Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

der katholischen Restauration. Deutschland.
gen: es war der Augenblick, in welchem die Einheit des
Reiches sich factisch auflöste.

Und unmöglich konnten sie hiebei stehn bleiben. Die
eingenommene Stellung zu behaupten wäre Jeder allein
zu schwach gewesen: eine Vereinigung, wie sie schon lange
beabsichtigt, berathen und entworfen hatten, führten sie
jetzt im Drange des Momentes aus. Unmittelbar nach dem
Reichstage kamen zwei pfälzische Fürsten, Churfürst Frie-
derich und der Pfalzgraf von Neuburg, zwei brandenbur-
gische, die Markgrafen Joachim und Christian Ernst, der
Herzog von Würtemberg und der Markgraf von Baden zu
Ahausen zusammen, und schlossen ein Bündniß, das unter
dem Namen der Union bekannt ist. Sie verpflichteten
sich, einander auf jede andere Weise und auch mit den Waf-
fen beizustehn, besonders in Hinsicht der auf dem letzten
Reichstage vorgetragenen Beschwerden. Sie setzten sich so-
gleich in eine Kriegsverfassung: jedes Mitglied nahm es
über sich, einen oder den andern seiner Nachbarn in den
Bund zu ziehen. Ihr Sinn war, da die Lage der Dinge,
wie sie im Reiche bestand, ihnen keine Sicherheit gewährte,
sich diese selbst zu verschaffen, sich selbst zu helfen.

Eine Neuerung von der umfassendsten Bedeutung, um
so mehr, da in den kaiserlichen Erblanden ein Ereigniß ein-
trat, das ihr sehr wohl entsprach.

Aus mancherlei Gründen nemlich war der Kaiser mit
seinem Bruder Matthias zerfallen: die in ihrer Freiheit und
ihrer Religion bedrängten östreichischen Stände sahen in
diesem Zwiespalt eine Gelegenheit beides zu behaupten, und
traten auf die Seite des Erzherzogs.


der katholiſchen Reſtauration. Deutſchland.
gen: es war der Augenblick, in welchem die Einheit des
Reiches ſich factiſch aufloͤſte.

Und unmoͤglich konnten ſie hiebei ſtehn bleiben. Die
eingenommene Stellung zu behaupten waͤre Jeder allein
zu ſchwach geweſen: eine Vereinigung, wie ſie ſchon lange
beabſichtigt, berathen und entworfen hatten, fuͤhrten ſie
jetzt im Drange des Momentes aus. Unmittelbar nach dem
Reichstage kamen zwei pfaͤlziſche Fuͤrſten, Churfuͤrſt Frie-
derich und der Pfalzgraf von Neuburg, zwei brandenbur-
giſche, die Markgrafen Joachim und Chriſtian Ernſt, der
Herzog von Wuͤrtemberg und der Markgraf von Baden zu
Ahauſen zuſammen, und ſchloſſen ein Buͤndniß, das unter
dem Namen der Union bekannt iſt. Sie verpflichteten
ſich, einander auf jede andere Weiſe und auch mit den Waf-
fen beizuſtehn, beſonders in Hinſicht der auf dem letzten
Reichstage vorgetragenen Beſchwerden. Sie ſetzten ſich ſo-
gleich in eine Kriegsverfaſſung: jedes Mitglied nahm es
uͤber ſich, einen oder den andern ſeiner Nachbarn in den
Bund zu ziehen. Ihr Sinn war, da die Lage der Dinge,
wie ſie im Reiche beſtand, ihnen keine Sicherheit gewaͤhrte,
ſich dieſe ſelbſt zu verſchaffen, ſich ſelbſt zu helfen.

Eine Neuerung von der umfaſſendſten Bedeutung, um
ſo mehr, da in den kaiſerlichen Erblanden ein Ereigniß ein-
trat, das ihr ſehr wohl entſprach.

