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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836.

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Buch VIII. Die Päpste um d. Mitte d. 17. Jahrh.
Der Reiz für Christine lag auch darin, daß Niemand et-
was davon ahndete.

Die guten Jesuiten beabsichtigten anfangs die Ord-
nung des Katechismus zu beobachten, doch sahen sie bald,
daß das hier nicht angebracht sey. Die Königin warf ih-
nen ganz andere Fragen auf, als die dort vorkamen. Ob
es einen Unterschied zwischen Gut und Böse gebe, oder ob
alles nur auf den Nutzen und die Schädlichkeit einer Hand-
lung ankomme; wie die Zweifel zu erledigen, die man ge-
gen die Annahme einer Vorsehung erheben könne; ob die
Seele des Menschen wirklich unsterblich; ob es nicht am
rathsamsten sey, seiner Landesreligion äußerlich zu folgen
und nach den Gesetzen der Vernunft zu leben. Die Jesui-
ten melden nicht, was sie auf diese Fragen geantwortet ha-
ben: sie meinen, während des Gesprächs seyen ihnen Ge-
danken gekommen, an die sie früher nie gedacht und die
sie dann wieder vergessen: in der Königin habe der heilige
Geist gewirkt. In der That war in ihr schon eine ent-
schiedene Hinneigung, welche alle Gründe und die Ueber-
zeugung selbst ergänzte. Am häufigsten kam man auf je-
nen obersten Grundsatz zurück, daß die Welt nicht ohne
die wahre Religion seyn könne: daran ward die Behaup-
tung geknüpft, daß unter den vorhandenen die katholische
die vernünftigste sey. "Unser Hauptbestreben war," sagen
die Jesuiten, "zu beweisen, daß die Punkte unseres heili-
gen Glaubens über die Vernunft erhaben, aber keineswe-
ges ihr entgegen seyen." Die vornehmste Schwierigkeit
betraf die Anrufung der Heiligen, die Verehrung der Bil-
der und Reliquien. "Ihre Majestät aber faßte," fahren

Buch VIII. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 17. Jahrh.
Der Reiz fuͤr Chriſtine lag auch darin, daß Niemand et-
was davon ahndete.

Die guten Jeſuiten beabſichtigten anfangs die Ord-
nung des Katechismus zu beobachten, doch ſahen ſie bald,
daß das hier nicht angebracht ſey. Die Koͤnigin warf ih-
nen ganz andere Fragen auf, als die dort vorkamen. Ob
es einen Unterſchied zwiſchen Gut und Boͤſe gebe, oder ob
alles nur auf den Nutzen und die Schaͤdlichkeit einer Hand-
lung ankomme; wie die Zweifel zu erledigen, die man ge-
gen die Annahme einer Vorſehung erheben koͤnne; ob die
Seele des Menſchen wirklich unſterblich; ob es nicht am
rathſamſten ſey, ſeiner Landesreligion aͤußerlich zu folgen
und nach den Geſetzen der Vernunft zu leben. Die Jeſui-
ten melden nicht, was ſie auf dieſe Fragen geantwortet ha-
ben: ſie meinen, waͤhrend des Geſpraͤchs ſeyen ihnen Ge-
danken gekommen, an die ſie fruͤher nie gedacht und die
ſie dann wieder vergeſſen: in der Koͤnigin habe der heilige
Geiſt gewirkt. In der That war in ihr ſchon eine ent-
ſchiedene Hinneigung, welche alle Gruͤnde und die Ueber-
zeugung ſelbſt ergaͤnzte. Am haͤufigſten kam man auf je-
nen oberſten Grundſatz zuruͤck, daß die Welt nicht ohne
die wahre Religion ſeyn koͤnne: daran ward die Behaup-
tung geknuͤpft, daß unter den vorhandenen die katholiſche
die vernuͤnftigſte ſey. „Unſer Hauptbeſtreben war,“ ſagen
die Jeſuiten, „zu beweiſen, daß die Punkte unſeres heili-
gen Glaubens uͤber die Vernunft erhaben, aber keineswe-
ges ihr entgegen ſeyen.“ Die vornehmſte Schwierigkeit
betraf die Anrufung der Heiligen, die Verehrung der Bil-
der und Reliquien. „Ihre Majeſtaͤt aber faßte,“ fahren

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[92/0104] Buch VIII. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 17. Jahrh. Der Reiz fuͤr Chriſtine lag auch darin, daß Niemand et- was davon ahndete. Die guten Jeſuiten beabſichtigten anfangs die Ord- nung des Katechismus zu beobachten, doch ſahen ſie bald, daß das hier nicht angebracht ſey. Die Koͤnigin warf ih- nen ganz andere Fragen auf, als die dort vorkamen. Ob es einen Unterſchied zwiſchen Gut und Boͤſe gebe, oder ob alles nur auf den Nutzen und die Schaͤdlichkeit einer Hand- lung ankomme; wie die Zweifel zu erledigen, die man ge- gen die Annahme einer Vorſehung erheben koͤnne; ob die Seele des Menſchen wirklich unſterblich; ob es nicht am rathſamſten ſey, ſeiner Landesreligion aͤußerlich zu folgen und nach den Geſetzen der Vernunft zu leben. Die Jeſui- ten melden nicht, was ſie auf dieſe Fragen geantwortet ha- ben: ſie meinen, waͤhrend des Geſpraͤchs ſeyen ihnen Ge- danken gekommen, an die ſie fruͤher nie gedacht und die ſie dann wieder vergeſſen: in der Koͤnigin habe der heilige Geiſt gewirkt. In der That war in ihr ſchon eine ent- ſchiedene Hinneigung, welche alle Gruͤnde und die Ueber- zeugung ſelbſt ergaͤnzte. Am haͤufigſten kam man auf je- nen oberſten Grundſatz zuruͤck, daß die Welt nicht ohne die wahre Religion ſeyn koͤnne: daran ward die Behaup- tung geknuͤpft, daß unter den vorhandenen die katholiſche die vernuͤnftigſte ſey. „Unſer Hauptbeſtreben war,“ ſagen die Jeſuiten, „zu beweiſen, daß die Punkte unſeres heili- gen Glaubens uͤber die Vernunft erhaben, aber keineswe- ges ihr entgegen ſeyen.“ Die vornehmſte Schwierigkeit betraf die Anrufung der Heiligen, die Verehrung der Bil- der und Reliquien. „Ihre Majeſtaͤt aber faßte,“ fahren

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836/104>, abgerufen am 27.11.2024.