mehr gezügelt: einen strengeren Beweis des Zusammenhangs zwischen Ursach und Wirkung bey den physischen und moralischen Erscheinungen am Menschen gefordert: die Erfahrung mehr zu Rathe gezogen, und das Zweckmäßige in den Regeln unsers geselligen Verkehrs näher bestimmt. Aber hätte man mit dem geistigen Stolze und mit der Schwärmerey zugleich alle Seelenerhebung verdammen; hätte man die Empfindungen des Herzens, das höhere Gefühl der Schönheit aus Eigennutz und körperlichen Trieben herleiten; hätte man endlich mehrere Formen des Umgangs, die einzeln genommen, keinen unmittelbaren Gewinn für die gesellige Selbstheit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0338" n="338"/> <div n="2"> <head>Zehntes Kapitel.<lb/></head> <argument> <p>Trauriger Zustand des Dienstes der Venus Urania in den neuesten Zeiten. Schluß des Werks.<lb/></p> </argument> <p>So glaube ich denn die hauptsächlichsten Arten, über Geschlechtsverbindung und Liebe zu denken, und sie zu behandeln, entwickelt zu haben. Aber die wenigsten Menschen haben Charakter in ihren Ideen, oder Styl in ihrem Betragen. Sie folgen einem blinden Instinkt, der eben so veränderlich ist, als verschieden die äußeren Verhältnisse des Gegenwärtigen sind, die ihn allein bestimmen.</p> <p>Wir sind freyer von Vorurtheilen und Aberglauben als unsere Vorältern; das ist nicht zu läugnen. Die Vernunft hat die Imagination mehr gezügelt: einen strengeren Beweis des Zusammenhangs zwischen Ursach und Wirkung bey den physischen und moralischen Erscheinungen am Menschen gefordert: die Erfahrung mehr zu Rathe gezogen, und das Zweckmäßige in den Regeln unsers geselligen Verkehrs näher bestimmt. Aber hätte man mit dem geistigen Stolze und mit der Schwärmerey zugleich alle Seelenerhebung verdammen; hätte man die Empfindungen des Herzens, das höhere Gefühl der Schönheit aus Eigennutz und körperlichen Trieben herleiten; hätte man endlich mehrere Formen des Umgangs, die einzeln genommen, keinen unmittelbaren Gewinn für die gesellige Selbstheit </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [338/0338]
Zehntes Kapitel.
Trauriger Zustand des Dienstes der Venus Urania in den neuesten Zeiten. Schluß des Werks.
So glaube ich denn die hauptsächlichsten Arten, über Geschlechtsverbindung und Liebe zu denken, und sie zu behandeln, entwickelt zu haben. Aber die wenigsten Menschen haben Charakter in ihren Ideen, oder Styl in ihrem Betragen. Sie folgen einem blinden Instinkt, der eben so veränderlich ist, als verschieden die äußeren Verhältnisse des Gegenwärtigen sind, die ihn allein bestimmen.
Wir sind freyer von Vorurtheilen und Aberglauben als unsere Vorältern; das ist nicht zu läugnen. Die Vernunft hat die Imagination mehr gezügelt: einen strengeren Beweis des Zusammenhangs zwischen Ursach und Wirkung bey den physischen und moralischen Erscheinungen am Menschen gefordert: die Erfahrung mehr zu Rathe gezogen, und das Zweckmäßige in den Regeln unsers geselligen Verkehrs näher bestimmt. Aber hätte man mit dem geistigen Stolze und mit der Schwärmerey zugleich alle Seelenerhebung verdammen; hätte man die Empfindungen des Herzens, das höhere Gefühl der Schönheit aus Eigennutz und körperlichen Trieben herleiten; hätte man endlich mehrere Formen des Umgangs, die einzeln genommen, keinen unmittelbaren Gewinn für die gesellige Selbstheit
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/338 |
Zitationshilfe: | Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/338>, abgerufen am 16.06.2024. |