Aus mancherlei Gruͤnden nemlich war der Kaiſer mit
ſeinem Bruder Matthias zerfallen: die in ihrer Freiheit und
ihrer Religion bedraͤngten oͤſtreichiſchen Staͤnde ſahen in
dieſem Zwieſpalt eine Gelegenheit beides zu behaupten, und
traten auf die Seite des Erzherzogs.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0427" n="415"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">der katholi&#x017F;chen Re&#x017F;tauration. Deut&#x017F;chland</hi>.</fw><lb/>
gen: es war der Augenblick, in welchem die Einheit des<lb/>
Reiches &#x017F;ich facti&#x017F;ch auflo&#x0364;&#x017F;te.</p><lb/>
            <p>Und unmo&#x0364;glich konnten &#x017F;ie hiebei &#x017F;tehn bleiben. Die<lb/>
eingenommene Stellung zu behaupten wa&#x0364;re Jeder allein<lb/>
zu &#x017F;chwach gewe&#x017F;en: eine Vereinigung, wie &#x017F;ie &#x017F;chon lange<lb/>
beab&#x017F;ichtigt, berathen und entworfen hatten, fu&#x0364;hrten &#x017F;ie<lb/>
jetzt im Drange des Momentes aus. Unmittelbar nach dem<lb/>
Reichstage kamen zwei pfa&#x0364;lzi&#x017F;che Fu&#x0364;r&#x017F;ten, Churfu&#x0364;r&#x017F;t Frie-<lb/>
derich und der Pfalzgraf von Neuburg, zwei brandenbur-<lb/>
gi&#x017F;che, die Markgrafen Joachim und Chri&#x017F;tian Ern&#x017F;t, der<lb/>
Herzog von Wu&#x0364;rtemberg und der Markgraf von Baden zu<lb/>
Ahau&#x017F;en zu&#x017F;ammen, und &#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en ein Bu&#x0364;ndniß, das unter<lb/>
dem Namen der Union bekannt i&#x017F;t. Sie verpflichteten<lb/>
&#x017F;ich, einander auf jede andere Wei&#x017F;e und auch mit den Waf-<lb/>
fen beizu&#x017F;tehn, be&#x017F;onders in Hin&#x017F;icht der auf dem letzten<lb/>
Reichstage vorgetragenen Be&#x017F;chwerden. Sie &#x017F;etzten &#x017F;ich &#x017F;o-<lb/>
gleich in eine Kriegsverfa&#x017F;&#x017F;ung: jedes Mitglied nahm es<lb/>
u&#x0364;ber &#x017F;ich, einen oder den andern &#x017F;einer Nachbarn in den<lb/>
Bund zu ziehen. Ihr Sinn war, da die Lage der Dinge,<lb/>
wie &#x017F;ie im Reiche be&#x017F;tand, ihnen keine Sicherheit gewa&#x0364;hrte,<lb/>
&#x017F;ich die&#x017F;e &#x017F;elb&#x017F;t zu ver&#x017F;chaffen, &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zu helfen.</p><lb/>
            <p>Eine Neuerung von der umfa&#x017F;&#x017F;end&#x017F;ten Bedeutung, um<lb/>
&#x017F;o mehr, da in den kai&#x017F;erlichen Erblanden ein Ereigniß ein-<lb/>
trat, das ihr &#x017F;ehr wohl ent&#x017F;prach.</p><lb/>
            <p>Aus mancherlei Gru&#x0364;nden nemlich war der Kai&#x017F;er mit<lb/>
&#x017F;einem Bruder Matthias zerfallen: die in ihrer Freiheit und<lb/>
ihrer Religion bedra&#x0364;ngten o&#x0364;&#x017F;treichi&#x017F;chen Sta&#x0364;nde &#x017F;ahen in<lb/>
die&#x017F;em Zwie&#x017F;palt eine Gelegenheit beides zu behaupten, und<lb/>
traten auf die Seite des Erzherzogs.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[415/0427] der katholiſchen Reſtauration. Deutſchland. gen: es war der Augenblick, in welchem die Einheit des Reiches ſich factiſch aufloͤſte. Und unmoͤglich konnten ſie hiebei ſtehn bleiben. Die eingenommene Stellung zu behaupten waͤre Jeder allein zu ſchwach geweſen: eine Vereinigung, wie ſie ſchon lange beabſichtigt, berathen und entworfen hatten, fuͤhrten ſie jetzt im Drange des Momentes aus. Unmittelbar nach dem Reichstage kamen zwei pfaͤlziſche Fuͤrſten, Churfuͤrſt Frie- derich und der Pfalzgraf von Neuburg, zwei brandenbur- giſche, die Markgrafen Joachim und Chriſtian Ernſt, der Herzog von Wuͤrtemberg und der Markgraf von Baden zu Ahauſen zuſammen, und ſchloſſen ein Buͤndniß, das unter dem Namen der Union bekannt iſt. Sie verpflichteten ſich, einander auf jede andere Weiſe und auch mit den Waf- fen beizuſtehn, beſonders in Hinſicht der auf dem letzten Reichstage vorgetragenen Beſchwerden. Sie ſetzten ſich ſo- gleich in eine Kriegsverfaſſung: jedes Mitglied nahm es uͤber ſich, einen oder den andern ſeiner Nachbarn in den Bund zu ziehen. Ihr Sinn war, da die Lage der Dinge, wie ſie im Reiche beſtand, ihnen keine Sicherheit gewaͤhrte, ſich dieſe ſelbſt zu verſchaffen, ſich ſelbſt zu helfen. Eine Neuerung von der umfaſſendſten Bedeutung, um ſo mehr, da in den kaiſerlichen Erblanden ein Ereigniß ein- trat, das ihr ſehr wohl entſprach. Aus mancherlei Gruͤnden nemlich war der Kaiſer mit ſeinem Bruder Matthias zerfallen: die in ihrer Freiheit und ihrer Religion bedraͤngten oͤſtreichiſchen Staͤnde ſahen in dieſem Zwieſpalt eine Gelegenheit beides zu behaupten, und traten auf die Seite des Erzherzogs.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/427
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/427>, abgerufen am 22.11.2024.