Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834.Sixtus V. ohne Floskeln: sehr wohl geordnet: er sprach deutlich undangenehm. Als er nun einst dort, bei vollem Auditorium, in der Mitte der Predigt inne hielt, wie es in Italien Sitte ist, und nachdem er ausgeruht, die eingelaufenen Eingaben ablas, welche Bitten und Fürbitten zu enthal- ten pflegen, stieß er auf eine, die versiegelt auf der Kan- zel gefunden worden, und ganz etwas andres enthielt. Alle Hauptsätze der bisherigen Predigten Peretti's, vornehmlich in Bezug auf die Lehre von der Prädestination, waren darin verzeichnet: neben einem jeden stand mit großen Buchsta- ben: du lügst. Nicht ganz konnte Peretti sein Erstaunen verbergen: er eilte zum Schluß: so wie er nach Hause ge- kommen, schickte er den Zettel an die Inquisition 1). Gar bald sah er den Großinquisitor, Michel Ghislieri, in sei- nem Gemach anlangen. Die strengste Prüfung begann. Oft hat Peretti später erzählt, wie sehr ihn der Anblick dieses Mannes, mit seinen strengen Brauen, den tiefliegen- den Augen, den scharfmarkirten Gesichtszügen in Furcht gesetzt habe. Doch faßte er sich, antwortete gut und gab keine Blöße. Als Ghislieri sah, daß der Frate nicht al- lein unschuldig, sondern in der katholischen Lehre so gut begründet war, wurde er gleichsam ein anderer Mensch, 1) Erzählung der nemlichen Handschrift. "Jam priorem ora-
tionis partem exegerat cum oblatum libellum resignat ac tacitus ut populo summam exponat, legere incipit. Quotquot ad eam diem catholicae fidei dogmata Montaltus pro concione affirma- rat, ordine collecta continebat singulisque id tantum addebat, literis grandioribus: Mentiris. Complicatum diligenter libellum sed ita ut consternationis manifestus multis esset, ad pectus di- mittit orationemque brevi praecisione paucis absoluit." Sixtus V. ohne Floskeln: ſehr wohl geordnet: er ſprach deutlich undangenehm. Als er nun einſt dort, bei vollem Auditorium, in der Mitte der Predigt inne hielt, wie es in Italien Sitte iſt, und nachdem er ausgeruht, die eingelaufenen Eingaben ablas, welche Bitten und Fuͤrbitten zu enthal- ten pflegen, ſtieß er auf eine, die verſiegelt auf der Kan- zel gefunden worden, und ganz etwas andres enthielt. Alle Hauptſaͤtze der bisherigen Predigten Peretti’s, vornehmlich in Bezug auf die Lehre von der Praͤdeſtination, waren darin verzeichnet: neben einem jeden ſtand mit großen Buchſta- ben: du luͤgſt. Nicht ganz konnte Peretti ſein Erſtaunen verbergen: er eilte zum Schluß: ſo wie er nach Hauſe ge- kommen, ſchickte er den Zettel an die Inquiſition 1). Gar bald ſah er den Großinquiſitor, Michel Ghislieri, in ſei- nem Gemach anlangen. Die ſtrengſte Pruͤfung begann. Oft hat Peretti ſpaͤter erzaͤhlt, wie ſehr ihn der Anblick dieſes Mannes, mit ſeinen ſtrengen Brauen, den tiefliegen- den Augen, den ſcharfmarkirten Geſichtszuͤgen in Furcht geſetzt habe. Doch faßte er ſich, antwortete gut und gab keine Bloͤße. Als Ghislieri ſah, daß der Frate nicht al- lein unſchuldig, ſondern in der katholiſchen Lehre ſo gut begruͤndet war, wurde er gleichſam ein anderer Menſch, 1) Erzaͤhlung der nemlichen Handſchrift. „Jam priorem ora-
tionis partem exegerat cum oblatum libellum resignat ac tacitus ut populo summam exponat, legere incipit. Quotquot ad eam diem catholicae fidei dogmata Montaltus pro concione affirma- rat, ordine collecta continebat singulisque id tantum addebat, literis grandioribus: Mentiris. Complicatum diligenter libellum sed ita ut consternationis manifestus multis esset, ad pectus di- mittit orationemque brevi praecisione paucis absoluit.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0467" n="441"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Sixtus</hi><hi rendition="#aq">V.