Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Buch VII. Kap. 2. Allgemeine Ausbreitung
nung, es habe früher in Indien vier Wege der Wahr-
heit gegeben, von denen einer verloren gegangen. Er be-
hauptete, er sey gekommen ihnen diesen verlornen, aber ge-
radesten, geistigen Weg zur Unsterblichkeit zu weisen. Im
Jahre 1609 hatte er schon 70 Braminen gewonnen. Er
hütete sich wohl, ihre Vorurtheile zu verletzen: selbst
ihre Unterscheidungszeichen duldete er und gab densel-
ben nur eine andere Bedeutung: in den Kirchen sonderte
er die Stände von einander ab: die Ausdrücke mit denen
man früher die christlichen Lehren bezeichnet hatte, ver-
tauschte er mit eleganteren, literarisch vornehmeren. Er ver-
fuhr in allen Dingen so geschickt, daß er bald Schaaren
von Bekehrten um sich her sah. Obwohl seine Methode viel
Anstoß erregte, so schien sie doch auch allein geeignet vor-
wärts zu bringen. Gregor XV. sprach im Jahre 1621
seine Billigung derselben aus.

Nicht minder merkwürdig sind die Versuche die man
um dieselbe Zeit am Hofe des Kaisers Akbar machte.

Man erinnert sich, daß die alten mongolischen Chane,
die Eroberer von Asien, lange eine eigenthümlich unentschie-
dene Stellung zwischen den verschiedenen Religionen, welche
die Welt theilten, einnahmen. Es scheint fast, als habe
Kaiser Akbar eine ähnliche Gesinnung gehegt. Indem
er die Jesuiten zu sich rief, erklärte er ihnen, "er habe
alle Religionen der Erde kennen zu lernen gesucht: jetzt
wünsche er auch die christliche kennen zu lernen: mit Hülfe
der Väter, die er ehre und schätze." Den ersten festen Sitz

tibus, nulli ut Europaeo bene cognita fuisset ad eam diem atque
inter ipsosmet Indos plurimum scire videantur qui hanc ut-
cunque norint etsi aliud nihil norint.

Buch VII. Kap. 2. Allgemeine Ausbreitung
nung, es habe fruͤher in Indien vier Wege der Wahr-
heit gegeben, von denen einer verloren gegangen. Er be-
hauptete, er ſey gekommen ihnen dieſen verlornen, aber ge-
radeſten, geiſtigen Weg zur Unſterblichkeit zu weiſen. Im
Jahre 1609 hatte er ſchon 70 Braminen gewonnen. Er
huͤtete ſich wohl, ihre Vorurtheile zu verletzen: ſelbſt
ihre Unterſcheidungszeichen duldete er und gab denſel-
ben nur eine andere Bedeutung: in den Kirchen ſonderte
er die Staͤnde von einander ab: die Ausdruͤcke mit denen
man fruͤher die chriſtlichen Lehren bezeichnet hatte, ver-
tauſchte er mit eleganteren, literariſch vornehmeren. Er ver-
fuhr in allen Dingen ſo geſchickt, daß er bald Schaaren
von Bekehrten um ſich her ſah. Obwohl ſeine Methode viel
Anſtoß erregte, ſo ſchien ſie doch auch allein geeignet vor-
waͤrts zu bringen. Gregor XV. ſprach im Jahre 1621
ſeine Billigung derſelben aus.

Nicht minder merkwuͤrdig ſind die Verſuche die man
um dieſelbe Zeit am Hofe des Kaiſers Akbar machte.

Man erinnert ſich, daß die alten mongoliſchen Chane,
die Eroberer von Aſien, lange eine eigenthuͤmlich unentſchie-
dene Stellung zwiſchen den verſchiedenen Religionen, welche
die Welt theilten, einnahmen. Es ſcheint faſt, als habe
Kaiſer Akbar eine aͤhnliche Geſinnung gehegt. Indem
er die Jeſuiten zu ſich rief, erklaͤrte er ihnen, „er habe
alle Religionen der Erde kennen zu lernen geſucht: jetzt
wuͤnſche er auch die chriſtliche kennen zu lernen: mit Huͤlfe
der Vaͤter, die er ehre und ſchaͤtze.“ Den erſten feſten Sitz

