daß aus ihrem Ruin unmittelbar ein neues Leben hervor- ging. Indem die Freiheit unterlag, fielen zugleich die Schranken der engen Nationalitäten. Die Nationen wa- ren überwältigt, zusammen erobert worden, aber eben dadurch vereinigt, verschmolzen. Wie man das Gebiet des Reiches den Erdkreis nannte, so fühlten sich die Einwoh- ner desselben als ein einziges, ein zusammengehörendes Ge- schlecht. Das menschliche Geschlecht fing an, seine Ge- meinschaftlichkeit inne zu werden.
In diesem Moment der Weltentwickelung ward Jesus Christus geboren.
Wie so unscheinbar und verborgen war sein Leben: seine Beschäftigung, Kranke zu heilen, ein paar Fischern, die ihn nicht immer verstanden, andeutend und in Gleich- nissen von Gott zu reden; er hatte nicht, da er sein Haupt hinlegte; -- aber, auch auf dem Standpunkte dieser un- serer weltlichen Betrachtung dürfen wir es sagen: unschul- diger und gewaltiger, erhabener, heiliger hat es auf Er- den nichts gegeben, als seinen Wandel, sein Leben und Sterben: in jedem seiner Sprüche wehet der lautere Got- tes-Odem; es sind Worte, wie Petrus sich ausdrückt, des ewigen Lebens; das Menschengeschlecht hat keine Erinne- rung, welche dieser nur von ferne zu vergleichen wäre.
Wenn die nationalen Verehrungen jemals ein Ele- ment wirklicher Religion in sich einschlossen, so war dieß nunmehr vollends verdunkelt; sie hatten, wie gesagt, kei- nen Sinn mehr; in dem Menschensohn, Gottessohn er- schien ihnen gegenüber das ewige und allgemeine Verhält- niß Gottes zu der Welt, des Menschen zu Gott.
Das Chriſtenthum in dem roͤm. Reiche.
daß aus ihrem Ruin unmittelbar ein neues Leben hervor- ging. Indem die Freiheit unterlag, fielen zugleich die Schranken der engen Nationalitaͤten. Die Nationen wa- ren uͤberwaͤltigt, zuſammen erobert worden, aber eben dadurch vereinigt, verſchmolzen. Wie man das Gebiet des Reiches den Erdkreis nannte, ſo fuͤhlten ſich die Einwoh- ner deſſelben als ein einziges, ein zuſammengehoͤrendes Ge- ſchlecht. Das menſchliche Geſchlecht fing an, ſeine Ge- meinſchaftlichkeit inne zu werden.
In dieſem Moment der Weltentwickelung ward Jeſus Chriſtus geboren.
Wie ſo unſcheinbar und verborgen war ſein Leben: ſeine Beſchaͤftigung, Kranke zu heilen, ein paar Fiſchern, die ihn nicht immer verſtanden, andeutend und in Gleich- niſſen von Gott zu reden; er hatte nicht, da er ſein Haupt hinlegte; — aber, auch auf dem Standpunkte dieſer un- ſerer weltlichen Betrachtung duͤrfen wir es ſagen: unſchul- diger und gewaltiger, erhabener, heiliger hat es auf Er- den nichts gegeben, als ſeinen Wandel, ſein Leben und Sterben: in jedem ſeiner Spruͤche wehet der lautere Got- tes-Odem; es ſind Worte, wie Petrus ſich ausdruͤckt, des ewigen Lebens; das Menſchengeſchlecht hat keine Erinne- rung, welche dieſer nur von ferne zu vergleichen waͤre.
Wenn die nationalen Verehrungen jemals ein Ele- ment wirklicher Religion in ſich einſchloſſen, ſo war dieß nunmehr vollends verdunkelt; ſie hatten, wie geſagt, kei- nen Sinn mehr; in dem Menſchenſohn, Gottesſohn er- ſchien ihnen gegenuͤber das ewige und allgemeine Verhaͤlt- niß Gottes zu der Welt, des Menſchen zu Gott.
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Das Chriſtenthum in dem roͤm. Reiche.
daß aus ihrem Ruin unmittelbar ein neues Leben hervor-
ging. Indem die Freiheit unterlag, fielen zugleich die
Schranken der engen Nationalitaͤten. Die Nationen wa-
ren uͤberwaͤltigt, zuſammen erobert worden, aber eben
dadurch vereinigt, verſchmolzen. Wie man das Gebiet des
Reiches den Erdkreis nannte, ſo fuͤhlten ſich die Einwoh-
ner deſſelben als ein einziges, ein zuſammengehoͤrendes Ge-
ſchlecht. Das menſchliche Geſchlecht fing an, ſeine Ge-
meinſchaftlichkeit inne zu werden.
In dieſem Moment der Weltentwickelung ward Jeſus
Chriſtus geboren.
Wie ſo unſcheinbar und verborgen war ſein Leben:
ſeine Beſchaͤftigung, Kranke zu heilen, ein paar Fiſchern,
die ihn nicht immer verſtanden, andeutend und in Gleich-
niſſen von Gott zu reden; er hatte nicht, da er ſein Haupt
hinlegte; — aber, auch auf dem Standpunkte dieſer un-
ſerer weltlichen Betrachtung duͤrfen wir es ſagen: unſchul-
diger und gewaltiger, erhabener, heiliger hat es auf Er-
den nichts gegeben, als ſeinen Wandel, ſein Leben und
Sterben: in jedem ſeiner Spruͤche wehet der lautere Got-
tes-Odem; es ſind Worte, wie Petrus ſich ausdruͤckt, des
ewigen Lebens; das Menſchengeſchlecht hat keine Erinne-
rung, welche dieſer nur von ferne zu vergleichen waͤre.
Wenn die nationalen Verehrungen jemals ein Ele-
ment wirklicher Religion in ſich einſchloſſen, ſo war dieß
nunmehr vollends verdunkelt; ſie hatten, wie geſagt, kei-
nen Sinn mehr; in dem Menſchenſohn, Gottesſohn er-
ſchien ihnen gegenuͤber das ewige und allgemeine Verhaͤlt-
niß Gottes zu der Welt, des Menſchen zu Gott.
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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/31>, abgerufen am 21.11.2024.
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