scheinen, um der Jungfrau, was man sagt, zu condoliren, darauf vorbereitet, sich die Thränen abzuwischen. Wie oft wird ferner das Gräßliche ohne die mindeste Schonung vorgestellt! Der S. Agnete des Domenichino sehen wir das Blut unter dem Schwert hervordringen: Guido faßt den bethlehemitischen Kindermord in seiner ganzen Abscheu- lichkeit: die Weiber, welche sämmtlich den Mund zum Ge- schrei öffnen, die gräulichen Schergen, welche die Unschuld morden.
Man ist wieder religiös geworden, wie man es frü- her war: aber es waltet ein großer Unterschied ob. Frü- her war die Darstellung sinnlich naiv: jetzt hat sie oft- mals etwas Barockes und Gewaltsames.
Dem Talent des Guercino wird Niemand seine Be- wunderung versagen. Aber was ist das für ein Johannes, den die Gallerie Sciarra von ihm aufbewahrt! Mit brei- ten nervigen Armen, colossalen, nackten Knien, dunkel und allerdings begeistert, doch könnte man nicht sagen, ob seine Begeisterung himmlischer oder irdischer Art ist. Sein Thomas legt die Hand so entschlossen in die Seitenwunden des Erlösers, daß es diesen schmerzen müßte. Den Pietro Martyre stellt Guercino vor, gradezu wie ihm noch das Schwert im Kopfe steckt. Neben jenem aquitanischen Her- zog, der von S. Bernard mit der Kutte bekleidet wird, läßt er noch einen Mönch auftreten, der einen Knappen bekehrt, und man sieht sich einer beabsichtigten Devotion unerbittlich übergeben.
Wir wollen hier nicht untersuchen, in wie fern durch diese Behandlung -- zuweilen unsinnlich ideal, zuweilen
Veraͤnderung der geiſtigen Richtung.
ſcheinen, um der Jungfrau, was man ſagt, zu condoliren, darauf vorbereitet, ſich die Thraͤnen abzuwiſchen. Wie oft wird ferner das Graͤßliche ohne die mindeſte Schonung vorgeſtellt! Der S. Agnete des Domenichino ſehen wir das Blut unter dem Schwert hervordringen: Guido faßt den bethlehemitiſchen Kindermord in ſeiner ganzen Abſcheu- lichkeit: die Weiber, welche ſaͤmmtlich den Mund zum Ge- ſchrei oͤffnen, die graͤulichen Schergen, welche die Unſchuld morden.
Man iſt wieder religioͤs geworden, wie man es fruͤ- her war: aber es waltet ein großer Unterſchied ob. Fruͤ- her war die Darſtellung ſinnlich naiv: jetzt hat ſie oft- mals etwas Barockes und Gewaltſames.
Dem Talent des Guercino wird Niemand ſeine Be- wunderung verſagen. Aber was iſt das fuͤr ein Johannes, den die Gallerie Sciarra von ihm aufbewahrt! Mit brei- ten nervigen Armen, coloſſalen, nackten Knien, dunkel und allerdings begeiſtert, doch koͤnnte man nicht ſagen, ob ſeine Begeiſterung himmliſcher oder irdiſcher Art iſt. Sein Thomas legt die Hand ſo entſchloſſen in die Seitenwunden des Erloͤſers, daß es dieſen ſchmerzen muͤßte. Den Pietro Martyre ſtellt Guercino vor, gradezu wie ihm noch das Schwert im Kopfe ſteckt. Neben jenem aquitaniſchen Her- zog, der von S. Bernard mit der Kutte bekleidet wird, laͤßt er noch einen Moͤnch auftreten, der einen Knappen bekehrt, und man ſieht ſich einer beabſichtigten Devotion unerbittlich uͤbergeben.
Wir wollen hier nicht unterſuchen, in wie fern durch dieſe Behandlung — zuweilen unſinnlich ideal, zuweilen
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Veraͤnderung der geiſtigen Richtung.
ſcheinen, um der Jungfrau, was man ſagt, zu condoliren,
darauf vorbereitet, ſich die Thraͤnen abzuwiſchen. Wie
oft wird ferner das Graͤßliche ohne die mindeſte Schonung
vorgeſtellt! Der S. Agnete des Domenichino ſehen wir
das Blut unter dem Schwert hervordringen: Guido faßt
den bethlehemitiſchen Kindermord in ſeiner ganzen Abſcheu-
lichkeit: die Weiber, welche ſaͤmmtlich den Mund zum Ge-
ſchrei oͤffnen, die graͤulichen Schergen, welche die Unſchuld
morden.
Man iſt wieder religioͤs geworden, wie man es fruͤ-
her war: aber es waltet ein großer Unterſchied ob. Fruͤ-
her war die Darſtellung ſinnlich naiv: jetzt hat ſie oft-
mals etwas Barockes und Gewaltſames.
Dem Talent des Guercino wird Niemand ſeine Be-
wunderung verſagen. Aber was iſt das fuͤr ein Johannes,
den die Gallerie Sciarra von ihm aufbewahrt! Mit brei-
ten nervigen Armen, coloſſalen, nackten Knien, dunkel
und allerdings begeiſtert, doch koͤnnte man nicht ſagen, ob
ſeine Begeiſterung himmliſcher oder irdiſcher Art iſt. Sein
Thomas legt die Hand ſo entſchloſſen in die Seitenwunden
des Erloͤſers, daß es dieſen ſchmerzen muͤßte. Den Pietro
Martyre ſtellt Guercino vor, gradezu wie ihm noch das
Schwert im Kopfe ſteckt. Neben jenem aquitaniſchen Her-
zog, der von S. Bernard mit der Kutte bekleidet wird,
laͤßt er noch einen Moͤnch auftreten, der einen Knappen
bekehrt, und man ſieht ſich einer beabſichtigten Devotion
unerbittlich uͤbergeben.
Wir wollen hier nicht unterſuchen, in wie fern durch
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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 495. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/521>, abgerufen am 27.11.2024.
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