tibus, nulli ut Europaeo bene cognita fuisset ad eam diem atque
inter ipsosmet Indos plurimum scire videantur qui hanc ut-
cunque norint etsi aliud nihil norint.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0504" n="492"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Buch</hi><hi rendition="#aq">VII.</hi><hi rendition="#g">Kap. 2. Allgemeine Ausbreitung</hi></fw><lb/>
nung, es habe fru&#x0364;her in Indien vier Wege der Wahr-<lb/>
heit gegeben, von denen einer verloren gegangen. Er be-<lb/>
hauptete, er &#x017F;ey gekommen ihnen die&#x017F;en verlornen, aber ge-<lb/>
rade&#x017F;ten, gei&#x017F;tigen Weg zur Un&#x017F;terblichkeit zu wei&#x017F;en. Im<lb/>
Jahre 1609 hatte er &#x017F;chon 70 Braminen gewonnen. Er<lb/>
hu&#x0364;tete &#x017F;ich wohl, ihre Vorurtheile zu verletzen: &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
ihre Unter&#x017F;cheidungszeichen duldete er und gab den&#x017F;el-<lb/>
ben nur eine andere Bedeutung: in den Kirchen &#x017F;onderte<lb/>
er die Sta&#x0364;nde von einander ab: die Ausdru&#x0364;cke mit denen<lb/>
man fru&#x0364;her die chri&#x017F;tlichen Lehren bezeichnet hatte, ver-<lb/>
tau&#x017F;chte er mit eleganteren, literari&#x017F;ch vornehmeren. Er ver-<lb/>
fuhr in allen Dingen &#x017F;o ge&#x017F;chickt, daß er bald Schaaren<lb/>
von Bekehrten um &#x017F;ich her &#x017F;ah. Obwohl &#x017F;eine Methode viel<lb/>
An&#x017F;toß erregte, &#x017F;o &#x017F;chien &#x017F;ie doch auch allein geeignet vor-<lb/>
wa&#x0364;rts zu bringen. Gregor <hi rendition="#aq">XV.</hi> &#x017F;prach im Jahre 1621<lb/>
&#x017F;eine Billigung der&#x017F;elben aus.</p><lb/>
              <p>Nicht minder merkwu&#x0364;rdig &#x017F;ind die Ver&#x017F;uche die man<lb/>
um die&#x017F;elbe Zeit am Hofe des Kai&#x017F;ers Akbar machte.</p><lb/>
              <p>Man erinnert &#x017F;ich, daß die alten mongoli&#x017F;chen Chane,<lb/>
die Eroberer von A&#x017F;ien, lange eine eigenthu&#x0364;mlich unent&#x017F;chie-<lb/>
dene Stellung zwi&#x017F;chen den ver&#x017F;chiedenen Religionen, welche<lb/>
die Welt theilten, einnahmen. Es &#x017F;cheint fa&#x017F;t, als habe<lb/>
Kai&#x017F;er Akbar eine a&#x0364;hnliche Ge&#x017F;innung gehegt. Indem<lb/>
er die Je&#x017F;uiten zu &#x017F;ich rief, erkla&#x0364;rte er ihnen, &#x201E;er habe<lb/>
alle Religionen der Erde kennen zu lernen ge&#x017F;ucht: jetzt<lb/>
wu&#x0364;n&#x017F;che er auch die chri&#x017F;tliche kennen zu lernen: mit Hu&#x0364;lfe<lb/>
der Va&#x0364;ter, die er ehre und &#x017F;cha&#x0364;tze.&#x201C; Den er&#x017F;ten fe&#x017F;ten Sitz<lb/><note xml:id="seg2pn_45_2" prev="#seg2pn_45_1" place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">tibus, nulli ut Europaeo bene cognita fuisset ad eam diem atque<lb/>
inter ipsosmet Indos plurimum scire videantur qui hanc ut-<lb/>
cunque norint etsi aliud nihil norint.</hi></note><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[492/0504] Buch VII. Kap. 2. Allgemeine Ausbreitung nung, es habe fruͤher in Indien vier Wege der Wahr- heit gegeben, von denen einer verloren gegangen. Er be- hauptete, er ſey gekommen ihnen dieſen verlornen, aber ge- radeſten, geiſtigen Weg zur Unſterblichkeit zu weiſen. Im Jahre 1609 hatte er ſchon 70 Braminen gewonnen. Er huͤtete ſich wohl, ihre Vorurtheile zu verletzen: ſelbſt ihre Unterſcheidungszeichen duldete er und gab denſel- ben nur eine andere Bedeutung: in den Kirchen ſonderte er die Staͤnde von einander ab: die Ausdruͤcke mit denen man fruͤher die chriſtlichen Lehren bezeichnet hatte, ver- tauſchte er mit eleganteren, literariſch vornehmeren. Er ver- fuhr in allen Dingen ſo geſchickt, daß er bald Schaaren von Bekehrten um ſich her ſah. Obwohl ſeine Methode viel Anſtoß erregte, ſo ſchien ſie doch auch allein geeignet vor- waͤrts zu bringen. Gregor XV. ſprach im Jahre 1621 ſeine Billigung derſelben aus. Nicht minder merkwuͤrdig ſind die Verſuche die man um dieſelbe Zeit am Hofe des Kaiſers Akbar machte. Man erinnert ſich, daß die alten mongoliſchen Chane, die Eroberer von Aſien, lange eine eigenthuͤmlich unentſchie- dene Stellung zwiſchen den verſchiedenen Religionen, welche die Welt theilten, einnahmen. Es ſcheint faſt, als habe Kaiſer Akbar eine aͤhnliche Geſinnung gehegt. Indem er die Jeſuiten zu ſich rief, erklaͤrte er ihnen, „er habe alle Religionen der Erde kennen zu lernen geſucht: jetzt wuͤnſche er auch die chriſtliche kennen zu lernen: mit Huͤlfe der Vaͤter, die er ehre und ſchaͤtze.“ Den erſten feſten Sitz 2) 2) tibus, nulli ut Europaeo bene cognita fuisset ad eam diem atque inter ipsosmet Indos plurimum scire videantur qui hanc ut- cunque norint etsi aliud nihil norint.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/504
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836, S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/504>, abgerufen am 24.11.2024.