Lodovico Caracci beschäftigte sich viel mit dem Chri- stusideal. Nicht immer, aber zuweilen, wie in der Be- rufung des Matthäus, gelingt es ihm, den milden und ernsten Mann voll Wahrheit und Wärme, Huld und Ma- jestät darzustellen, der hernach so oft nachgebildet worden. Wohl ahmt er frühere Meister nach: doch ist es für seine Sinnesweise bezeichnend, wie er dieß thut. Die Transfi- guration Raphaels hat er einmal offenbar vor Augen, aber er eignet sie sich nicht an, ohne seinen Christus die Hand lehrend gegen Moses erheben zu lassen. Ohne Zwei- fel das Meisterstück Agostino Caracci's ist der heilige Hie- ronymus, ein Alter, nahe dem Tode, der sich nicht mehr bewegen kann, und mit dem letzten Lebensodem nur noch inbrünstig nach der Hostie verlangt, die ihm gereicht wird. Annibale's Ecce homo, bei den Borghese, mit starkem Schatten, von feiner durchsichtiger Haut, in Thränen, ist das Ideal Lodovico's auf einer andern Stufe. Bewun- dernswürdig, jugendlich groß erscheint es selbst in der Er- starrung des Todes in der Pieta, einem Werke, in welchem auch übrigens das trostlose Ereigniß mit neuem Gefühl ergriffen und ausgesprochen ist. In den Lunetten bei den Doria wird die Landschaft, durch die einfache Auf- fassung der menschlichen Momente in der heiligen Geschichte, sinnreich belebt.
Wir sehen, obwohl sich diese Meister auch profanen Gegenständen widmeten, so ergriffen sie doch die heiligen mit besonderem Eifer: hier ist es dann nicht ein so ganz äußerliches Verdienst, was ihnen ihre Stelle giebt; die Hauptsache wird seyn, daß sie von ihrem Gegenstand wie-
Veraͤnderung der geiſtigen Richtung.
Lodovico Caracci beſchaͤftigte ſich viel mit dem Chri- ſtusideal. Nicht immer, aber zuweilen, wie in der Be- rufung des Matthaͤus, gelingt es ihm, den milden und ernſten Mann voll Wahrheit und Waͤrme, Huld und Ma- jeſtaͤt darzuſtellen, der hernach ſo oft nachgebildet worden. Wohl ahmt er fruͤhere Meiſter nach: doch iſt es fuͤr ſeine Sinnesweiſe bezeichnend, wie er dieß thut. Die Transfi- guration Raphaels hat er einmal offenbar vor Augen, aber er eignet ſie ſich nicht an, ohne ſeinen Chriſtus die Hand lehrend gegen Moſes erheben zu laſſen. Ohne Zwei- fel das Meiſterſtuͤck Agoſtino Caracci’s iſt der heilige Hie- ronymus, ein Alter, nahe dem Tode, der ſich nicht mehr bewegen kann, und mit dem letzten Lebensodem nur noch inbruͤnſtig nach der Hoſtie verlangt, die ihm gereicht wird. Annibale’s Ecce homo, bei den Borgheſe, mit ſtarkem Schatten, von feiner durchſichtiger Haut, in Thraͤnen, iſt das Ideal Lodovico’s auf einer andern Stufe. Bewun- dernswuͤrdig, jugendlich groß erſcheint es ſelbſt in der Er- ſtarrung des Todes in der Pietà, einem Werke, in welchem auch uͤbrigens das troſtloſe Ereigniß mit neuem Gefuͤhl ergriffen und ausgeſprochen iſt. In den Lunetten bei den Doria wird die Landſchaft, durch die einfache Auf- faſſung der menſchlichen Momente in der heiligen Geſchichte, ſinnreich belebt.
Wir ſehen, obwohl ſich dieſe Meiſter auch profanen Gegenſtaͤnden widmeten, ſo ergriffen ſie doch die heiligen mit beſonderem Eifer: hier iſt es dann nicht ein ſo ganz aͤußerliches Verdienſt, was ihnen ihre Stelle giebt; die Hauptſache wird ſeyn, daß ſie von ihrem Gegenſtand wie-
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Veraͤnderung der geiſtigen Richtung.
Lodovico Caracci beſchaͤftigte ſich viel mit dem Chri-
ſtusideal. Nicht immer, aber zuweilen, wie in der Be-
rufung des Matthaͤus, gelingt es ihm, den milden und
ernſten Mann voll Wahrheit und Waͤrme, Huld und Ma-
jeſtaͤt darzuſtellen, der hernach ſo oft nachgebildet worden.
Wohl ahmt er fruͤhere Meiſter nach: doch iſt es fuͤr ſeine
Sinnesweiſe bezeichnend, wie er dieß thut. Die Transfi-
guration Raphaels hat er einmal offenbar vor Augen,
aber er eignet ſie ſich nicht an, ohne ſeinen Chriſtus die
Hand lehrend gegen Moſes erheben zu laſſen. Ohne Zwei-
fel das Meiſterſtuͤck Agoſtino Caracci’s iſt der heilige Hie-
ronymus, ein Alter, nahe dem Tode, der ſich nicht mehr
bewegen kann, und mit dem letzten Lebensodem nur noch
inbruͤnſtig nach der Hoſtie verlangt, die ihm gereicht wird.
Annibale’s Ecce homo, bei den Borgheſe, mit ſtarkem
Schatten, von feiner durchſichtiger Haut, in Thraͤnen, iſt
das Ideal Lodovico’s auf einer andern Stufe. Bewun-
dernswuͤrdig, jugendlich groß erſcheint es ſelbſt in der Er-
ſtarrung des Todes in der Pietà, einem Werke, in welchem
auch uͤbrigens das troſtloſe Ereigniß mit neuem Gefuͤhl
ergriffen und ausgeſprochen iſt. In den Lunetten bei
den Doria wird die Landſchaft, durch die einfache Auf-
faſſung der menſchlichen Momente in der heiligen Geſchichte,
ſinnreich belebt.
Wir ſehen, obwohl ſich dieſe Meiſter auch profanen
Gegenſtaͤnden widmeten, ſo ergriffen ſie doch die heiligen
mit beſonderem Eifer: hier iſt es dann nicht ein ſo ganz
aͤußerliches Verdienſt, was ihnen ihre Stelle giebt; die
Hauptſache wird ſeyn, daß ſie von ihrem Gegenſtand wie-
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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/519>, abgerufen am 23.11.2024.
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