</hi></fw><lb/> ohne Floskeln: ſehr wohl geordnet: er ſprach deutlich und<lb/> angenehm. Als er nun einſt dort, bei vollem Auditorium,<lb/> in der Mitte der Predigt inne hielt, wie es in Italien<lb/> Sitte iſt, und nachdem er ausgeruht, die eingelaufenen<lb/> Eingaben ablas, welche Bitten und Fuͤrbitten zu enthal-<lb/> ten pflegen, ſtieß er auf eine, die verſiegelt auf der Kan-<lb/> zel gefunden worden, und ganz etwas andres enthielt. Alle<lb/> Hauptſaͤtze der bisherigen Predigten Peretti’s, vornehmlich<lb/> in Bezug auf die Lehre von der Praͤdeſtination, waren darin<lb/> verzeichnet: neben einem jeden ſtand mit großen Buchſta-<lb/> ben: du luͤgſt. Nicht ganz konnte Peretti ſein Erſtaunen<lb/> verbergen: er eilte zum Schluß: ſo wie er nach Hauſe ge-<lb/> kommen, ſchickte er den Zettel an die Inquiſition <note place="foot" n="1)">Erzaͤhlung der nemlichen Handſchrift. <hi rendition="#aq">„Jam priorem ora-<lb/> tionis partem exegerat cum oblatum libellum resignat ac tacitus<lb/> ut populo summam exponat, legere incipit. Quotquot ad eam<lb/> diem catholicae fidei dogmata Montaltus pro concione affirma-<lb/> rat, ordine collecta continebat singulisque id tantum addebat,<lb/> literis grandioribus: Mentiris. Complicatum diligenter libellum<lb/> sed ita ut consternationis manifestus multis esset, ad pectus di-<lb/> mittit orationemque brevi praecisione paucis absoluit.“</hi></note>. Gar<lb/> bald ſah er den Großinquiſitor, Michel Ghislieri, in ſei-<lb/> nem Gemach anlangen. Die ſtrengſte Pruͤfung begann.<lb/> Oft hat Peretti ſpaͤter erzaͤhlt, wie ſehr ihn der Anblick<lb/> dieſes Mannes, mit ſeinen ſtrengen Brauen, den tiefliegen-<lb/> den Augen, den ſcharfmarkirten Geſichtszuͤgen in Furcht<lb/> geſetzt habe. Doch faßte er ſich, antwortete gut und gab<lb/> keine Bloͤße. Als Ghislieri ſah, daß der Frate nicht al-<lb/> lein unſchuldig, ſondern in der katholiſchen Lehre ſo gut<lb/> begruͤndet war, wurde er gleichſam ein anderer Menſch,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [441/0467]
Sixtus V.
ohne Floskeln: ſehr wohl geordnet: er ſprach deutlich und
angenehm. Als er nun einſt dort, bei vollem Auditorium,
in der Mitte der Predigt inne hielt, wie es in Italien
Sitte iſt, und nachdem er ausgeruht, die eingelaufenen
Eingaben ablas, welche Bitten und Fuͤrbitten zu enthal-
ten pflegen, ſtieß er auf eine, die verſiegelt auf der Kan-
zel gefunden worden, und ganz etwas andres enthielt. Alle
Hauptſaͤtze der bisherigen Predigten Peretti’s, vornehmlich
in Bezug auf die Lehre von der Praͤdeſtination, waren darin
verzeichnet: neben einem jeden ſtand mit großen Buchſta-
ben: du luͤgſt. Nicht ganz konnte Peretti ſein Erſtaunen
verbergen: er eilte zum Schluß: ſo wie er nach Hauſe ge-
kommen, ſchickte er den Zettel an die Inquiſition 1). Gar
bald ſah er den Großinquiſitor, Michel Ghislieri, in ſei-
nem Gemach anlangen. Die ſtrengſte Pruͤfung begann.
Oft hat Peretti ſpaͤter erzaͤhlt, wie ſehr ihn der Anblick
dieſes Mannes, mit ſeinen ſtrengen Brauen, den tiefliegen-
den Augen, den ſcharfmarkirten Geſichtszuͤgen in Furcht
geſetzt habe. Doch faßte er ſich, antwortete gut und gab
keine Bloͤße. Als Ghislieri ſah, daß der Frate nicht al-
lein unſchuldig, ſondern in der katholiſchen Lehre ſo gut
begruͤndet war, wurde er gleichſam ein anderer Menſch,
1) Erzaͤhlung der nemlichen Handſchrift. „Jam priorem ora-
tionis partem exegerat cum oblatum libellum resignat ac tacitus
ut populo summam exponat, legere incipit. Quotquot ad eam
diem catholicae fidei dogmata Montaltus pro concione affirma-
rat, ordine collecta continebat singulisque id tantum addebat,
literis grandioribus: Mentiris. Complicatum diligenter libellum
sed ita ut consternationis manifestus multis esset, ad pectus di-
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